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Public Netbase: 1994 bis 2006 Eine Wiener Netzinstitution öffnet den digitalen Raum für neue Formen der Medienpraxis

Es ist diese dissidente Haltung, die letztlich zum finanziellen Aus von Public Netbase geführt hat. Eingebettet in ein internationales Netzwerk von Kunst, Medien und Wissenschaft musste sie selbst reale Räume schaffen, um den Ansatz einer partizipativen Internetkultur in den lokalen Strukturen verankern zu können.

Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem damit einhergehenden Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West haben sich die Konfliktlinien in der politischen Auseinandersetzung dramatisch verändert. Die zunehmende Ökonomisierung, Technisierung und Kommodifizierung aller Lebensbereiche führte schon bald zu einem Verschwinden autonomer Aktionsorte, an deren Stelle eine diffuse und verflüssigte Form der politischen und ökonomischen Macht trat. Der neoliberale Konsens verwandelte das widerständige Außen in eine alles einverleibende Mediengestalt. Waren die Bruchlinien früher noch als
Unterdrückungsverhältnisse sichtbar, so sind diese heute weitgehend zu Unterordnungsverhältnissen transformiert, deren Ursprung durch das Blendwerk einer bunten Bilderwelt verschleiert wird. Die Auflösung des aufbegehrenden Körpers in den Weiten elektronischer Netzwerke bildet dabei einen weiteren Schritt in der technophilen Geschichte der Moderne. Doch ist die Technik selbst niemals neutral, sie ist immer schon von den hierarchischen Strukturen derjenigen Macht geprägt, die zur Durchsetzung ihrer Ziele auf eben jene Technik zurückgreift. Damit stellt sich für eine durch die neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien zunehmend beherrschten Gesellschaft die alles entscheidende Frage: Dient die Technik letztlich der Freiheit ihrer Benutzer, oder ihrer Unterdrückung und Kontrolle? In Zeiten von Weblogs, Wikis und Social Networks ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer Neudefinition des Verhältnisses zwischen Öffentlich und Privat,
zwischen medialer Selbstdarstellung und lückenloser Überwachung. Die neuen Formen der Öffentlichkeit in der realen wie virtuellen Welt verweisen damit selbst wiederum auf die Agonalität des politischen Feldes. Zu fragen wäre also, worin die Möglichkeiten aber auch Gefahren im Gebrauch der neuen Medien für eine kritische Öffentlichkeit liegen und welchen
Einfluss diese auf eine neue künstlerische Praxis haben könnten?1

Vernetzte Öffentlichkeit

Als die vom Institut für neue Kulturtechnologien/t0 [t0.or.at] ins Leben gerufene Medienkunstplattform Public Netbase [http://www.t0.or.at/autoretr.html] 1994 mit einem eigenen Server auf dem Rechner des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH) online ging, befand sich das Internet noch zu Beginn seiner massentauglichen Anwendung. So waren auch
die Erwartungen und Hoffnungen, die in der Vergangenheit immer wieder an diverse Medien geknüpft wurden (Radio, Kino, Fernsehen, etc.)2, von einer utopischen Vorstellung der individuellen Befreiung geprägt. Public Netbase versuchte an die Stelle eines solchen Cyberutopismus einen kritischen Blick auf unsere zunehmend von Technologien geprägte
Gesellschaft zu werfen. In einer Vielzahl an Ausstellungen, Events, Symposien und Workshops konnte so ein breites Verständnis für das Potential der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien geschaffen und eine selbst bestimmte Nutzung neuer Medien3 angeboten werden [http://mediabase.t0.or.at/t0/t0video_hi.mp4]. Bei seiner Eröffnungsrede in den frisch adaptierten Räumlichkeiten des Wiener Messepalastes (später: Museumsquartier)
unterstrich der Philosoph und Essayist Peter Lamborn Wilson am 17. März 1995 dann auch die Risiken einer weitgehend mediatisierten Welt, in welcher Information vermehrt zum Rohstoff der modernen Gesellschaft werde [http://www.t0.or.at/hakimbey/infowar.htm]. Daraus ergab sich für Public Netbase die spezifische Herausforderung, in dem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Technik, Wissenschaft und Politik eine reale wie virtuelle Umgebung für die elektronisch vernetzte Kulturpraxis zu schaffen.

Abseits einer gnostischen Cyberutopie eröffnete sich damit für die kritische Medienarbeit eine Perspektive, die den Kampf um kulturelle Hegemonie aufzunehmen wusste, um somit den Möglichkeitshorizont politischer Emanzipation offen zu halten und auf Grundlage demokratisch-diskursiver Auseinandersetzungen zu erweitern. In den Worten des Wiener Medientheoretikers Oliver Marchart: "Ich denke, dass vor dem Horizont der real existierenden Demokratien und nach der Ausschaltung sämtlicher historischer Alternativen zur Zeit nur ein Projekt der Radikalisierung der demokratischen Potenziale in diesem
Horizont wirklich hegemoniefähig wäre (und keines der Überschreitung des demokratischen Horizonts an sich).“4 Hieraus ergibt sich für Marchart die Multiplizierung von Öffentlichkeiten als notwendigen Bestandteil eines radikaldemokratischen Projekts, was soviel bedeutet wie "die Ausdehnung des öffentlichen Raums als Raum von Publizität (Zugänglichkeit) und Agonalität (konflikthafter Debatte) auf möglichst viele gesellschaftliche Bereiche und Institutionen.“5 Es ist dieses Projekt einer agonalen Demokratie, welches in den letzten Jahren die theoretische Debatte um ein alternatives Politikverständnis und der daraus entstehenden Öffentlichkeit wesentlich prägte. Mit der Ausdehnung des demokratischen Horizonts und der Einforderung wie Radikalisierung demokratischer Prinzipien, erweist sich Politik nunmehr als diskursive Praxis, in welcher differentielle Positionen ständig neu ausverhandelt werden müssen.6 Die Rolle neuer Medien liegt daher in einer möglichst breit angelegten Artikulation demokratischer Kämpfe, was eine pluralistische Medienlandschaft zur Voraussetzung hat [http://noisebase.t0.or.at/t0/darkmarkets/dark_docuclip.rm].

Somit stand für Public Netbase von Anfang fest, sich nicht einer virtuellen Imagination der neuen Medien hinzugeben, sondern die aus dem Gebrauch neuer Informations- und Kommunikationstechnologien entstandenen Kulturpraxen in den urbanen Raum hineinzutragen.7 Die moderne Stadt bildet dabei eine hybride Mischung aus physischem und digitalem Raum, dessen architektonische Gestalt von einer Vielzahl an Datenströmen überlagert wird. Für die Kunsthistorikerin Susanne Jaschko ist "dieser Datenraum, der in erster Linie private bzw. nicht öffentliche Informationen enthält und sich wie eine
allgegenwärtige zweite Schicht über den physischen Raum gelegt hat, […] jedoch verhältnismäßig leicht attackierbar und verlangt nach einem bewussten Umgang mit diesen Technologien“.8 Public Netbase zählt hier zu den Pionieren, die in Österreich und Europa erstmals den digitalen Raum für eine kritische Medienarbeit erschlossen, sowie Überwachung
und Kontrolle in der Informationsgesellschaft9 thematisiert haben. Angesichts des rasanten Vordringens der neuen Technologien in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gewinnt die kulturelle Praxis mit elektronischen Medien eine immer größere Bedeutung [http://noisebase.t0.or.at/t0/interface/interface.rm]. Der städtische Raum bildet somit das
künstlerische Handlungsfeld, auf welchem mittels Konfrontation, Agitation und Intervention neue Öffentlichkeiten geschaffen werden, um damit den ökonomischen und staatlichen Einschließungstendenzen entgegenwirken zu können. Das Nachdenken über die symbolischen Herrschaftszusammenhänge lieferte den Verantwortlichen von Public Netbase dabei die
nötige Ausgangsbasis, um abseits einer konsumorientierten Nutzungslogik neue Formen der künstlerischen wie kulturellen Praxis zu erproben [http://www.netbase.org/t0/projects].

Die Bewusstseinsbildung gegenüber einer sich neu formierenden Netzwerkgesellschaft, in welcher virtueller und realer Raum zunehmend verschmelzen, steht dabei freilich in einer langen künstlerischen Tradition. So war die Vorstellung von Öffentlichkeit immer schon an den Begriff des öffentlichen Raums geknüpft, der in der zeitgenössischen Kunst zunehmend
zum Ort der politischen Auseinandersetzung wurde. Zwar gab es schon während der griechischen Antike verschiedene Vorstellungen über den öffentlichen Raum, doch erst "mit der wachsenden Mediatisierung und hybriden Virtualisierung all dieser Sphären verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Öffentlichem, Privatem, Kommerz und Regierung.“ 10 Wie Steve Dietz darlegt, bewegen sich viele Künstler entlang dieser Grenzbereiche, um mit Hilfe neuer künstlerischer Instrumente "unsere Kenntnisse und Praktiken der verschiedenen öffentlichen Sphären zu erweitern.“11 So habe sich mit dem Aufstieg von Presse, Radio, Fernsehen und der nunmehrigen Internetkommunikation auch die potentielle Öffentlichkeit über den physischen Raum in die virtuellen Räume der Kommunikationssysteme hinein erweitert. Die neue öffentliche Sphäre ist sowohl physisch als auch virtuell, und nahm insbesondere in den Netzdiskursen der frühen 1990er Jahren erste konkrete Formen an. Die daraus entstandene Netzwerkkunst basiert auf dem Prinzip der Konnektivität, dass heißt "auf dem Sachverhalt, dass man mit jemanden oder etwas verbunden ist: mit Menschen, mit Medienkanälen, mit Werkzeugen und/oder Wissen.“12 Josephine Bosma spricht in diesem Zusammenhang von unterschiedlichen künstlerischen
Praxen in der Public Domain als "einen virtuellen, vermittelten Raum, der sowohl aus materiellen als auch aus immateriellen Bestandteilen besteht.“13 Diese hybride Form ist wesentliches Merkmal einer zeitgenössischen Kunstpraxis.

So waren auch jene Projekte am einflussreichsten, die den Begriff der öffentlichen Sphäre auf die neuen Kommunikationssysteme auszuweiten wussten. Mailinglisten, schwarze Bretter und partizipative Kunstserver bildeten dabei das Rückgrat der frühen Netzwerkcommunities. Public Netbase erkannte hier früh die Notwendigkeit elektronischer Vernetzung, um einen "Cultural Backbone“ [http://netz2000.netbase.org/] abseits rein kommerzieller Anwendungen
in der österreichischen Medienlandschaft zu etablieren. Durch die Bündelung einer Vielzahl an Pionierprojekte in Österreich entstanden schon bald erste regionale Netzknoten, die Künstlern und Kulturinitiativen eine kreative und vor allem selbst bestimmte Arbeit mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichten. Josephine Bosma sieht
in dieser Community-Bildung dann auch eine strukturelle Erweiterung des herkömmlichen Werkbegriffs: "Tatsächlich wurden diese Projekte fast schlagartig inkorporiert, und ihre Funktion übertraf schon rasch diejenige jedes anderen Kunstwerks. Sie boten nicht nur Zugang zum Internet und Webspace, sondern überdies Bildungsangebote und eine aktive Einstellung gegenüber der Entwicklung von Netzkulturen.“14 Angesichts der zahlreichen Anerkennungen (Prix Ars Electronica 1995, Preis der Stadt Wien 2000, etc.) und viel beachteten Aktivitäten von Public Netbase war es umso überraschender, als zu Beginn des Jahres 2006 seitens der Stadt Wien die Entscheidung bekannt gemacht wurde, der lokal wie international vernetzten Medienkunstplattform die Basisfinanzierung zu streichen und damit eine wichtige Schnittstelle des künstlerischen wie kulturellen Austausches zu verlieren.

Ausgehend von der nunmehr stattfindenden Repräsentation und Kontextualisierung von Public Netbase durch das Linzer Ludwig Boltzmann Institut für Medien.Kunst.Forschung [http://media.lbg.ac.at], gilt es die Debatte um den öffentlichen Raum noch einmal aufzugreifen und nach dem Potential zeitgenössischer Kunstpraxen zu fragen. Insbesondere die zunehmende Privatisierung der öffentlichen Sphäre zugunsten kommerzieller Profitinteressen, sowie eine um sich greifende Sicherheitsparanoia staatlicher Stellen verlangen nach neuen Strategien der Gegenmacht. Dass die hierzu erforderliche Öffnung von nach außen hin abgeschotteten Diskursräumen nicht ohne Konflikte erfolgt, zeigt nicht zuletzt die zwölfjährige Geschichte von Public Netbase, deren Verlauf durch eine Vielzahl politischer Auseinandersetzungen geprägt war.15 Im Rückblick lassen sich so interessante Positionen aufzeigen und ihre Relevanz für eine künftige Medienarbeit darstellen. Vor allem das Kunstprojekt "nikeground – rethinking space“ [www.t0.or.at/nikeground] soll hierbei beispielhaft für die kritische Auseinandersetzung mit symbolischen Herrschaftsverhältnissen stehen. Einerseits gilt es das "Werk“ in seiner konzeptionellen Form in den Blick zu nehmen und dadurch den gesamten Umfang der Arbeit einem interessierten
Publikum zugänglich zu machen, andererseits soll dieses prominente Beispiel als Beitrag in der Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum verstanden und damit die eingangs erwähnte Frage nach den Gefahren und Möglichkeiten einer mediatisierten Welt aufgegriffen werden. Ziel ist es, einem innerhalb der Medienkunst zumeist noch immer sehr verkürztem
Begriff des Netzaktivismus eine kritische Herangehensweise an diese noch neue Form der künstlerischen Intervention entgegenzusetzen. Somit erlaubt die medientheoretische Aufarbeitung der Arbeit von Public Netbase einen Kontext für ihre eigenen Kunstprojekte anzubieten und darüber hinaus in die bestehende Debatte rund um die politischen Handlungsmöglichkeiten im Gebrauch neuer Medien einzugreifen.

Straße vs. Netz

Die künstlerische und kulturelle Zukunftsentwicklung wurde in den letzten Jahren von einer stetig wachsenden, wenn auch lose zusammenhängenden Bewegung an Onlineaktivisten geprägt. Die als "Hacktivism“16 bezeichnete computergestützte Aktionsform hat sich dabei von anfänglichen Kunstprojekten zu einer neuen Strategie des politischen Widerstandes
entwickelt. Erklärtes Ziel ist die temporäre Besetzung und Instrumentalisierung der (Mainstream-) Medien, um auf bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufmerksam zu machen. Neben der Kommunikation und Vernetzung zwischen den einzelnen sozialen Bewegungen, vermag die Nutzung des Internet kurzfristige Irritationen auszulösen, womit
geschlossene Diskurse in offene Situationen transformiert werden können.17 Diese taktische Medienpraxis nutzt die zunehmende Verschmelzung zwischen realem und virtuellem Raum, dessen hybride Form für den heutigen Alltagsverstand nicht nur konstituierend ist, sondern selbst schon einen eigenen Sinnhorizont erzeugt: "Gesellschaftliche Kommunikationen, die >in< diesem computermedial produziertem >Raum< stattfinden […] beziehen sich auf andere sachliche, soziale, zeitliche und räumliche Sachverhalte, als es in jener gesellschaftlichen Wirklichkeit der Fall ist, die aufgrund von Face-to-face-Kontakten, oder durch massenmediale Vermittlung zustande kommt.“18 Wie Udo Thiedeke des weiteren ausführt,
werden durch die Informatisierung gesellschaftlicher Lebensbereiche soziale und physikalische Grenzen zunehmend in Frage gestellt und die Spielfelder für kollektive wie individuelle Handlungen einer Neudefinition ausgesetzt. Gerade die kybernetische
Verknüpfung aus Information, Interaktion und Inkorporation schuf einen kognitiven Raum neuartiger Möglichkeiten, der gemeinhin als "Cyberspace“19 bezeichnet wird und zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung wurde [http://synworld.t0.or.at/].

Dieser Raum des Möglichen schafft somit eine eigene Realität, die nicht nur ein technologisches, sondern immer auch kulturelles Feld darstellt.20 Jedoch konzentrieren sich die wissenschaftlichen Ansätze zumeist auf den technischen Bereich des Cyberspace, sprich auf die Implementierungs- und Anwendungsproblematiken des Internet. Damit verschwindet
der Cyberspace als eigenständiges Phänomen und verliert neben seiner sozialen vor allem auch seine mythische Dimension [http://www.t0.or.at/davis/davislec1.html]. Dagegen gilt es beide, Internet und Cyberspace, in ihrem direkten Wechselverhältnis zu betrachten: Ohne der technischen Infrastruktur wäre keine virtualisierte Kommunikation im globalen Maßstab möglich, die wiederum grundlegend für die Konstituierung neuer Erwartungsstrukturen ist. Und umgekehrt wäre das Internet ohne den Sinnhorizont des Cyberspace wohl nicht mehr als ein mehr oder weniger eng zusammenhängendes Netz aus Computern, das kein soziales Erleben und Handeln zulassen würde. Wesentlich erscheint daher, dass der Cyberspace allen utopischen Vorstellungen zum trotz nicht losgelöst von der sozialen Welt gedacht werden kann. Für Brian Holmes bedarf es deshalb einer kritischen Untersuchung dieser neuen Praxisformen: "One could ask about the specific kinds of game that we have begun to play in the age of the so-called new media.”21 Diese Fragestellung unterliegt allerdings keiner bloßen Beliebigkeit, berücksichtigt man die Tatsache, dass das Feld neuer Medien heute einen, wenn nicht den entscheidenden Ort hegemonialer Auseinandersetzung ausmacht: "It becomes important to produce counter-experiments, to up the stakes of the game, to deploy the primacy of resistance in the key arenas of our epoch.”22 Das Aufzeigen von Alternativen zur bestehenden Ordnung bildet somit einen wesentlichen Bestandteil des Netzaktivismus, indem jede Aktion ihre eigenen Praxen generiert und damit selbst schon als Prozess größerer Freiheit erfahrbar wird.

Die Entwicklungen während der 1990er Jahre führten deutlich vor Augen, dass die Entstehung eines globalen Datennetzes und seines spezifischen Sinnhorizonts – des viel zitierten "Global Village“23 – an die technologische Infrastruktur der digitalen
Kommunikation gebunden ist. Auch wenn das Internet hierin nur einen Teilbereich ausmacht, so ist es heute doch zu dem (zumindest vorläufig) dominanten Feld der computervermittelten Kommunikation geworden. Seine Anfänge gehen bezeichnenderweise auf den Kalten Krieg zurück und verweisen damit auf die enge Verknüpfung politischer, ökonomischer und militärischer Institutionen im Produktionsprozess neuer Informations- und Kommunikationstechnologien [http://t0.or.at/delanda/netwar.htm]. In Form eines Hypertext-Systems stellt das Internet heute ein globales Kommunikationsmittel dar, das sich aus einer Vielzahl unabhängiger Netzwerke (Regierungsstellen, Firmen, Universitäten, Schulen, Organisationen, etc). zusammensetzt. Die Besonderheit des Internet besteht im Gegensatz zu den klassischen Massenmedien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen zum einen in seiner Heterogenität, was zumeist mehrere Kommunikationswege erlaubt, und zum anderen in der Interaktivität, durch welche der Sender zugleich Empfänger sein kann und umgekehrt.24 Zum Verständnis unserer technologischen Kultur bedarf es also einer kritischen Netztheorie, welche die heterogenen und divergierenden Formen des Internet berücksichtigt, ohne jedoch gleich einem postmodernen Kulturpessimismus zu verfallen. Denn "was nach der Entdeckung und Eroberung noch aussteht, ist die Vergesellschaftung des Cyberspace“.25 Die von Geert Lovink an dieser Stelle angesprochene Netzkritik richtet sich gegen die cyberelitäre Ideologie einer an Profitinteressen orientierten "digitalen Revolution“ und umreißt ihr Feld stattdessen "als ein heterogenes Spektrum kritischer Praktiken, das in der Lage ist, in der
technologischen, politischen und kulturellen Debatte, die das Internet definiert, zu vermitteln und einzugreifen.“26

Doch ist mit der Segregation der Gesellschaft durch die neoliberalen Produktionsverhältnisse auch der alte Traum vom "virtuellen Gemeinschaftswesen“27 verschwunden. So bemerkenswert der Aufstieg des Internet vom ursprünglichen ARPAnet zu einem weltweiten Massenmedium auch ist, so enttäuschend waren die Entwicklungen der letzten Jahre für den digitalen "Netizen“.28 Während sich das Internet mit dem Fall der Berliner Mauer zunehmend der zivilen Nutzung öffnete, schuf es zugleich seinen eigenen Mythos als einem herrschaftsfreien Informations- und Kommunikationsmedium, welches dem kosmopolitischen Bürger eine Selbstorganisation jenseits staatlicher und kommerzieller Interessen ermöglichen
sollte. Die übersteigerten Hoffnungen die Mitte der 1990er Jahre in das Medium Internet gesteckt wurden, verweisen dabei auf eine lange Tradition: "Ähnlich wie zu Beginn der 1970er, als die Kabelnetze und Video als Medium der Demokratisierung der Massenmedien gesehen wurden, […] betrachtete man jetzt das Internet als Mittel der Demokratisierung.“29 Die "digitale Revolution“ versprach nichts weniger als einen technischen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch während die avantgardistische Cyberelite die anarchischen Strukturen des Netzes für ihre libertären Träume und Wünsche zu nutzen suchte, schufen auf der anderen Seite staatliche und ökonomische Interessen zunehmend Verfahren und Regelungen zur Unterwerfung des elektronischen Raumes. Insbesondere die massive Konzentration privater Kapitalinteressen im Bereich technologischer Entwicklung führte bald zu einer sukzessiven Verdrängung öffentlicher Zugänge in der Gestaltung der neuen
Medienstruktur. Anstelle einer breit angelegten Diskussion über die demokratischen Partizipationsmöglichkeiten innerhalb eines im Entstehen begriffenen Ordnungssystems, zeigte sich der digitale Raum schon bald als bloß weiteres Betätigungsfeld der Kapitalakkumulation.

Durch die zunehmende Verflüssigung des Kapitals auf den globalen Finanzmärkten sollte letztlich auch der Körper seiner Materialität beraubt und in den Datennetzen aufgelöst werden. Die Rekonfiguration des Körpers unter den neuen Imperativen eines global agierenden Kapitalismus [http://www.t0.or.at/cae/psthuman.htm] führte während der 1990er Jahre zu einem regelrechten Cyberhype: "Der Cyberspace stelle eine Bühne für das von Geschlecht, Rasse und Klasse befreite Individuum dar, das im virtuellen Raum die vollkommenen Bedingungen für seine absolute Selbstverwirklichung vorfände.“30 Wie Inke
Arns hier richtig anmerkt, steht und fällt diese Sichtweise "jedoch mit ihrer Prämisse, dass die Körperkonfigurationen im Internet diejenigen des realen Raumes aufheben würden.“31 Die in der Netzeuphorie gefeierte Auflösung des Körpers führte nämlich keineswegs zu einer Befreiung von den realen Sachzwängen. Vielmehr verweist die zunehmende Verflechtung
von Bio-, Informations- und Kommunikationstechnologien auf eine technische Zurichtung des Menschen zur kontrollierten Datengewinnung, an deren Resultaten insbesondere Polizei, Geheimdienste und Großunternehmen Interesse zeigen [http://www.t0.or.at/event/oct.html].
Kämpfe um den Zugang zu und die Kontrolle über Daten werden die Zukunft des Menschen bestimmen, wodurch die Grenze zwischen Öffentlich und Privat zur eigentlichen Konfliktzone hegemonialer Auseinandersetzungen wird. Noch immer scheint die Technik hierin alleinige Produzentin von emanzipativen Visionen zu sein, obwohl eine Untersuchung ihrer Voraussetzungen "immer deutlicher werden lässt, dass sie vor allem den globalen Wettbewerb der Unternehmen und sozialen Schichten stärkt und zu neuen sozialen Verwerfungen führt.“32 Die sozialromantische Vorstellung vom Netz als einem anarchischem Raum und rhizomatischen Wildwuchs hat spätestens mit dem Zusammenbruch der DotcomÄra
endgültig an Überzeugungskraft verloren.

Die Auseinandersetzung rund um den virtuellen Körper bestimmte in den letzten Jahren auch die Frage, welche Formen des politischen Aktivismus unter immateriellen Vorzeichen überhaupt noch möglich sind. So behauptete das Critical Art Ensemble (CAE) bereits Mitte der 1990er Jahre, "dass die Straße, soweit es um Macht geht, totes Kapital ist.“33 Der Einsatz des Körpers für den politischen Kampf sei damit zwecklos, da eine handlungsrelevante Strategie die Machtzentren dort angreifen müsse, wo es für sie von Bedeutung ist: auf der Ebene elektronischer Datenflüsse. Denn an die Stelle einer leicht auszumachenden Herrschaftsform, welche in Gestalt von Palästen, Regierungssitzen oder Firmenzentralen die
Unterdrückten und Unzufriedenen immer wieder herauszufordern wusste, ist heute eine informatisierte, dass heißt in den globalen Datenströmen zirkulierende Form der Machtausübung getreten. Um den Kampf um die symbolische Vormachtstellung im Informationszeitalter aufzunehmen, müssen die Mittel der Herrschenden also letztlich gegen
sie selbst gewandt werden: "Um dieser Strategie heute Sinn zu verleihen, ist es notwendig, dass sich der Widerstand – wie zuvor die Macht – von der Straße zurückzieht. Cyberspace ist der Ort und das Mittel des Widerstands – das zu begreifen bedeutet, ein neues strategisches Modell politischer Praxis ins Spiel zu bringen.“34 Jedoch existiert – wie mehrfach gezeigt –
das Internet nicht als virtueller Parallelraum, da die Bedingungen seiner Möglichkeit die "Offline-Welt“ eben immer schon voraussetzt. So meint die autonome a.f.r.i.k.a gruppe: "Sowohl erfolgreicher Aktivismus als auch die Gegenstrategie der Macht operieren in einer Realität, die den virtuellen Raum des Internet ebenso einschließt wie den geographischen der
Straße und Städte.“35 Die Auseinandersetzung "Straße vs. Netz“ sollte also im Sinne des eingangs erwähnten agonistischen Politikverständnisses zu einer pluralen und gegenseitig ergänzenden Aktionsform transformiert werden, wie sie bereits im Rahmen der "Kommunikationsguerilla“36 formuliert wurde.

nikeground – rethinking space

Dem Cyberhype ist also – zumindest in der Theorie – ein pragmatischer und kritischer Zugang gefolgt, dessen Ziel darin besteht "den Freigeist des Internets nicht nur gegen staatliche Kontrollen, sondern ebenso gegen die Herrschaft der Konzerne zu mobilisieren.“37 Denn nachdem das Internet aus seinem militärischen Kontext gelöst wurde – ohne diesen
freilich jemals wirklich verlassen zu haben – und sich in der Folge vor allem in der wissenschaftlich-akademischen Gemeinde eine breite Basis schuf, ist mit der Einführung des WorldWideWeb Mitte der 1990er eine Restrukturierung des elektronischen Raums unter kommerziellen Vorzeichen vonstatten gegangen. So konnte sich die Ökonomie der Netzwerke einen lukrativen Handelsraum schaffen, der im Wesentlichen auf der Herstellung und Verbreitung immaterieller Güter beruht. Um den in der Technologie selbst angelegten freien Austausch von Information und Kulturgütern zu verhindern, versucht die Medienindustrie seit Jahren die bestehenden Grundlagen der Informationsgesellschaft zu privatisieren. Unter dem Schlagwort des "Intellectual Property“ (IP) wird so der Zugang zu gesellschaftlich relevantem Wissen eingeschränkt anstatt eine plurale wie demokratische Nutzung dieser Errungenschaft zu ermöglichen [http://noisebase.t0.or.at/t0/opencultures/opencultures.rm]. Angesichts dieserzunehmenden Bedrohung durch kommerzielle Interessen und dem erforderlichen agonalen Politikverständnis, stellt sich die Frage nach einer "semiotischen Demokratie“, die in den Worten des ehemaligen Leiters von Public Netbase, Konrad Becker, dadurch definiert ist, "dass die Quellen kulturellen Ausdrucks in der Wissensgesellschaft nicht dem Digtial Divide einzelner Gesellschaftssegmente oder globaler Eliten vorbehalten bleiben darf und dass der
freie Austausch und die lebendige Erneuerung von Wissen und Kultur unter größtmöglicher Beteiligung sicherzustellen ist.“38 Der Zugang zu den Ressourcen des Informationszeitalters jenseits bestehender Konzerninteressen bildet daher eine demokratiepolitische Notwendigkeit
[http://mediabase.t0.or.at/freebitflows/freebitflows_384.mp4].

Die Semiotik betrachtet Kultur in diesem Zusammenhang als Kommunikation, wobei letztere als Sendung von Botschaften auf der Grundlage von gesellschaftlich akzeptierten Codes verstanden wird.39 Es sind eben diese Codes, die ein bestimmtes System von Symbolen repräsentieren und deren Definition die kulturelle Hegemonie über unseren Alltagsverstand
festschreibt. Die symbolische Herrschaft der Markenindustrie, die neben den Fernsehbildschirmen ganze Gebäude und Landschaftsstriche besetzt, bedeutet daher einen direkten Angriff auf die kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten der Informationsgesellschaft: "Wenn der Zugang zur Ikonographie des Alltagslebens, zu Elementen der Populärkultur
sowie zu Kultur- und Wissensinhalten ganz allgemein durch neue IP- und Copyright-Restriktionen in Frage gestellt wird, nimmt insbesondere die kulturelle Praxis abseits der Content-Industrie großen Schaden.“40 Und Martin Wassermair, langjähriger Geschäftsführer von Public Netbase, weiter: "Von einem freien kulturellen Austausch könnte angesichts einer
von Konzerninteressen dominierten Informationsindustrie gar nicht mehr die Rede sein.“41 So bewirkt die symbolische Dominanz der Großkonzerne gerade in jüngster Zeit eine zunehmende Verschiebung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem, wodurch der an und für sich offen stehende städtische Raum in semi-öffentliche Räume transformiert wird.
Dieser Privatisierungsprozess, wie er sich etwa an Bahnhöfen, zentralen Plätzen oder Einkaufszentren vollzieht, impliziert dabei den Ausschluss von großen Teilen der Öffentlichkeit. Angesichts dieser Entwicklungen bietet "der von Medien bestimmte, konfliktreiche städtische Raum […] für Künstler zahlreiche Anknüpfungspunkte für künstlerische Arbeit, insbesondere für diejenigen unter ihnen, die neue Technologien als künstlerisches Medium gewählt haben.“42

Die Arbeit von Public Netbase richtete sich daher schon früh auf Wiederaneignungsstrategien des urbanen Raums, der als Ort medialer Inszenierung beispielhaft für die symbolische Ordnung bestehender Herrschaftsverhältnisse steht. Ein Verständnis für die taktische Medienarbeit bietet hierbei das von Public Netbase gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv
0100101110101101.org im Herbst 2003 für die Wiener Öffentlichkeit inszenierte Projekt "nikeground – rethinking space“ [http://noisebase.t0.or.at/t0/nikeground/nikeground.rm]. Vier Wochen lang suggerierte ein gläserner Hightech-Pavillon die unmittelbar bevorstehende Umbenennung des historischen Karlsplatzes in Nike-Platz. Neben diesem weithin sichtbaren
Zeichen kündigte eine Website zudem die Errichtung eines 36 Meter hohen Monuments in Gestalt des Firmenlogos an und löste in Politik, Medien und Öffentlichkeit heftige Reaktionen aus. Aufgebracht durch gefakte Aussendungen und
Leserbriefe, griff die Boulevardpresse die Geschichte auf, sodass Nike International durch ihre österreichische Pressestelle verlautbaren ließ, nicht Urheberin der Aktion zu sein [http://www.t0.or.at/nikeground/press/ps/001/big] und daraufhin Public Netbase in der Höhe von 78.000 Euro verklagte. Doch der Versuch, ein Verbot des Kunstprojekts zu erreichen,
blieb erfolglos. Nike International hatte nämlich vergessen, die für ausländische Kläger notwendige Prozesskostensicherstellung am Wiener Handelsgericht zu hinterlegen. Damit konnte letztlich doch dem Recht auf freien künstlerischen Ausdruck stattgegeben und die existenzgefährdende Klage zurückgewiesen werden.

Dass die vorgetäuschte Aktion aber im Grunde gar nicht so weit von der Realität entfernt lag, zeigen die von Nike seit einigen Jahren errichteten urbanen Erlebniszonen, die vor allem das jüngere Publikum anziehen sollen. So ist das weltweite Interesse [http://www.t0.or.at/nikeground/press] auch damit zu erklären, dass mit dem "hardly believable nikeplatz trick“ die wichtige Funktion einer zeitgemäßen künstlerischen Praxis verdeutlicht wurde, die sich mit den realen Produktionsmitteln einer zunehmend von Medien und Technologie bestimmten Gesellschaft auseinander setzt. Der künstlerisch reflektierende
Umgang mit Zeichen der Alltagskultur und den symbolischen Inszenierungen der Stadt, steht dabei beispielhaft für neue Formen der Intervention im öffentlichen Raum. Dazu die Künstler selbst: "Wir hatten die Absicht, die Stadt Wien als Theaterbühne für ein komplexes modernes Kunstwerk zu sehen, das auf verschiedenen Vermittlungskanälen subjektive Interpretationen anregte. Wichtige Aspekte wie die globalisterte Dominanz über Wirtschaft und kulturelle Symbole wurden kontrovers ins Blickfeld gerückt.“43 In der Rezeption dieser taktischen Medienarbeit wurde jedoch oftmals auf den konzeptuellen Ansatz von "nikeground“ vergessen, der sich von einer monatelangen Vorbereitung bis hin zu konkreten ästhetischen Überlegungen erstreckt. Und auch die Wahl des Ortes war keineswegs willkürlich. So sollte die Aktion einen konkreten Impuls für einen künftigen "Kunstplatz Karlsplatz“ liefern, indem sie aufzeigen wollte, wie eine Verbindung von Netzkunst, Politik und Theorie Gegenmodelle zur Repräsentationskultur der etablierten Institutionen anbieten könne.
Der Versuch die "Gegend“ vor der Karlskirche für zeitgenössische Kunst zu öffnen, scheiterte jedoch an der heimischen Kulturpolitik. So war das unweit des Nike-Pavillon abgehaltene "Mediencamp“ [http://www.t0.or.at/about/mediencamp.rm] für die Sicherung einer unabhängigen Medienlandschaft in Österreich der Wiener Stadtregierung ein derartiger Dorn
im Auge, dass sie als Reaktion das Budget von Public Netbase empfindlich kürzen ließ. Nachdem bereits die Basisfinanzierung auf Bundesebene durch den Machtantritt der rechtskonservativen Regierung im Jahr 2000 verloren gegangen war, wurden damit auch die Bemühungen zunichte gemacht, die seit dem Rauswurf aus dem Museumsquartier notwendig gewordenen Räume am Karlsplatz zu verwirklichen. Anstelle des "Kunstplatzes“, wo sich der
kritische Kultur- und Mediendiskurs gleichsam unterirdisch verfestigen sollte, entstand Österreichs erste "Schutzzone“, die polizeiliche Ordnung und null Toleranz gegenüber den dort ansässigen Drogensüchtigen signalisieren wollte. Die von staatlicher Seite vorangetriebene Ausweitung der Überwachungssysteme verweist dabei selbst wiederum auf eine schleichende Privatisierung des öffentlichen Raums. So werden zunehmend öffentliche Sicherheitsagenden an private Unternehmen ausgelagert und damit das für eine Demokratie notwendige Rechtsbewusstsein gegenüber Kontrolltechnologien unterminiert. Entgegen dieser kontinuierlichen Enteignung des öffentlichen Raums bedarf es also konkreter
Strategien der Wiederaneignung [http://mediabase.t0.or.at/s77ccr/s77ccr.mp4]. Denn, so der Kunsttheoretiker Timothy Druckrey, "in der Regulierung dieser integrierten postöffentlichen Sphäre deutet sich ein Ungleichgewicht an, worin auch jede kritische Kommunikation einer politischen Normierung unterliegt. Letztere dient dazu, einen autorisierten oder besser:
legalisierten Diskurs aufrechtzuerhalten und dabei wenig bis kein Augenmerk zu legen auf Uneinigkeit, Opposition oder die Neulegitimation des öffentlichen Raumes als einem Ort des Widerspruchs, der Differenz, der Alterität und des Dissens.“44

Es ist diese dissidente Haltung, die letztlich zum finanziellen Aus von Public Netbase geführt hat. Eingebettet in ein internationales Netzwerk von Kunst, Medien und Wissenschaft musste sie selbst reale Räume schaffen, um den Ansatz einer partizipativen Internetkultur in den lokalen Strukturen verankern zu können. Die dazu notwendigen öffentlichen Gelder
versiegten in dem Maße, als ihre Kritik einen provisorischen Standpunkt außerhalb der bestehenden Ordnung schuf. Die Sphäre des Spektakels durchkreuzend, versuchte die Netzinstitution einen eigenen, kritischen Diskurs über die Möglichkeiten und Gefahren der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu initiieren. Aus den Erfahrungen
dieses Pionierprojekts ergeben sich für eine konkrete Medienpraxis Handlungsalternativen entlang von drei zu unterscheidenden Ebenen: Kommunikation, Information und Aktion. Die neuen Techniken der Netzkommunikation bieten im Bereich der Kommunikation die Möglichkeit, Kräfte aus den unterschiedlichsten Weltregionen für gemeinsame Anliegen zu
mobilisieren, eigene dezentrale Netzwerke abseits des herrschaftlichen Mainstreams zu organisieren und nicht zuletzt neue Formen des sozialen wie politischen Umgangs auszuprobieren. Auf der Ebene der Information ermöglicht die aktive Partizipation das Graben eigener Informationskanäle, die Unterordnungs- als Unterdrückungsverhältnisses zu
entlarven wissen und damit zu Orten des Antagonismus transformieren können. Gerade diese Strategie der Sichtbarmachung nicht repräsentierter Meinungen und Erfahrungen liefert in ihrer konfliktuellen Auseinandersetzung mit der bestehenden Ordnung die Möglichkeit einer Revitalisierung und Ausweitung demokratischer Prozesse. Neben diesen beiden Ebenen,
eröffnet sich mit den digitalen Medien noch ein weiteres Feld, nämlich das des virtuellen Raums, der seit Mitte der 1990er Jahre auch zunehmend für neue Praxen der politischen Aktion genutzt wurde. Mit dem Ende von Public Netbase verliert die lokale wie internationale Netzkultur einen wichtigen Standort für eine solch selbst bestimmte Nutzung neuer Medien.
Denn so viel steht fest: "Kritik zu üben kann nicht bloß Privilegium irgendeiner Autorität sein.“45 Und so lebt auch Public Netbase als beispielhafte Gegeninstitution weiter – mit der ganzen Kraft einer Totgesagten.

 

 

NOTES

 

1 Der Ausgangspunkt dieser Fragestellung findet sich bereits in meiner Diplomarbeit Zur Radikalisierung des
Politischen. (Gegen-)Hegemonie im Zeitalter Neuer Medien (Universität Wien), deren Ergebnisse hier in
exzerpierter Form dargestellt und mit meinen Forschungen zum Netzpionierprojekt Public Netbase verknüpft
werden.
2 Vgl. Daniels, Dieter: Medien -> Kunst / Kunst -> Medien. Vorformen der Medienkunst in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts, 2004, unter URL:
http://www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/vorlaeufer/1/ (03.08. 2007)
3 Als neue Medien werden heute zumeist Informations- und Kommunikationsmittel bezeichnet, die auf Daten in
digitaler Form zugreifen, also z.B. E-Mail, WorldWideWeb, DVD, MP3, usw. Der Begriff selbst ist allerdings
nicht so neu wie es zunächst den Anschein hat, sondern tauchte in den letzten Jahrzehnten immer dort auf, wo
neue Medientechnologien den Alltag der Menschen zu revolutionieren versprachen (neben dem Radio wurde
etwa auch das Fernsehen oder der aus dem kollektiven Gedächtnis wieder verschwundene Bildschirmtext als
neues Medium charakterisiert). Die Schreibweise dient hierbei dem gängigen Geschäftsmodell, die jeweilige
Ware als das absolut Neue und somit Unverzichtbare anzupreisen. Insbesondere der Cyberhype der späten
1990er Jahre fetischisierte so den Begriff zusätzlich, um damit die immer größere werdende Kluft zwischen
Börsenerwartung und Realwirtschaft zu verdecken.
4 Marchart, Oliver: Eingeklemmt zwischen politischer Kunstöffentlichkeit und öffentlicher Kunstpolizei, in:
Kulturrisse, Nr. 01/05, 2005, S. 5
5 Ebd., S. 5
6 Vgl. Laclau, Ernesto/Mouffe, Chantal: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des
Marxismus, Wien (Passagen), 2000
7 Vgl. Apprich, Clemens: Auszeit in der Kampfzone. Ein Rückblick auf die urbanen und symbolischen
Konfliktlinien der Public Netbase, 2007, unter URL: http://www.netbase.org/t0/intro/06 (03.08.2007)
8 Jaschko, Susanne: Der öffentliche und der Datenraum der Stadt. Urbane Kunst in Zeiten verlorener Privatheit,
2007, unter URL:
http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=/tp/r4/artikel/25/25011/1.html&words=Susanne%20Jaschko&T
=susanne%20jaschko
(03.08.2007)
9 Der Begriff "Informationsgesellschaft“ bezeichnet eine auf den neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien basierende Transformationsgesellschaft, die sich im Übergang zu einer
postindustriellen Ökonomie befindet. Häufig wird diese auch als Vorläuferin zu einer immer komplexer
werdenden "Wissensgesellschaft“ verstanden, in der sich individuelles und kollektives Wissen vermehrt zur
Grundlage des sozialen und ökonomischen Zusammenlebens entwickelt.
10 Dietz, Steve: Öffentlichkeiten, 2004, unter URL:
http://www.medienkunstnetz.de/themen/public_sphere_s/public_sphere_s (03.08.2007)
11 Ebd.
12 Bosma, Josephine: Die Konstruktion von Medienräumen. Zugang und Engagement: das eigentlich Neue an
der Netz(werk)kunst, 2004, unter URL: http://www.medienkunstnetz.de/themen/public_sphere_s/medienraeume
(03.08.2007)
13 Ebd.
14 Ebd.
15 Vgl. Ludwig, Katharina: Wider die Nestkultur. Politische Konflikte um Public Netbase 1994-2006, 2007, unter
URL: http://www.netbase.org/t0/intro/05 (03.08.2007)
16 Da der Begriff "Hacktivism“ neben dem politischen Aktivismus auch das Wort Hacken enthält, wird er häufig
der technisch versierten Computerszene zugerechnet. Im Grunde ist die technische Umsetzung der oftmals auf
Sabotage und Blockade ausgerichteten Aktionen aber recht simpel, was aufgrund des symbolischen Wertes einer
möglichst breiten Unterstützung durchaus erwünscht ist. Da diese elektronischen Formen des zivilen
Ungehorsams (beispielsweise durch virtuelle Sit-ins oder Denial of Service-Attacken) auch die fragilen
technischen Ressourcen des Internet in Mitleidenschaft ziehen, stehen sie in direktem Gegensatz zum Hacker-
Primat eines möglichst freien und ungehinderten Datenflusses. Die beiden Lager stehen sich also seit Anbeginn
an kritisch gegenüber, was ironischerweise auf einen Mangel an Kommunikation zurückzuführen ist. Eine
beachtliche Ausnahme bilden hier vor allem die in Spanien und Italien aktiven "Hacklabs“, die eine Nahtstelle
zwischen politischen Gruppen und der Hackerszene bieten.
17 Vgl. Wassermair, Martin: Den Mächtigen eine lange Nase drehen… Taktische Netz- und Medienkultur als
politische Positionierung, in: Reader SOHO in Ottakring, 2005
18 Thiedeke, Udo: Wir Kosmopoliten. Einführung in eine Soziologie des Cyberspace, in: Ders. (Hg.): Soziologie
des Cyberspace. Medien, Strukturen, Semantiken, Wiesbaden (VS), 2004, S. 15
19 Der Begriff Cyberspace setzt sich aus der englischen Kurzform für Cybernetik (von griech. Kybernetike:
Kunst des Steuerns) und Space zusammen. Umgangssprachlich dient der Ausdruck Cyberspace heute zumeist als
Synonym für das Internet, wobei das Internet genau genommen bloß die technische Infrastruktur des Cyberspace
umfasst.
20 So war der Cyberspace bereits lange vor der massentauglichen Umsetzung des Internet durch das
WorldWideWeb Stoff wissenschaftlicher aber auch literarischer Auseinandersetzungen. Wörtlich ist von
Cyberspace erstmals in William Gibsons Roman Neuromancer die Rede, der damit zur Ikone der Cyberpunk-
Literatur aufstieg. Gibson beschreibt den Cyberspace als konsensuelle Halluzination eines computergenerierten
Raums.
21 Holmes, Brian: Signals, statistics and social experiments. The governance conflicts of electronic media art,
unter URL:http://www.noemalab.org/sections/ideas/ideas_articles/pdf/holmes_signal_statistics.pdf (03.08.2007)
22 Ebd.
23 Vgl. McLuhan, Marshall/Powers, Bruce: The Global Village. Transformations in World Life and Media in the
21st Century, New York (Oxford Univ. Press), 1992
24 Vgl. Becker, Konrad (u.a.): Die Politik der Infosphäre. World-Information.Org, Bonn (bpb), 2002, S. 26
25 Lovink, Geert: Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur, Opladen (Leske+Budrich), S. 7
26 Ebd., S. 15
27 Vgl. Rheingold, Howard: Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers, Bonn
(Addison-Wesley), 1994
28 Der "Netizen“ setzt sich aus den englischen Begriffen Network und Citizen zusammen und meint die
postmoderne Variante des auf die Französische Aufklärung zurückgehenden Citoyens. Er drückt damit ein
gewisses Selbstverständnis von Internetnutzern als Mitglieder einer weltweiten Gemeinde aus, die aktiv und
eigenverantwortlich ein autonomes Regelwerk (beispielsweise die Netiquette) bilden.
29 Arns, Inke: Soziale Technologien. Dekonstruktion, Subversion und die Utopie demokratischer
Kommunikation, 2004, unter URL:
http://www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/gesellschaft/ (03.08.2007)
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Maresch, Rudolf/Rötzer, Florian: Cyberhypes, in: Dies. (Hg.): Cyberhypes. Möglichkeiten und Grenzen des
Internet, Frankfurt a. M. (Suhrkamp), 2001, S. 17
33 Critical Art Ensemble: Elektronischer ziviler Ungehorsam, in: nettime (Hg.): Netzkritik. Materialien zur
Internet-Debatte, Berlin (Edition ID-Archiv), 1997, S. 39
34 Ebd., S. 47
35 autonome a.f.r.i.k.a gruppe: Stolpersteine auf der Datenautobahn. Politischer Aktivismus im Internet, in: ak –
analyse + kritik. Zeitung für linke Debatte und Theorie, Nr. 490, 17. Februar 2004
36 Vgl. autonome a.f.r.i.k.a gruppe: Handbuch der Kommunikationsuerilla, Berlin (Assoziation A), 2001
Das Projekt der Kommunikationsguerilla bezeichnet eine neue Form praxisorientierter Gesellschaftskritik. Ihre
Strategie besteht in einer Subversion bestehender Kommunikations- und somit Herrschaftsstrukturen. Sie bezieht
sich hierbei im Wesentlichen auf den bereits Mitte der 1980er Jahre von Umberto Eco geprägten Begriff der
"semiologischen Guerilla“. Die Subversivität von Kommunikationsguerilla – nicht zu verwechseln mit
Medienguerilla, die nur einen Teilaspekt derselben ausmacht – liegt demnach in einem Aufbrechen von
Herrschaftsverhältnissen auf der Ebene gesellschaftlicher Diskurse, um somit die vermeintliche Natürlichkeit der
herrschenden Ordnung zu untergraben.
37 Lovink, Geert: Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur, Opladen (Leske+Budrich), S. 8
38 Becker, Konrad: Terror, Freiheit und Semiotische Politik, in: Kulturrisse, Nr. 03/04, 2004, S. 33
39 Vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, München (UTB), 2002 (1972)
40 Wassermair, Martin: Public Netbase: Wem gehört die Kultur der Zukunft? Eine Wiener Netzkulturplattform
dringt in die globalen Konfliktzonen der Informationsgesellschaft vor, in: Bippus, Elke/Sick, Andreas (Hg.):
Industrialisierung<>Technologisierung von Kunst und Wissenschaft, Bielefeld (transcript), 2005
41 Ebd.
42 Jaschko, Susanne: Der öffentliche und der Datenraum der Stadt. Urbane Kunst in Zeiten verlorener
Privatheit, 2007, unter URL:
http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=/tp/r4/artikel/25/25011/1.html&words=Susanne%20Jaschko&T
=susanne%20jaschko
(03.08.2007)
43 Public Netbase: Nike-Klage gegen Kunstprojekt zurückgezogen, Pressemitteilung, Wien, 07. Jänner 2004,
unter URL: http://www.t0.or.at/nikeground/pressreleases/de/004
44 Druckrey, Timothy: Kontaminierte Enklaven. Überlegungen zum Verhältnis von Kommerzialisierung und
Dissens am Beispiel des Projekts "Nike Ground“, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, IX/4, 2003, S. 7
45 Ebd. , S. 8

www.t0.or.at
Content type
text
Projects Public Netbase
Date 2006

Tags

Medien Medienkultur Netzkultur Kulturpolitik Aktivismus internet Informationstechnologien Cyberspace Europa Österreich Martin Wassermair Konrad Becker Geert Lovink Timothy Druckrey Udo Thiedeke Critical Art Ensemble CAE autonome a.f.r.i.k.a. gruppe Kommunikationsguerilla
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