TAG MAPcontentquery
LOG

MAP BROWSING HISTORY

MAP LEGEND

CONTENT TYPES
Texts Videos Images Authors Projects
TAG TYPES
General Tags Technologies Authors Places Names
SPECIAL TYPES
Root Topics

Im Themenpark der Hochkultur. Kunst als urbane Besitzstandswahrung

..welchen Begriff haben heute all die europäischen Kulturnationen von Kultur und was macht eine Stadt zur Kulturstadt?


 

In einer zukünftigen globalen Ordnung, so hat ein Weltwirtschaftsforum festgestellt, werde Produktion in China stattfinden, Administration in Indien, die USA werde das Serviceland und Europa eine Art Themenpark der Kultur. Das wäre ja nicht die schlechteste Aussicht, wenn Kultur mehr als museale Betrachtung bedeuten würde.
Kultur ist nach wie vor eine Praxis, eine Lebenswelt, eine Tradition, mit der Europa sich identifiziert und in der Europa eine Führungsrolle beansprucht. Kultur ist in Europa ein offizieller Bestandteil der Politik, ein eigener Bereich neben Außenpolitik, Innenpolitik, Wirtschaftspolitik, Sicherheitspolitik etc. Jedes europäische Land behauptet seinen Kulturvorteil in der Pflege des Alten und der Hervorbringung des Neuen auf seine Weise.

Kultur war in Österreich das Leitbild der Zweiten Republik: Österreich als Kulturnation, statt Industrienation, und Wien als Kulturstadt, das sollte wahrscheinlich eine neue Identität dieses Landes sein, nachdem es seine aristokratische Großmachtidentität im Ersten Weltkrieg verloren hatte, seine jüdische Identität von den Deutschen vertreiben und ermorden ließ und seine faschistische und deutsche Anschlussidentität nicht mehr gesellschaftsfähig war. Die großen Kulturinstitutionen, die auf Tradition halten, wie Burgtheater, Festspiele und Philharmoniker ersetzen in vieler Hinsicht den Hof und die Hofbeamten, in den schönen wie den schlechten Seiten dieser Lebenswelt. Aber welchen Begriff haben heute all die europäischen Kulturnationen von Kultur und was macht eine Stadt zur Kulturstadt?

Unter Kultur verstehen wir die verschiedensten Tätigkeiten: Kunstschaffen, Kunstpflege (Museen) und Ausbildung, aber auch Sport, Fernsehen, Karneval, Essen, Tourismus, Wohnen, Autofahren, also praktisch den gesamten konsumierenden Freizeitbereich. Wenn wir Kultur definieren als die Riten und Praxen einer Lebensgemeinschaft, also die europäische Kultur im Unterschied zu nicht europäisch geprägten Kulturen, dann ist Kultur die Art des Zusammenleben der Menschen, die sich zu einer bestimmten Kultur zählen. Insofern ist dann alles Kultur, auch Wirtschaft, Politik und Kriegsführung. Dann braucht man auch kein eigenes Kulturministerium, das man in den USA ja auch abgeschafft hat. Dann sind die Dominanten der europäischen Kultur Markt und Privatwirtschaft, die ja angeblich Garanten der Demokratie und der Menschenrechte sind.

Wenn eine Stadt sich als Kulturstadt identifiziert, heißt das dann, sie gibt der Pflege und der Produktion von Kunst besonderes Gewicht? Ist mit Stadt der Stadtraum als bewusst gelebter und inszenierter urbaner Raum gemeint, oder ist Stadt die Verwaltungsgröße, in der eine Anzahl von Kunstinstituten und informeller Kunstaktivitäten gefördert werden. In Wien nehmen bekanntlich die Menschen Anteil an den Geschehnissen in den Konzertsälen, Theatern- und Opernhäusern und Gegenwartsmuseen. Sie reden darüber und sie gehen auch hin, insofern es sich um repräsentative Kunst handelt, eben die, die den Hof ersetzt, und die öffentlich vergleichsweise großzügig gefördert wird. Verschwommen ist und bleibt in dem Anspruch »Kulturstadt«, welche Art Kunst und Kultur gemeint sind und worin ihre Relevanz bestünde. In den letzten fünfzehn Jahren sind Kunst und Kultur wie überall an den Markt geknüpft worden. Kunstereignisse werden nach Nachfrage, nach Platzausnutzung, nach Verkauf bewertet. Obwohl ein immer noch vergleichsweise großzügiger Kulturetat zur Verfügung gestellt wird, ist die Legitimationsgrundlage einer Kulturinstitution zunächst nicht die Qualität, sondern eine quasi wirtschaftliche: Auslastung, Ausgaben/Einnahmeverhältnis. Mit Erstaunen teilt man bei Pressekonferenzen, in denen ein Programm erläutert wird, immer wieder das Erlebnis: dass von den Kulturjournalisten selten Fragen zu Inhalten dieses Programms, zu einzelnen Künstlern oder Konzepten gestellt werden, sondern Fragen nach Kartenverkauf, Subvention.

»Wie hoch ist der Eigenanteil der Wiener Festwochen? Wie viel Prozent erwirtschaften Sie im Verhältnis zur Subvention?
Warum so wenig?«, empört sich eine Theaterkritikerin, die doch Theaterkritikerin und nicht Wirtschaftskritikerin ist. Warum sie das so leidenschaftlich interessiert? Weil unsere Marktkultur den Profit zum Zentralwert erhoben hat. Da kommt auch die Hochkultur nicht davon. Und in keiner Stadt der Welt ist der Glaube an die Hochkultur so unerschütterlich wie in Wien. Natürlich werden Karteneinnahmen immer ein verschwindend geringer Anteil sein, gemessen am Aufwand eines Konzertes, einer Ausstellung und besonders einer Opern- und einer Tanz- oder Theatervorstellung. Natürlich wird ein Opernhaus oder ein Festival nie eine Aktiengesellschaft sein, auch wenn sie sich GmbH nennen und Intendanten neuerdings die Theater, die sie leiten, als Betriebe bezeichnen, um dem gesellschaftlichen Gesamtbild besser zu entsprechen. Denn diese keinen Mehrwert schaffenden Bereiche müssen sich schämen. Weil man in der vom Profit geleiteten Wirtschaftskultur alles in Wirtschaftsvokabeln ausdrückt, um anerkannt zu werden, wird dann der geistige oder ästhetische Mehrwert angeführt; und den zu bestimmen, ist eine Sache der Auslegung. Am liebsten hätte man alle Kunst- und Kultur-Sparten als Markteilnehmer definiert, wie die bildenden Künstler es teilweise sind, die aber immer darauf hinweisen, dass der Marktwert wenig mit der Qualität der Kunstwerke zu tun hat und das Vermarktungskriterium dem Künstler gefährlich, weil Konvention befördernd sei. Der Kulturpolitiker oder Journalist glaubt, sich rechtfertigen zu müssen, warum er Steuergeld für Kunstinstitutionen ausgibt oder Arbeit und Aufmerksamkeit verschwendet auf diese unproduktive Kaste. Meist wird seitens der Politik defensiv ökonomisch argumentiert mit Hinweis auf Arbeitsplätze, die die Kunstinstitute schaffen, oder der Erweiterung der angrenzenden Dienstleistungen wie Gastronomie, Hotels, Tourismus. Eine spezifische Rechtfertigungsstrategie der Kulturpolitik besteht in dieser Stadt offenbar darin, eine national populäre Identität mit den Phänomenen der Kultur herstellen zu wollen.

Die Kulturinstitution wird aufgefordert, neben den Veranstaltungen, die im allgemeinen ein bestimmtes Publikum ansprechen, eine populäre Image-Werbung zu erfinden, die »dem Mann auf der Straße, der nie in die Oper geht, selbst, wenn er es bezahlen könnte, klar macht: er muss stolz sein, dass das zu Wien gehört«. Er kann also stolz darauf sein, ein Wiener zu sein, weil es dort die »Wiener Staatsoper« oder die »Wiener Festwochen« oder die »Wiener Philharmoniker« oder »Wien Modern« gibt. »Und da dürft ihr dann aber nicht so ein avantgardistisches Zeug reinschreiben wie in euer Programm.« Das ist offenbar gar nicht zynisch gemeint: fake Popularität statt Popularisierung. Was den sogenannten Mann auf der Straße alles nicht interessiert, scheinen alle ganz genau zu wissen. Den langen, mühsamen Umweg der Strukturveränderungen, die den Zugang zur angeblich »elitären« Kultur egalisieren würden, will niemand gehen. Lieber mainstreamige Populärkultur anbieten, die sich ja auch besser rechnet, und die Hochkulturinstitutionen lassen, wie sie sind; auch dort soll nichts Unerwartetes geschehen: Erwartbare Produkte für ein erwartbares Publikum. Eine kurze Bemerkung zum Begriff des Elitären: Den Kulturveranstaltern wird vorgeworfen, ihre Ausstellungen, Aufführungen, Konzerte seien elitär, sie würden sich nicht an das breite Publikum wenden. Damit sind weniger die Preise als die Kunst selber gemeint. Elitär ist demnach alles jenseits populärer Unterhaltung, jenseits der so genannten Massenkultur. Kunst muss elitär sein, und je innovativer desto elitärer. Denn Kunst ist ein komplexes und irritierendes Verhältnis zur Welt, eine besondere Wahrnehmung von etwas, das noch nicht wirklich da ist. Sui generis wird Kunst nie die Bestätigung des Ist-Zustandes oder dessen illusionistische Feier sein. Insofern sind die meisten Kunstereignisse nicht gleichermaßen für alle lesbar, was aber für Fußballspiele genauso gilt. Kunst muss ihrerseits ihren Status des Elitären bezweifeln, das Elitäre in Frage stellen, was sie dann besonders elitär macht. Kunst, die sich ungebrochen hochkulturell versteht, wird paradoxerweise zur unterkomplexen Unterhaltung. Genau sie ist aber meistens gemeint, wenn die Kulturstadt sich mit Kunst identifiziert: bewahrte oder recycelte Güteklasse. Das, was als elitär empfunden wird, ist im allgemeinen gar nicht das Kunstereignis selbst, sondern die Institutionen, in denen es sich oder über die es sich präsentiert, die Architekturen und Rituale dieser Institutionen, in denen sich Herrschaft als Zugehörigkeit ausdrückt, die Trennung von Dazugehören und Nicht-Dazugehören. Die Vertreter der Hochkultur verteidigen die geschlossenen Räume und alle unsichtbaren Ausschlussrituale wie einen Besitzstand. Das Offene der Kulturstadt, die andere und zwanglose Rezeption und Kommunikation bei gleichzeitiger Komplexität, hat es bisher kaum gegeben, und wenn dann nur für einen kurzen Zeitraum im Rahmen eines speziellen Festivals, dem man hinterher nachsagt, es seien zu wenig Einnahmen gemacht worden.

Ein Diskurs, in dem jeder Spezialist ist, wäre das Gegenteil von Kulturpopulismus. Es scheint, dass die Kulturpolitik seit einigen Jahren die Kulturstadt aufteilt in Räume der garantierten Güteklasse Hochkultur, andere der experimentellen Kultur und wieder andere des Entertainments. Letzteres darf oder soll sich mit ersteren durchaus mischen – und tut das ohnehin.
Für jeden dieser institutionalisierten Räume wird ein bestimmtes Publikum imaginiert. In Wien gibt es anhaltende Gewohnheiten, die es ermöglichen, Umfang und Kaufkraft dieses »Stammpublikums«, wie es genannt wird, auf lange Zeit im Voraus zu bestimmen (in Berlin beispielsweise floated ein wechselndes Publikum überall hin, weshalb in jeder Kunstsparte eine große Anzahl von Veranstaltern und Institutionen um das gleiche Publikum kämpft). Die Presse richtet die Aufmerksamkeit zumindest in der darstellenden Kunst vorwiegend auf alle Ereignisse der Güteklasse Hochkultur. Aufführungen internationaler und auch lokaler Avantgarden können durchaus von der Presse unbemerkt dagewesen sein. Man kann nicht über alles berichten. Man hat nicht genug Platz im Feuilleton, nur wenige Leser wird das interessieren und dann verkauft sich die Zeitung nicht. Aufmerksamkeit erhalten Ereignisse derjenigen Kunst, mit der eine Stadt oder eine Nation sich offiziell identifiziert, und die sich – dementsprechend breit oder an ein bestimmtes Publikum gerichtet – verkaufen lässt.

In jedem Fall wird Kunst auch in der Kulturstadt als marktorientierter Wirtschaftsfaktor behandelt, und dem Wirtschaftsdiskurs unterworfen bzw. muss sie ihre Legitimität aus ökonomistischen Argumenten beziehen, wobei ja jeder weiß, dass sie im Profitsinne nie wirtschaftlich sein kann. Dieses Paradox wird sie nicht los, selbst dann nicht, wenn eine Stadt Kunst als Teil der Tourismusbranche definiert. Demnach ist der Markt selber unsere einzige Leitkultur, zumindest unsere einzige Kommunikationsform, in deren Strukturen wir wahrnehmen können. Wir wissen zwar, dass Wirtschaftlichkeit eine für Kunst unzureichende, sie nicht berührende Kategorie ist, haben aber offensichtlich keine anderen Wahrnehmungsformen mehr zur Verfügung. Dabei wäre es möglich das Phänomen Kulturstadt als Entwurf einer urbanen Zukunft zu definieren. Das würde voraussetzen, dass politisches Projektieren stattfände, statt Bestätigung des Bestehenden und Besitzstandswahrung. Wenn man das Wort Kulturstadt als Kultur im urbanen Raum versteht, dann denkt man sich nicht nur neue Formen der Kunst, sondern neue Formen der Öffentlichkeit: Vernetzung von sozialen und künstlerischen Bereichen, jede Art von lebenskultureller und künstlerischer Hybridität, öffentliche Foren, gläserne Spezialistenbüros, kreative Kollektive, die den Stadtraum irritieren, man denkt sich die Öffnung der Institutionen im Zentrum zu den Rändern und zu den unterschiedlichen Communities. Das Bild, das die Kulturstadt aber hartnäckig von sich entwirft, mit dem sie sich darstellt, ist das der repräsentativen Hochkultur, die gerne unter sich bleiben würde, was aber der Marktforderung widerspricht, und die ab und zu mal ein Oktoberfest springen lässt, damit sie keinen Transformationen unterworfen wird.

No query in this session yet. Please use the tag map to the left to get a listing of related items.