Ein Gespräch von Dorothea Franck und Georg Franck zum Thema "Ökonomie der Aufmerksamkeit"
Georg Franck: Zur Ökonomie der Aufmerksamkeit: das ist natürlich ein weites Feld. Der Grundgedanke ist der: Aufmerksamkeit ist etwas sehr knappes. Wir leben in der Informationsgesellschaft und merken es daran, daß wir uns vor Information nicht mehr retten können. Das knappe Gut in der Informationsgesellschaft ist nicht die Information, sondern das ist die Kapazität mit dieser Information etwas anzustellen, sie auszuwählen, sie zu verarbeiten. Kurz: die Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut und wird aber dadurch immer knapper, daß die interessanten Verwendungsmöglichkeiten dieser Aufmerksamkeit zunehmen. Die Dinge, die am allerknappsten oder chronisch knapp bei uns sind, wie z.B. Zeit und Geld, werden nicht dadurch knapper, daß man sich mehr davon nimmt oder mehr verdient. Sondern sie werden dadurch knapper, daß die Verwendungsmöglichkeiten zunehmen.
Geld z.B. ist gerade dann chronisch knapp, wenn es auch genug davon gibt und wenn kein Mangel an ihm besteht. Das ist die eine Seite dieser Ökonomie der Aufmerksamkeit, die Knappheit von Aufmerksamkeit, als "selbstaufzubringende Energie". Energie, der Engpaßfaktor schlechthin, in der Informationsgesellschaft. Aufmerksamkeit ist aber eben nicht nur als selbstaufzubringende Energie knapp, sondern auch als Zuwendung fremder Aufmerksamkeit, als die Beachtung die man findet bei anderen Menschen.
Und in dieser Eigenschaft als eine Art Einkommen, ist die Aufmerksamkeit sogar noch knapper. Der Kampf um die Aufmerksamkeit angefangen von den Medien, Publikationswesen, Werbung, usw. tobt nicht um die jeweils eigene, sondern um die fremde Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist ein sehr begehrtes und knappes Gut, schon dadurch, daß die jeweils eigene Aufmerksamkeit knapp ist. Durch die Verknappung merken wir, daß die Aufmerksamkeit der anderen Menschen natürlich schon immer ein höchst begehrtes Gut war, daß es etwas ist ohne das wir nicht einmal leben können, wir brauchen es. Kinder können an zuwenig Zuwendung sogar sterben, Erwachsene erleben den Mangel an Zuwendung bis hin zur Isolationsfolter.
Es ist also gar kein Wunder, daß mit dem Entstehen der Infrastruktur, daß Aufmerksamkeit in sehr großen Mengen zusammen kommt und umverteilt werden kann. Insbesondere durch die Medien entsteht eine neue Art von Ökonomie, ein neue Art von Merken, eine neue Art von Konkurrenz. Die Medien sind - in ganz entsprechender Art und Weise - Finanzinstitute für die Umverteilung, bis hin zur Kapitalisierung der Aufmerksamkeit. Und haben sich in ganz analoger Weise, wie zu Beginn der Industrialisierung die Finanzinstitute, Banken, Kreditwesen und Börsen herausgebildet.
Die Aufmerksamkeit hat nach ökonomischen Kriterien den Charakter einer neuen Währung, mit sehr hohem Gebrauchswert, andererseits inbegrifflichen Tauschwert. Die Medien übernehmen Bankenfunktionen, indem sie Kredite gewähren. Wer in den Medien auftreten kann bekommt einen ziemlichen satten Kredit, den er einlösen muß. Es muß sich für das Medium selbst lohnen, bis hin zur Börsenfunktion, daß die großen dicken Kapitale, sprich die Prominenzen, gekürt und im Kurswert gepflegt, bzw. gehandelt werden. Kurz, daß wir - ohne es gemerkt zu haben - in einer Art Transformation der Ökonomie gelandet sind, daß die Aufmerksamkeit dabei ist der Geldökonomie den Rang abzulaufen.
[...]
Dorothea Franck: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit spricht mich zunächst mal als Bild an, aber ich verstehe die Dinge eigentlich erst dann, wenn ich über das Ding, das mir vor der Nase steht noch ein anderes Bild entwickeln kann. Wenn ich den Fernseher einschalte, wird ja Aufmerksamkeit angezapft. Die Einschaltquoten, an denen ich mitarbeite, die werden ja ganz konkret umgesetzt. Was mir interessant erscheint, ist daß es der Kampf um die Aufmerksamkeit anderer ist.
Das Sammeln und Abkassieren von Aufmerksamkeit anderer, ist dann die Ökologie der Aufmerksamkeit. Die, die die Qualität der Aufmerksamkeit, die man in sich selbst hat, entwickelt. Medien entwickeln sich ungeheuer mit diesem Wahnsinnsangebot: "schau mich an, schau mich an, benütz mich", etc.
Parallel und anscheinend unabhängig davon, bewegt sich die ganze Szene, z.B. "New Age", Änderung in der Philosophie und auch in der Psychologie, die vielleicht das Pendant dazu sind. Wenn man Entwicklung so sieht, daß da nicht etwas völlig Neues entsteht, sondern das Dinge umverteilt werden und sich auseinander bewegen. Wenn sich in der einen Richtung etwas bewegt, dann ist anzunehmen, daß sich in der anderen auch etwas tut. Ich sehe das in gewisser Weise auch als eine Immunität die man sich versucht aufzubauen, sei es über Meditation, Yoga oder andere Psychologie, oder eine intuitive Filtrierung. Statt daß man sich um alles ein bißchen kümmert, gibt es da vielleicht Kulturen - die als ganz unabhängig gesehen werden - die einen kompensatorischen Effekt haben.
G.F.: Was mich reizt an diesem Zugang zur Aufmerksamkeit, ist nicht nur ein Art Kulturkritik fortzusetzen oder eine Kulturkritik zu einer tatsächlichen neuen Art von Ökonomie auszubauen. Das wäre sicher auch interessant, ist aber nur eine Schiene. In der theoretischen Ökonomie wird sehr lauthals eine Informationsökonomie gefordert, die kommt aber nicht recht in die Gänge. Ich fürchte deshalb, weil immer auf die Information gestarrt wird, d.h. daß muß doch ein wertvolles, knappes Gut sein, daß da gehandelt, verteilt, produziert wird. Das halte ich für den falschen Zugang. Das ist die eine Sache, das andere ist eine Art neuer Zugang zur Seele. Denn das Interessante an der Aufmerksamkeit, nicht an der eigenen - sondern an der anderen - ist ja nicht, daß man nur irgendwie registriert wird, in der Verkehrszählung, oder in eine Liste der Auflagenzahlen eingeht. Es geht darum, daß die eigene Person Gegenstand der Datenverarbeitung in anderen Datensystemen wird.
Der unglaubliche Kick daran, und warum diese Zuwendung fremder Aufmerksamkeit wirklich eine Art Droge ist und wahrscheinlich die schärfste aller Drogen ist, ist doch diese Vorstellung, daß man eine Rolle in dem anderen Bewußtsein spielt. In einer ganz anderen Welt, zu der man unmittelbar keine Zugang hat. Wir kennen alle nur unser eigenes Bewußtsein, keiner hat noch die Erlebniswelt eines anderen direkt inspiziert. Deswegen fragen sich ja viel Philosophen immer wieder, ob der Solizismus nicht doch recht hat, daß alles nur in der eigenen Vorstellung passiert, daß alles nur ein Traum in der eigenen Welt ist und ob es noch etwas jenseits davon gibt und ganz unklar ist, ob es das Bewußtsein im Plural gibt.
Völlig unintellektuell nehmen wir ganz selbstverständlich an, daß es dieses Bewußtsein im Plural gibt, weil wir es gar nicht anders aushalten würden, ohne uns von anderen beachtet zu wissen und zu wissen, daß wir eine Rolle im anderen Bewußtsein spielen. Jetzt kann man blöderweise diese Neigung und Lust diese Rolle im anderen Bewußtsein zu spielen Eitelkeit nennen, da habe ich auch gar nichts dagegen, weil alle Menschen, die halbwegs bei Trost sind, eitel sind. Ich würde sogar vorschlagen, daß die Eitelkeit eine Basis, eine der tragenden Säulen der Ethik ist. Nämlich, daß wir eine Rolle in dem anderen Bewußtsein spielen wollen und deshalb auch ein Gefühl, eine Empathie für dieses andere Bewußtsein entwickeln.
Wenn man es nicht so technisch ausdrückt, sondern so wie es eigentlich richtig ist, dann sollte man von der Seele reden. Wissenschafter sagen: ja, man muß an die Seele glauben. Natürlich die Seele kann man nicht messen, weil sie immer nur in der ersten Person zugänglich ist. Aber wir alle wissen wovon wir reden, wenn wir Seele sagen. Wissenschafter wissen das auch, wenn sie sich sich nicht gerade als Wissenschafter ausdrücken. Das Interessante nun an dieser Ökonomie - um darauf zurückzukommen - ist, daß sie zeigt, was ein wissenschaftliches Experiment nie zeigen kann. Man kann die Seele nicht objektivieren, man kann sie nicht zeigen, man kann nicht öffentlich demonstrieren, daß es so etwas gibt. Nur, wir haben als Demonstration inzwischen eine riesigen Industrie, der Geschäftssinn ist in dieser Hinsicht einfach cleverer, als der theoretische Sinn. [...]
Und die Industrie macht das nicht nur um Geld zu verdienen, nein, natürlich wird in der Werbung Geld verdient und in den Medien Geld verdient, aber das ist nicht Pointe.
Die ist die Fähigkeit der Medien Aufmerksamkeit in größten Stilen umzuverteilen. Und ich sage das jetzt nur als Stichwort - einen moderner Adel, der Adel der Prominenz.
Prominente sind ganz einfach Großverdiener oder Einkommensmillionäre an Aufmerksamkeit, die also an Größenordnungen mehr an Aufmerksamkeit einnehmen, als sie selber je aufbringen und spenden könnten. Der Witz an den Medien ist, wenn die alles durch Geld motivieren müßten, was in ihnen passiert, dann wäre das eine ziemlich langweilige, uninteressante Industrie, aber weil sie eben mit diesem Lockmittel reizen können: "Bei mir kannste prominent werden und sonst nirgends!", prägen sie die besten Geister, die interessantesten Leute, die tollsten Schönheiten, die größten Talente, alles was man will, kriegen sie dran.
Und daß dann daran Geld verdient wird, ist fast ein Nebenprodukt, obwohl auch nicht so uninteressant, wenn man bedenkt, daß das modernste Medium, die modernste Branche in dieser Aufmerksamkeitsökonomie das private Fernsehen ist, daß sich nur durch Werbung finanziert.
D.h. das Medium muß als Medium so viel Aufmerksamkeit verdienen, daß es die Bildschirme, seine Oberfläche als Werbefläche verkaufen kann. Werbung heißt die Attraktion von Aufmerksamkeit als käufliche Dienstleistung anzubieten. Also kommen die Einkünfte an Aufmerksamkeit auch für das Medium vor dem Geld und erst im letztem Glied kommt es darauf an, daß es noch versilbert wird.
Dieser Gedanke, der schüttelt einiges durcheinander. Das, was kulturkritisch als Zynismus, als zynisches Massengeschäft angeprangert wird, daß das gerade ausgerechnet ein neuerer Zugang zur Seele sein soll. Was sonst ja geleugnet wird, zumindest belächelt wird. Ja, das gefällt mir.
D.F.: Ich weiß warum ich keinen Fernseher habe, weil mir da irgendwie etwas einseitig abgezapft wird. Ich bekomme da zwar was zurück, nämlich Bilder und sogenannte Informationen, aber wie ist es dann mit anderen Medien, vielleicht weil da eine Einseitigkeit da ist, ist das vielleicht der Punkt, daß sich das Fernsehen, wie es heute ist, nur mehr eine ganz kurze Periode in der Geschichte - wenn man länger denkt, als zwanzig Jahre - nur eine "Minute" lang halten konnte.
Wie ist das dann mit sogenannten interaktiven Systemen, wie interaktiv sind interaktive Systeme in historischen Systemen ? Wie wäre das dann mit Aufmerksamkeit ?
G.F.: Ich glaube, da gibt es zwei Ansichten. Eine realistische und eine utopische. Ich fange mit Letzterer an. Wenn wir an die Medien denken, an diesen Kapitalismus im Geist, ist es ganz richtig auch an einen neuen Sozialismus zu denken und den Slogan von diesem neue Sozialismus hat Andy Warhol bereits ausgerufen.
Das Glück der Zukunft der Menschen wird sein, einmal im Leben 10 min berühmt zu sein. Also einmal zu erleben, wie das ist, wenn einmal alle kucken. Wenn es so etwas geben sollte - und so etwas kann man sich nur durch ein interaktives Netz vorstellen. Daß man es wirklich schafft, daß nicht nur ein Paar mitmachen, bei dem was man im Netz macht, sondern - "siehe da" - sich plötzlich zuschalten und kucken .
Daß die Entwicklung dahin geht wäre sehr gut möglich. Ich glaube nur nicht, daß daß das Großkapital stürzen wird, denn man muß sich vorstellen, das hat sich etabliert und von diesem großen Kapital ist eine ganze Klasse von Großverdienern abhängig.
D.F.: Eine ganze Klasse an Großverdienern an Aufmerksamkeit ?
G.F.: Eine ganze Klasse an Prominenten und die, die es werden wollen, ist davon abhängig und es ist hier natürlich auch sehr viel Talent gebunden. Und wer ganz reich werden will, der muß durch das Kreditwesen, durch die Börse. Wenn er ein ganz dicker Fisch werden will, muß er dort seinen Kurswert pflegen.
Konrad Becker: Mich interessiert, abgesehen von dem persönlichen Zugang denn es da gibt, die immaterielle Ökonomie, ich denke, daß es auch früher schon Beispiel gegeben haben muß. Wenn man vom Bankwesen der Aufmerksamkeit spricht, dann muß es ja auch möglich sein Aufmerksamkeit zu speichern. So wie Onkel Dagoberts Geldspeicher.
Ich glaube nicht, daß das auf einer magnetischen Ebene gelöst werden könnte, ich glaube nicht daß ein Bildarchiv der eigentliche Speicher der Aufmerksamkeit ist, aber es gibt da eine Analogie. Zwischen dem, was man in der Medienwelt als Idole und Stars bezeichnet, zu dem was früher die kultische Ökonomie der Aufmerksamkeit genannt wurde.
Ein Gast in Public Netbase, der über Netzwerkpolitik und Informationskriege gesprochen hat, war ein Religionswissenschafter und mich würde interessieren, ob sie da Zusammenhänge sehen.
G.F.: Oh ja, die Art Speicherung der Aufmerksamkeit, der eingenommen Aufmerksamkeit, ist der Star. Und zwar nicht so direkt, sondern auf eine mittelbare Art und Weise.
Prominent wird man dadurch, daß man nicht nur jetzt viel Aufmerksamkeit einnimmt, sondern dadurch, daß man schon eingenommen hat. und es reicht auch nicht - zumindest um einen Star zu bilden -, daß man schon sehr viel Aufmerksamkeit, eingenommen hat und niemand es gemerkt hat. Prominent wird man dadurch, daß alle aufkucken und aber auch sehen, daß die anderen ebenfalls aufschauen.
Das Wissen jedes Fans, daß es viele andere Fans gibt, und daß das schon länger der Fall ist, ist die erste notwendige Bedingung für die Geburt eines Stars. Es muß außerdem, außer den direkten Fans eine riesige Gemeinde, indirekte Fans geben, die nur deshalb schauen weil die anderen es tun. Jetzt kucken alle, da muß doch etwas dran sein!
Die Aureole des Stars, die Aura die den Star umgibt, ist das Wissen jedes einzelnen Fans und Betrachters, daß da jetzt unglaublich viel Aufmerksamkeit draufgelegt wird. Dieser Heiligenschein macht den eigentlichen Star. Umgekehrt gedacht ist das das Verfahren von Speicherung von Aufmerksamkeit.
Aufmerksamkeit verschwindet nie mehr ganz, sie verzinst sich im Medium der Aufmerksamkeit selbst. Das ist eine Form der Speicherung, natürlich gibt es auch eine andere Arten.
Wissen überhaupt ist kristallisiert Aufmerksamkeit.
[...]
D.F.: Aber Aufmerksamkeit läuft doch in der Zeit ab und ist daher ein nicht-speicherbares Gut. Geld, das ich verloren habe kann ich mit Glück zurückfinden, aber wenn ich meine Zeit, meine Aufmerksamkeit an irgend etwas verplempert habe, dann bekomme ich das nie mehr zurück.
[...]
G.F.: Das Speichern von Zeit ist nicht möglich. Aber bei diesem Kapitalismus im Geiste gibt es natürlich Ausbeutung. Der Prominente holt lebendige Aufmerksamkeit ab, sammelt sie und die kommt ihm dann zugute. Wenn dem Zuschauer wirklich etwas geboten wird, kann man sagen, das ist ein fairer Handel, wenn allerdings nur darauf geachtet wird, nur darauf gekitzelt wird, die Leute irgendwie am Schirm zu halten, wenn es nicht mehr darum geht ihnen etwas zurückzugeben, dann nicht. Die müssen nur möglichst lang vor der Glotze gehalten werden, ohne Rücksicht was mit ihnen passiert, das ist natürlich eine klassische Form der Ausbeutung.
Allerdings glaube ich nicht, daß das so bleiben wird, vielleicht bin ich da zu optimistisch.
D.F.: Und wie ist das mit Internet? Das ist vielleicht zu anarchistisch organisiert. Und das interessante daran ist, daß sich da so ein selbstorganisierendes System bildet. Eben dadurch könne sich bislang noch keine solchen Monopole bilden. [...]
Aber es wird viel Aufmerksamkeit von den nicht interaktiven Medien abgezogen und ich glaube, daß es die Fernsehanbieter oder Medienanbieter einfach zwingt sich da etwas zu überlegen.
[...]
Kunst und die Ökonomie der Aufmerksamkeit:
D.F.: Es wird einem für die Herstellung und Konzentration Risiko abverlangt, man kann da eben nicht auf die Reaktion der anderen spekulieren. Es ist - in einer solizistischen, aber auch einer normalen mechanistisch gedachten Welt - unser Alltagsbewußtsein ist ja größtenteils mechanistisch - nicht erklärbar, warum wir an Kunst interessiert sein sollten, wenn Kunst nicht nach festen Regeln des Entertainments entsteht. Die bekanntesten Gedichte unseres Jahrhunderts sind ja solche von denen kein Mensch sagen kann: ich verstehe das ein für allemal. Und trotzdem sind es ja diejenigen, die Aufmerksamkeit erregen, weil Menschen sagen: das gibt mir was.
Das ist nur dann möglich, wenn man sich eine Welt vorstellt, ein "nicht-getrenntes" Universum, in dem das, was wir als Geist empfinden, ungetrennt ist von dem, was andere machen. Nur dann kannst du verstehen, daß du Dinge verstehen kannst, die absolut unverständlich gemacht sind. Ich mache dann die beste Kunst, wenn ich sie ganz für mich mache. Wenn ich nicht links und rechts schaue.
Im Individuellsten muß ein Beruhigungspunkt sein, der tiefer geht im Vergleich zu dem, was Aufmerksamkeit abzapft.
Ich möchte hier eine Kurve drehen hin zu Paul Celan, der sehr viel Aufmerksamkeit bekommt, obwohl er absolut kryptisch ist. Er sagt: Ein Gedicht ist eine Flaschenpost.
Es kommt aber genau da an, wo es ankommen soll. Er redet aber noch etwas prosaischer dazu: Ein Gedicht oder ein Kunstwerk, das nicht auf die Aufmerksamkeit anderer von vornherein schielt, das ist eine selbstorganisierende Struktur, die sich selbst adressiert. Nämlich an den, der etwas damit anfangen kann, ganz ohne rationale Begründung.
Im Zusammenhang mit dieser sich selbstadressierenden Botschaft dachte ich mir: Wie entsteht in den weltweiten Informationsnetzen, in denen soviel ist, daß es kein Mensch in seiner Lebenszeit benutzen kann, und auch gar nicht will. Man hat manchmal mehr davon ein Bild gut anzuschauen, als hundert abzugehen, oder eine Seite eines Textes 20mal zu lesen, als 20 Seiten des Textes.
Ich habe die Vermutung, daß in der Poesie eine Art Intelligenz steckt, die konkret benutzt werden kann. Und zwar in diesem Überangebot, das sich da anarchistisch und selbstorganisierend zu etwas herausbildet, das man nur auf der Basis von Stil erkennen kann. In unserer Kultur gibt es - zusammenfallenden mit der Zeit der mechanistischen Weltbild - den Kult um explizite Information.
G.F.: Noch zu der Selbstadressierung. Ich glaube um mit dieser wahnsinnigen, erschlagenden Menge umzugehen, werden neue Verfahren ganz wichtig, vielleicht wird sogar ein neues Medium von Kunst entstehen. Ich kann nicht mehr alles durchbrowsen, das geht nicht mehr, ich kann nicht mehr alles überprüfen. Ich muß mit anderen Verfahren arbeiten. Ich kann nicht berechnen, nachprüfen, explizieren, sondern ich muß - wie ich von einem Gesichtsausdruck lese - auf - ich sage das jetzt ganz unvorsichtig - auf Stil achten. Gefällt mir das, gefällt mir das nicht ? (Eine Sache, die uns schon bei Markenlogos vorgemacht wird, da gibt es eben Gute und Schlechte und die Guten sind die, die drin bleiben.)
Bisher ist nur die Geistesmechanik nach außen exteriorisiert worden, jetzt werden, andere, intuitive Fähigkeiten gesucht, um zu neuen Formen zu kommen. Du hast da einen guten Spruch getan: "Poetry is the language of the future." Ob in Worten, als eine visuelle Erscheinung, Musik oder sonst wie, die uns anders anspricht als einfach nur diskursiv. Ich sehe das in Zusammenhang mit einem anderen Trend, nämlich dem, was mich immer schon an Computern interessiert hat, daß sie die Grenzen des Berechenbaren zeigen. Und es wird durch die intensive Beschäftigung mit Computern immer deutlicher, daß es in unserem Bewußtsein, unserer Intuition, unserer Aufmerksamkeit Fähigkeiten gibt, die mit Berechenbarkeit nicht in den Griff zu kriegen sind.
Daß es auch in der Natur sehr viel Phänomene gibt, die einfach nicht berechenbar sind, die ganze Quantenphysik steht dafür, daß es da sehr viel geben könnte. Ich könnte mir vorstellen, daß durch das Ausreizen der Möglichkeiten der Berchenbarkeit, deutlich wird, daß das Berechenbare nur eine kleine Insel im Ozean des Unberechenbaren ist. Daß diese Welle mit Chaos und deterministischen Chaos nur eine kleine Vorwelle war. Das Chaos ist ja nur aus praktischen Gründen unberechenbar ist, es ist ja nur auf Grund von Nichtwissen chaotisch.
Aber, daß es riesige Bereiche von echtem Zufall, von echter Nichtberechenbarkeit gibt, und daß diese Bereiche nicht nur durch Negativbeweise in der Physik, oder Logik, oder Mathematik gezeigt werden, sondern durch neue Verfahren, autonome Agenten, die etwas ganz anderes machen, Dinge die nur durch Stil zu uns sprechen, sichtbar gemacht werden.
Warum eine Gedichtzeile bei uns so einschlägt, ist ja nicht, daß wir das diskursiv nachvollziehen können, und trotzdem ist es so. Aber warum ein Jacobsen-Stuhl schöner als ein anderer ist, können wir auch nicht berechnen, sondern ist ein "siehe da".
Wir erkennen nicht nur durch Berechnung, das Gehirn ist nicht nur ein Computer, der durch wahnsinnig komplizierte Berechnungen diese intuitiven Fähigkeiten hat, sondern es gibt auch etwas anderes. Und dazu kommen wir nur, in dem wir uns durch den Griesbreiberg der Berechenbarkeit durchfressen. In diesem Sinne verstehe ich "Poetry is the language of the future".
[...]
D.F.: Der Mythos des handelnden Subjekts bricht zusammen, den sobald man weiß, da kann man nur durch Introspektion dazu, wird deutlich, daß schon auf der Ebene des Denkens, des Gedankens keine Rede von einem handelnden Subjekts sein kann. Es ist ununterscheidbar, ob man gedacht wird, oder denkt. Die Sprache sagt ja auch: mir kommt ein Gedanke. Warum hat Intuition traditionell so eine schlechte Presse ? Ich denke es hat damit zu tun, daß unsere Kultur einen Kult der Kontrolle hat. Die Berechenbarkeit so weit wie möglich auszubreiten hat nämlich auch was demokratisches. In dem Sinn, daß es nachvollziehbar ist. Also wenn du das denken kannst, was du mir hier beweisen willst, dann muß ich das auch denken können, vorausgesetzt ich folge den gleichen Regeln. Während Intuition zwar diese überraschenden Begegnungen in manifesten Formen, wie der Kunst hat, bei denen ich merke: ah, ich bin nicht allein auf der Welt.
Intuition ist etwas verletzliches, und der eine hat sie anders ausgebildet als der andere und in unserer Kultur gibt es auch kaum Institutionen, die z.B. die Verfeinerungen der Sinnlichkeit ein gemeinsames Lernziel machen. Warum hatte man so Angst Intuition als Erkenntnisweg anzuerkennen ?
[...]
G.F.: Ich finde es sehr wichtig diese Frage zu klären. Vor der Aufklärung durfte die Intuition fröhliche Urstände feiern und um diese Macht zu durchbrechen war es unbedingt notwendig auf Rationalität, auf Begründbarkeit, auf öffentliche Demonstrierbarkeit zu pochen. Auf das nicht gilt, was nicht vor allen gezeigt werden kann.
Aber weil die intuitiven Methoden nicht demonstrierbar sind, ist man angewiesen auf die Glaubhaftigkeit, auf die Wahrhaftigkeit der Person. Man muß es dem Stil ansehen, trau ich dem oder trau ich nicht. Das müssen wir wahrscheinlich erst wieder lernen, weil wir den Weg zurück nicht machen können.
Aber damals in den Hochzeiten des Absolutismus und des perfekt dogmatisierten Kirchenglaubens, wurden diese intuitiven Methoden so stark verwendet um einen Machtapparat zu halten. Dagegen half eben nur äußerste Hygiene, da mußte die Intuition eben insgesamt dran glauben. Unter den Folgen leiden wir jetzt, aber umgekehrt haben wir von den Folgen dieser Reinigungen und Hygiene unglaublich profitiert und sind dadurch in die privilegierte Lage gekommen, jetzt von einer relativ durchgesetzten Rationalität her, diese Intuition wieder zuzulassen. Das ist eine ganz andere Lage und eine beneidenswerte Lage im Vergleich zu den Anfängen der Aufklärung.
K.B.: Was mir an dem Bericht der Ökonomie der Aufmerksamkeit wichtig erscheint, ist das auf Hedonismus als Lösung bestimmter sozialer, kultureller, auch ökologischer Probleme hingewiesen wird.
G.F.: Ein grundsätzliches Wort zur Ethik: die Menschen verhalten sich - behaupte ich - im Großen und Ganzen ziemlich moralisch. Die Gesellschaft ist sehr aktiv in der Mobilisierung moralischen Drucks. Aber die Menschen sind sicher nicht moralisch, aus dem Grund, daß sie einer abstrakten Regel - "du sollst" - folgen.
Deswegen hat sich die Befürchtung auch nicht bewahrheitet, daß die Menschen unmoralisch werden, wenn ihr Kirchenglauben und die Drohung, daß sie in die Hölle kommen verschwindet, sondern die Menschen sind, wenn sie moralisch sind, moralisch aus Klugheit.
Weil sie sehen, das ist besser für mich. Es ist anstrengend und unökonomisch, und deswegen schwindeln die Menschen die ihre Interessen zu wahren wissen im Großen und Ganzen nicht.
Ethik kann sehr rational in dem Sinne sein, daß man sie als klug erkennt. Und auch ein Heiliger erkennt seine Lebensweise als ins seinem Sinne das Klügste und Beste an.
Wenn man die Eitelkeit einbezieht, scheint es so zu sein, daß es in einem durchaus hedonistischen Sinne klug werden kann, sich ausgesprochen ethisch zu verhalten. Es kann gezeigt werden, daß Egoismus und Altruismus gar nicht so weit auseinander liegen.
G.F.: Ein Weltbild als Kosmos vieler einzelner, aufmerksamer Wesen, oder Seelen, im Sinne einer Monadologie, mit dem Ziel möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In dem Sinn, daß man selbst in möglichst vielen dieser anderen Welten Gastrecht genießt und sich in dieser anderen Aufmerksamkeit sonnt, eine metaphysisch weitergeführte und überhöhte persönliche Eitelkeit - ganz unvorsichtig ausgedrückt -.
Das könnte wirklich ein ökologisches Weltbild sein, in dem, daß man sich sehr genau jedem einzelnen Lebewesen gegenüber überlegt, was in die eigene Welt übergeht. Jemand, der dieses Weltbild hat, geht mit seiner Umwelt sehr anders um und es wäre kein Weltbild mit einem "du sollst" an der Spitze, sondern zunächst wäre es ein Abenteuer sich in dieses Weltbild einzuleben.
Content type | text
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Projects | Zero News Datapool Public Netbase |
Date | 02.06.1995 |
Location | Public Netbase, Vienna |