Schloss-Souvenirs. Macht und Vermarktung im imperialen Wien
Manchmal scheint es zwischen Schloss und Dorf nicht viel zu geben, dann wird es manchmal kafkaesk. So erfährt es der Landvermesser K. im 1922 begonnenen, niemals vollendeten Roman »Das Schloß« von Franz Kafka. Ein rätselhaftes Verhältnis der Faszination und Unterwerfung verbindet darin zwei Orte: ein teils souverän, teils ruinös, auf jeden Fall phantomhaft regierendes Schloss und ein sich selbst und anderen verschlossenes Dorf in unergründlicher Ehrfurcht vor dem Herrscherhaus. Ein erhellendes Mysterium zur (kultur-)politischen Geographie.
Die (Re-)Produktion Habsburgs
Denn auch die Stadt Wien setzt in ihrer Präsentation als (Kultur-) Hauptstadt vor allem auf ein Schloss – Schönbrunn und seine psychokulturellen Fortsätze. International ist Kaiserin »Elisabeth« erfolgreiche Vorreiterin der kulturellen Kommunikation. Das Musical über den Mythos Sisi, an dem es selbst genügend Anteil nimmt, machte seit seiner Uraufführung 1992 unter anderem Station in Japan, den Niederlanden und der Schweiz. Das Publikum zählt Millionen. Mittlerweile ist sogar davon auszugehen, dass auf jeden Österreicher, jede Österreicherin, ein Mensch kommt, der für »Elisabeth« ins Theater ging. Überschneidungen sind dabei nicht ausgeschlossen, aber grundsätzlich gilt: Sisi zieht und Sisi zieht an. Denn die Herzschmerz-Variante von Monarchin bringt nach wie vor massiv Kulturtourismus in die Stadt. Beziehungsweise heißt es da Genau-Sein.
Die World Tourism Organization (WTO) unterscheidet nämlich die kommunalen Produktkategorien Heritage, Culture und Creative. In der Logik Hotelbett-belegender Gäste funktioniert Kulturgeschichte demnach so: für manche BesucherInnen sei mehr die Kultur ausschlaggebend, für andere das Décor, das sich wiederum vor allem aus dem kulturellen Erbe einer Stadt ergebe. »Der wichtigste Grund«, heißt es im entsprechenden Bericht schließlich, »um eine kulturelle Sehenswürdigkeit zu besuchen ist über die Geschichte zu lernen und die Atmosphäre zu genießen«. Und diese beiden Komponenten, Genuss und Geschichte, sollten sich wohl nicht widersprechen, Herrschaftsgeschichte hin oder her. Geschichtserfahrung wird damit selbst dekorativ und der Garant für das Erleben einer guten Zeit.
Der Wiener Tourismusverband (eine öffentlich-rechtliche Körperschaft) lädt dazu ein, sich die heutige Stadt mit kaiserlich-königlichem Blick zu erschließen: »Wandeln Sie auf den Spuren der Habsburger-Monarchie von einst, besuchen Sie die prächtigen Barockschlösser Schönbrunn und Belvedere, werfen Sie in der Hofburg einen Blick auf die Schaltzentrale des einstigen Riesenreiches und spazieren Sie über die prächtige Ringstraße.« Auf der Website der Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H (übrigens alleiniges Eigentum der Republik) steht zu lernen: »Durch kluge und energische Politik entwickelte sich aus den kleinen Besitzungen im Donauraum und der Steiermark im Laufe der Jahrhunderte ein Weltreich, das sich vom östlichen Mitteleuropa bis nach Südamerika erstreckte.« Klug und energisch – das war’s. Heritage, die Erzählung von (Herrschafts-)Geschichte wird Ware, nicht anders als die Sisi-Pezfigur oder das Brokatdeckerl 18x34 im »Imperial Shopping«-Portal von Schloss Schönbrunn.
Markt und Herrschaftshaus spielten hier ja auch schon viel früher Hand in Hand, seit Wien im frühen 17. Jahrhundert »Reichs-, Haupt- und Residenzstadt« wurde. Die zentrale Lage der Stadt unterstützte die Ausübung von Autorität, und gleichzeitig profitierten die städtischen Betriebe von der Nähe zum Hof. ProduzentInnen sahen die Einbettung des imperialen Logos als kommerziell vorteilhaft, aber auch personell ließ sich das Haus Habsburg verwerten. Bereits Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts huldigten neben Tassen und Krügerln auch Teppiche, Taschenmesser, Aschenbecher, Scheren und Magenbitter dem Kaiser Franz Joseph. Nach dem Tod Elisabeths standen in produktionstechnisch beeindruckender Geschwindigkeit binnen weniger Tage für die trauerparadierenden Massen HändlerInnen mit kaufbaren Erinnerungsstücken bereit. Kaiserlicher Jubel und die Habsburg-Kitsch-Wirtschaft waren dabei schon damals nicht einfach Produkte, sondern produzierten politische Wirkung. Auch in der 2. Republik sind sie nicht nur Teil einer harmlosen Parallel-Unterhaltungswelt, für Durchreisende, »nach außen«, sondern sprechen sehr wohl ein Stück Wahrheit über unser heutiges Verhältnis zum Schloss.
Kaiser, Volk und Erbkultur
Der Jubel rund um K.u.k. brachte nicht nur von Anfang an Geld, sondern erfüllte auch seine de-/legitimierende Funktion: der Kaiserkult sollte die verscheuchte Revolution von 1848/49 und deren verlorenen Geist übertönen. Der Hof erfand sich neu, zelebrierte neue Etikette und tat alles für die Huldigung des Regenten. Parks, Schulen und Kirchen sollten seinen Namen tragen; im Mai 1898 begann die große Kaiser-Jubiläums-Messe, die über ein halbes Jahr lang den Prater für sich einnahm. Sie wurde ein Magnet für Millionen von TouristInnen und demonstrierte zugleich den Beginn einer neuen Auffassung von österreichischer Höflichkeit: einer im völkisch-nationalen Sinn. Karl Luegers Patriotismus zeigte sich in Folge kaisertreu und deutsch. Im Jubeljahr 1908 diente Franz Joseph bereits als Projektionsfläche für allerlei brodelnde politische Ideen, und Christlich-Soziale verbanden untertänige Loyalität mit ihrem Antisemitismus und Kampf gegen politische GegnerInnen.
Österreichische Geschichte wurde deutschgefeiert, der konstitutionelle Wandel einer deutschzentrierten Monarchie zu einem Staat mit Vielvölkerverfassung blieb unerzählt – und unbejubelt. Kaiserstatuen wurden etwa in Böhmen zum symbolischen Schlachtfeld zwischen »Deutschen« und »Nicht-Deutschen« und gegen die ethnisch besetzte Zentralität. Franz Joseph wurde vom »Volkskaiser« zum »Kaiser des deutschen Volkes«. Auch im autoritären Ständestaat wurde die kaiserlich-königliche Nostalgie an »völkische« Identität gekoppelt. Dollfuß packte Doppeladler, k.u.k.-Uniformen und die Haydn-Hymne wieder aus und ließ sie legitime Nachfolgeherrschaft vermitteln. Otto Habsburg erhielt die Ehrenbürgerschaft in 1.600 Gemeinden. Im Nationalsozialismus schien dann eine andere Figur völkische Identifikation und Führerwahn noch radikaler zu verbinden. Eine vermeintliche Verdrängung einer Autorität durch eine andere, über die noch mehr herauszufinden ist.
Mit der 2. Republik dominierten die Sehnsucht nach Vorkriegs-Szenarien und eine stille Wehmut über die verlorene k.u.k.-Hoheit mit der ihr verbundenen UntertanInnenschaft. Neben Selbsterzählungen zum Zweck des Tourismus äußerte sich das auch gerne im populären Bild, angefangen mit der Staatsvertrags-Fantasy »1. April 2000« (Ö 1952, Regie: Wolfgang Liebeneiner) über die endlos wiederholte »Sissi«-Trilogie von Ernst Marischka bis hin zur aktuell laufenden Donnerstags-Talkshow »Wir sind Kaiser« mit Robert Heinrich I. im Auftrag des ORF. Habsburg – immer ein bisschen humorig, aber immer präsent. Der Kitsch rührseliger, unangetasteter Herrschaftsgeschichten hielt sich und auch die historische Aufarbeitung blieb lange fokussiert auf Persönlichkeit und Anekdoten, Privates und das Liebesleben. Noch Anfang der 1990er war »die mit neobiedermeierlichen Elementen vermengte Habsburgernostalgie unserer Tage« zu bedauern sowie ein »Defizit republikanischer Geschichtstradition«. Erst am 20. Jänner 2008 antwortete Benita Ferrero-Waldner, ehemals österreichische Außenministerin und nun EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaft, der spanischen Tageszeitung »El País« auf die Frage, ob sie sich je wie eine Kaiserin gefühlt habe: »Vielleicht auf den Wiener Bällen, am Opernball. Da habe ich mich wie Sisi gefühlt. Wie viele österreichische Frauen.« Dem hatte das darauf folgende 90-Jahr-Jubiläum zum Ende der Monarchie an republikanischer Weisheit nicht mehr all zu viel hinzuzufügen.
Demokratie und Demut in unserer Stadt
Natürlich wird von Schönbrunn aus, wo Kaiser Karl I. im Jahr 1918 auf seinen Thron »verzichtete«, heute nichts mehr diktiert. Regierungsresidenz war und ist sowieso die Hofburg. Österreich ist keine Monarchie mehr und Wien keine Kaiserstadt. Und dennoch setzt die repräsentative (Kultur-)Politik von heute immer wieder auf das Schloss, identifiziert sich nach wie vor mit ihm – mit mehr als repräsentativen Folgen.
Denn hier geht es um mehr als den oft beklagten Vorrang von Brauchtumspflege gegenüber moderner Kunst und Kulturen, von »Alt« vs. »Neu«. Unter dem Vorwand des Kulturtourismus und dem Siegel der Markttauglichkeit wird eine Debatte über die Qualität des Habsburg-Erbes oft ausgespart. Was ist das für eine politische Kultur, der man in Wien nicht nur architektonisch unweigerlich, denkmalgeschützt entgegenläuft und gegenüber deren Erfolg sich jede andere (kultur-)politische Initiative im stillen Hoffen auf die eigene Gelegenheit legitimieren muss? Welche Lesart der Habsburger-Monarchie dominiert in der öffentlichen Debatte, oder ist eine Diskussion über die tiefere Bedeutung des Schlosses sowieso so absurd wie seine oberflächlich entfaltete Wirkung? Gibt oder gab es – selbst in diesem scheinbar harmlosen Kontext der Schärpen und Schleifen – ein Bekenntnis gegen Autoritarismus und gegen mal mitgeschleppte, mal hoch getragene Deutschtümelei?
Es wäre doch ein brauchbares Spielfeld des Urbanismus, für die Forderungen nach dem Recht auf die Stadt sowie für eine radikale (kultur-)politische Geographie und Geschichte, sich an diesen verkitschten und festgesessenen Formen von Herrschaft zu erproben. Sich auch diesem »Erbe« gegenüber zu positionieren und ihm Orte demokratischer Kultur entgegenzusetzen. Das ist die Aufgabe und die Verantwortung der (Kultur-)Hauptstadt und ihrer Öffentlichkeit: nicht Schloss und nicht Dorf zu sein, sondern ein Raum für eine solche Auseinandersetzung.
Deshalb als Vorschlag für eine kleine Landvermessung oder vielleicht als zumindest unterhaltsames Gedankenexperiment: Wie wäre es, wenn zum Beispiel für jedes Mal, wenn vor dem versammelten Wissen und Denken der Nationalbibliothek die schwere Tür der Hofburg in ihr Schloss fällt; für jedes Mal, wenn in den restaurierten Hofstallungen des Museumsquartiers jemand kreativ werkt; und für jedes Mal, wenn jemand im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in »Sissi« Heimat oder noch schlimmer Emanzipation zu finden glaubt; wenn es für jede Statue und jeden Kuppelsaal und jedes Souvenir vom Schloss eine kleine radikaldemokratische Verbeugung gäbe? Als kleinen symbolischen Tribut der Ehrfurcht vor den obskuren Auswüchsen einer phantomhaft vorherrschenden politischen Kultur und für die immer wieder von Neuem einzufordernden Freiräume in den alten Mauern der Monarchie. (Meine Verehrung und Knicks – ich fang schon mal an.)
Literatur
Bucur, Maria & Wingfield, Nancy M. (2001) Staging the Past. The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the Present, West Lafayette, Indiana
Häusler, Wolfgang (1991) Habsburgischer Mythos und Geschichtswissenschaft. Thesen zum historisch-politischen Bewusstsein in Österreich; in: Wolfram, H. & Pohl, W. (Hrsg.) Probleme der Geschichte Österreichs und ihrer Darstellung, Wien, S.153-155
Kafka, Franz (2004) Das Werk, Frankfurt am Main
Leidinger, Hannes, Moritz, Verena & Schippler, Berndt (2003) Das Schwarzbuch der Habsburger. Die unrühmliche Geschichte eines Herrschergeschlechtes, Wien / Frankfurt am Main
Pelinka, Anton (1994) Austrian Identity and the ›Ständestaat‹; in: Robertson, R. & Timms, E. (Hrsg.) The Habsburg Legacy. National Identity in Historical Perspective, Edinburgh, S.169-177
Unowsky, Daniel L. (2005) The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria, 1848-1916, West Lafayette, Indiana
Vocelka, Karl & Heller, Lynne (1997) Die Lebenswelt der Habsburger. Kultur- und Mentalitätsgeschichte einer Familie, Graz / Wien / Köln
World Tourism Organization (2005) City Tourism & Culture. The European Experience, Madrid
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Projects | Phantom Kulturstadt World-Information Institute Texte zur Zukunft der Kulturpolitik II |
Date | June 2009 |