TAG MAPcontentquery
LOG

MAP BROWSING HISTORY

MAP LEGEND

CONTENT TYPES
Texts Videos Images Authors Projects
TAG TYPES
General Tags Technologies Authors Places Names
SPECIAL TYPES
Root Topics

Mehr Raum für Kultur. Von Ruhestörungen, Hausbesetzungen und Repression

Die Forderung nach Räumen und Flächen in der Stadt, die selbstbestimmt bespielt und benutzt werden können, ohne an eine kommerzielle Verwertung zu denken, stellt seit vielen Jahrzehnten jede Generation aufs neue.


 

Die Forderung nach Räumen und Flächen in der Stadt, die selbstbestimmt bespielt und benutzt werden können, ohne an eine kommerzielle Verwertung zu denken, stellt seit vielen Jahrzehnten jede Generation aufs neue. Eigentlich – so könnte man meinen – sollten Stadtverwaltungen außerordentlich glücklich über den Umstand sein, dass BewohnerInnen »ihrer« Städte großes Interesse zeigen, meist uneigennützig und sehr engagiert zum kulturellen Leben, zur intellektuellen Debatte und zum sozialen Engagement beizutragen. Trotzdem sind die Widerstände, die von Seiten der Kommunen dieser Art von Engagement entgegengestellt werden, für viele AktivistInnen nur durch außerordentliche Beharrlichkeit und für manche gar nicht zu überwinden.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die 1960er-Jahre waren es vor allem die Keller der Stadt, die als Bühnen für Kabaretts, Theater und Musik genutzt wurden. Viele davon gibt es heute nicht mehr, andere sind mittlerweile etabliert und dementsprechend mit nur mehr gering ausgeprägtem kritischen Potenzial ausgestattet. Als in den späten 1960er- und 1970er Jahren über neue Lebensformen, die eine Aufhebung der Trennung von Arbeit, Leben und Freizeit vorsahen, diskutiert und neue Formen des Zusammenlebens abseits der Kleinfamilie ausprobiert wurden, waren Keller keine geeigneten Orte mehr. Bauernhöfe für die Stadtflüchtlinge, ehemalige Gewerbeund Fabriksräumlichkeiten für die Urbanen boten den Rahmen, um selbstbestimmtes Leben und künstlerische Ambitionen zu verwirklichen. Bekannte internationale, bis heute existierende Beispiele aus dieser Zeit sind die Rote Fabrik in Zürich, der Mehringhof in Berlin oder Christiania in Kopenhagen, wobei es sich bei letzterem um ein ehemaliges Militärgelände handelt. Auch die bis heute aktiven Wiener Kulturinitiativen Arena und WUK sind Kinder der Aufbruchstimmung dieser Zeit.

Viele der Hausbesetzungen, die sich ab den späten 1970er Jahren in europäischen Städten immer größerer Beliebtheit erfreuten, hatten ihren Ursprung im Widerstand gegen rücksichtslose Sanierungsvorhaben, die der Bewohnerschaft der Viertel keinerlei Mitsprachrecht einräumten. Hausbesetzungen gibt es bis heute immer wieder, längerfristig erfolgreich Projekte sind in Wien aber nicht mehr entstanden, seit im Jahr 1990 die ehemalige Wielandschule besetzt und zum EKH gemacht wurde. Den hartnäckigsten Versuch in diese Richtung unternahm die Gruppe Freiraum, die vor einigen Jahren am Campus des Alten AKH ein (bis heute) leer stehendes Gebäude mehrmals besetzte. Die Univerwaltung in Person des Rektors war nicht ansatzweise bereit, über eine Nutzung des Gebäudes zu verhandeln und ließ die Angelegenheit durch die Polizei regeln. Diese agierte, wie sie es im Fall von Hausbesetzungen schon immer tat: mit äußerster Brutalität.

All die oben erwähnten Formen der Raumaneignung, seien sie nun legal oder illegal, sahen sich regelmäßig mit Repression (oder zumindest passivem Widerstand) konfrontiert, die von einer einfachen Anzeige wegen Ruhestörung bis zu Verhaftungen und dem Abriss des Gebäudes wie bei den Hausbesetzungen Ägidi- und Spalowskygasse reichten. Für die Stadt Wien stehen seit jeher die traditionellen, etablierten, touristisch gut verwertbaren Institutionen der klassischen »Hochkultur« im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie verschlingen den allergrößten Teil des Kulturförderbudgets. Der Rest – so gewinnt man zumindest den Eindruck – sind ungeliebte Kinder, die mit ein paar Brösel abgespeist werden. Wenn diese international zu prominent werden oder einflussreiche FürsprecherInnen gewinnen, gibt es ein wenig mehr. Aber selbst große und seit langer Zeit existierende Häuser wie das bereits erwähnte WUK oder die Arena, die ihre Ursprünge in der Sub- und Alternativkultur haben, sind weit davon entfernt, den Förderstatus zu erreichen, den etwa größere Theater haben. Kein Wunder, dass heute viele der zahlreichen Wiener Initiativen erst gar nicht mehr den Weg über die Kulturförderung der Stadt einschlagen, sondern abseits jeglicher Unterstützung der öffentlichen Hand ihre Vision von kulturellem Engagement umsetzen.

Seit einigen Jahren rücken die zahlreichen leerstehenden Geschäftslokale zusehends ins Interesse Kulturschaffender. Etliche Kunstfestivals haben mit großem Aufwand versucht, die Nutzung solcher Räume anzuregen oder sie für eine Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen: Neben dem seit zehn Jahren stattfindenden und daher weithin bekannten SOHO in Ottakring gab und gibt es beispielsweise die Initiativen Making It, Cultural Sidewalk, Unternehmen Capricorn oder Wolke 7. Solche Projekten evozieren allerdings auch Fragen, die von den InitatorInnen zu Beginn oft nicht bedacht werden: Machen sich Kulturschaffende zu (selbstausbeutenden) ErfüllungsgehilfInnen wirtschaftlicher Interessenvertretungen wie der Wirtschaftskammer? Zu günstigen ImpulsgeberInnen für innerstädtische Einkaufsstraßen, indem sie durch die kreative Belebung dazu beitragen, dass leerstehende Geschäftslokale der potenziellen Kundschaft nicht die Einkaufsatmosphäre vermiesen? Hat die Nutzung dieser Lokale eine Gebietsaufwertung zur Folge, die Mieten steigen lässt und zu Gentrification führt? Kurz dazu: Gentrification ist in Wien sicher ein geringeres Problem als in anderen Großstädten. Das Mietrecht ist stark und mit legalen Mitteln sind MieterInnen nicht aus ihren Wohnungen zu vertreiben, wenn sie ihre Miete bezahlen und sich keiner groben Verstöße gegen die Hausordnung schuldig machen. Auch die Höhe der Miete ist in Kategoriezinswohnungen genauen gesetzlichen Regelungen unterworfen und kann nicht beliebig erhöht werden. Die BewohnerInnenstruktur ändert sich in Gebieten, die für ein bestimmtes (besser verdienendes) Klientel durch eine steigende Anzahl von Kultureinrichtungen interessant wird, jedoch trotzdem. Die neuen InteressentInnen sind bereit, für frei werdende Wohnungen um einiges mehr an Miete zu bezahlen als die VormieterInnen. Diese Entwicklung kann mit der Zeit auch teurere Geschäfte und Restaurants nach sich ziehen, was den Charakter eines Viertels im Laufe der Jahre natürlich verändert. Oben erwähnte Zwischennutzungen sind die größte Gefahr für Kulturinitiativen sich zum Werkzeug ökonomischer Interessen machen zu lassen, ohne selbst entsprechenden Nutzen daraus zu ziehen. Für zeitlich begrenzte Projekte kann eine Zwischennutzung dennoch sehr gut geeignet sein. Wenn sie langfristig vereinbart sind und eigenständig funktionieren, ist es zudem oft nicht unwahrscheinlich, dass es zu einer Verlängerung des Nutzungsvertrages kommt.

Eines der größten und international interessantesten Zwischennutzungsprojekte ist derzeit die NSDM Werft in Amsterdam. Die Stadt selbst lud zur Einreichung von Zwischennutzungskonzepten für das über acht Hektar große Gelände, wovon zwei Hektar mit Gebäudeflächen bedeckt sind. Ehemalige HausbesetzerInnen, die sich unter dem Namen Kinetisch Noord zusammengeschlossen haben, gingen mit ihrem Konzept als SiegerInnen hervor und erhielten einen (Zwischen-)Nutzungsvertrag von 2001 bis 2011. Die Stadt Amsterdam stellte zu Beginn 7,5 Mio. Euro für Gebäudereparaturen und Instandsetzungen zur Verfügung. Die Motivation der Stadt für dieses Engagement ist schnell erklärt: Amsterdams Stadtregierung erwartet sich durch die kulturelle Zwischennutzung eine Aufwertung des Entwicklungsgebiets und plant, auf benachbarten Hafen- und Industriebrachen ein neues Stadtviertel zu bauen. Die große Frage nach der Zukunft des Projekts stellt sich 2011, wenn der Vertrag mit Kinetisch Noord ausläuft: Wird die bestehende Option auf Vertragsverlängerung schlagend oder wird die Stadt versuchen, das zentrumsnahe Gebiet, das (nach jahrzehntelangem Dahinsiechen) durch Kinetisch Noord mit Kultur und Leben erfüllt wurde, ökonomisch ertragreicher zu verwerten? Ein ähnlich großes Projekt besteht auch in Basel mit dem nt*areal des Vereins k.e.i.m. Große Bekanntheit erlangte auch die Zwischennutzung des Palasts der Republik, des ehemaligen Parlaments- und Kulturhauses der DDR, in Berlin. Die NutzerInnen rund um urban catalyst bespielten die riesigen und weitläufigen Räumlichkeiten nicht nur mit einem spannenden und originellen Programm, sie erstellten auch eine Machbarkeitsstudie und ein Realisierungskonzept. Trotz großer auch internationaler Unterstützung konnte der Abriss jedoch nicht verhindert werden. Ein bekanntes Wiener Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist das Kabelwerk, das einige Jahre im Rahmen einer bespielt wurde. Das Projekt wird nun, nachdem die Fabrikgebäude der Wohnanlage gewichen sind, in Form eines Kulturzentrums innerhalb der Wohnhausanlage fortgesetzt.

Die angeführten Beispiele aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen gut, wie harmonisch sich der Raumbedarf von Kulturinitiativen mit der Stadtentwicklung in Einklang bringen ließe, würden die Kommunen hier offensiver vorgehen. Vom aufgelassenen Schlachthof über die stillgelegte Brauerei, von der leeren Fabrikhalle zum geschlossenen Geschäftslokal kann alles so adaptiert werden, dass eine kulturelle oder soziale Nutzung möglich ist und das gilt nicht nur für Gebäude und Räume, denen ihre ursprüngliche Nutzungen abhanden gekommen sind. Auch bei Wohnungsneubauten ist eine sinnvolle Nutzung der Erdgeschoßzonen immer eine besondere Herausforderung, weil sie als Wohnraum zumeist unattraktiv sind. An eine kulturelle Nutzung wird von den Bauträgern trotzdem kaum gedacht. Dabei könnten gerade bei Neubauten durch eine bereits in der Planung mitgedachte kulturelle Nutzung die üblicherweise sofort genannten Lärmbelästigungsprobleme verhindert oder zumindest auf ein Minimum reduziert werden.

Warum die Wiener Stadtverwaltung bis heute auf diese Entwicklungen nur sehr zurückhaltend reagiert, ist schwer verständlich. Man sollte meinen, dass es keine allzu große Aufgabe sein kann, eine Schnittstelle zu schaffen, die nicht nur über eine Datenbank mit möglichen Objekten verfügt, sondern auch über soviel Budget und Einfluss, dass sie ohne langwierige Verhandlungen mit unzähligen anderen Abteilungen Projekte und Ideen gemeinsam mit Raumsuchenden in einem akzeptablen Zeitraum umsetzen kann. Der Bedarf auf Seite der Kulturschaffenden ist mehr als vorhanden, die Räume sind vorhanden und es ist kaum vorstellbar, dass die Stadtverwaltung es gemeinsam mit der Wirtschaftskammer nicht zu Wege bringt, zumindest einige der vielen leerstehenden Geschäftslokale den Raum suchenden Kulturinitiativen kostengünstig anzubieten. Das Argument, dass manche Hausbesitzer wenig Interesse haben, ihre Räume an Kulturinitiativen zu vermieten, mag in vielen Fällen durchaus seine Berechtigung haben. Durch steuerliche oder anderweitige Vorteile, wenn Räume gegen Bezahlung der Betriebskosten an gemeinnützige Gruppen vermietet werden, ließe sich aber sicher so mancher skeptische Hausbesitzer überzeugen. Hier besteht eindeutiger Handlungsbedarf für PolitikerInnen und WirtschaftsfunktionärInnen.

Dass kultureller Raumbedarf besteht, ist unbestritten. Der Druck auf größere Kulturinstitutionen, ihre Häuser ökonomisch zu verwalten und eigene Ressourcen wie z.B. Veranstaltungsräume nicht unter den marktüblichen Preisen anderen zur Verfügung zu stellen, ist eine der Triebfedern der Entwicklung. Ebenso haben die steigenden Eintritts- und Getränkepreise bei einstmals alternativen Veranstaltungsorten dazu geführt, dass der Bedarf an neuen alternativen Orten in den letzten Jahren stark angestiegen ist und auch eine ganze Reihe neuer Veranstaltungslokale eröffnet wurden. So schätzt die IG Kultur Wien, dass sich ein Drittel ihrer Mitglieder auf Raumsuche befindet und ein weiteres Drittel nur über schlecht geeignete Räume verfügt. Eine kleine und nicht repräsentative, aber dennoch sehr aussagekräftige Umfrage unter Menschen, die in den letzten zwei, drei Jahren Räume für Galerien Veranstaltungen etc. angemietet haben, ergab, dass kaum einer dieser Räume von der Stadt Wien gefördert wird, und es auch sonst keinerlei Unterstützung von dieser Seite gab. Bevor man sich von Abteilung zu Abteilung im Kreis schicken und zermürben lässt, so der Tenor, wird auf das kulturelle Gnadenbrot ganz einfach verzichtet. Viele Initiativen haben daher nicht einmal versucht, eine Unterstützung für ihre Kulturprojekte zu bekommen, weil sich diese neue Generation von Kulturschaffenden von Seiten der Stadt ganz einfach nichts erwartet. Finanziert werden diese neuen Kulturräume zum Teil durch Fördergelder für Ausstellungen, die meist vom Bund kommen, durch Spenden, Vereins-Barbetrieb und privates Geld.

In Wien (wie in vielen anderen Städten) wird derzeit viel Energie in Bemühungen gesteckt, aus Kunst- und Kulturschaffenden UnternehmerInnen zu machen. Die Stadt lässt es sich nicht nehmen, beim großen Hype um die Creative Industries, den sich in den letzten Jahren so ziemlich alle größeren Städte auf die Fahnen geschrieben haben, mit dabei zu sein. Kulturelle Entwicklungen abseits direkter und unmittelbarer ökonomischer Verwertbarkeit scheinen dabei nicht von Interesse zu sein. Ob nicht gerade sie die Basis für eine breitere und die kreative Landschaft einer Stadt nachhaltig befruchtende Entwicklung darstellen, sei zur Diskussion gestellt.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es kann und soll nicht darum gehen, die Stadt zu verpflichten, jede kulturelle Äußerung mit Fördergeldern zu unterstützen und es ist erfreulich, dass neue Aktivitäten auch ohne Subventionen entstehen. Von einer sich selbst als Kulturmetropole verstehenden Stadt darf man sich jedoch erwarten, dass sie Kulturschaffenden logistische und finanzielle Unterstützung möglichst unbürokratisch gewährt, speziell dann, wenn damit nicht nur den Initiativen selbst geholfen wird, sondern auch positive Maßnahmen zur Stadtentwicklung gesetzt werden können.

Content type
text
Projects Phantom Kulturstadt
World-Information Institute
Texte zur Zukunft der Kulturpolitik II
Date June 2009

Tags

Raum Ordnung Freiraum Gruppe Freiraum SOHO nt*areal Stadtentwicklung Gentrifizierung Hausbesetzung Repression Subvention Wien Amsterdam Berlin Arena, Wien WUK Altes AKH, Wien Basel Palast der Republik Kabelwerk Kinetisch Noord k.e.i.m. Christoph Laimer
No query in this session yet. Please use the tag map to the left to get a listing of related items.