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Demokratie und Widerstand

Das politische Aufbäumen der Internetgeneration

Das politische Aufbäumen der Internet-Generation

Noch war es am 1. Februar 2000 den österreichischen Tageszeitungen gar nicht möglich, die überraschende Wende bei der schwierigen Regierungsbildung zur aktuellen Stunde in Papierform mitzuteilen, da wurde im Internet bereits die erste Berichterstattung mit Foto im Eilzugstempo herumgereicht. Das Bild zeigte jugendliche Demonstranten auf dem Dach der Wiener ÖVP-Zentrale, deren Botschaft einer noch nicht abzuschätzenden Dynamik der Empörung spät nach Mitternacht den Auftakt gab: "Wolfgang Haider – Nein danke!"

Österreich hat seit diesem Tag eine tief greifende Veränderung erfahren. Wolfgang Schüssels Koalitionspakt mit einer FPÖ unter Jörg Haider, die durch Radikalisierung, Ausländerfeindlichkeit und Diffamierung von Andersdenkenden emporgekommen war, hat nicht nur viele Menschen mit ihrem Unmut zu Demonstrationen auf den Straßen der großen Städte bewegt. Eine ebenso beachtliche Schar hat dem Protest gegen die schwarz-blaue Regierung ein globales Wegesystem geschaffen: ein Netzwerk von vielfältigen Widerstandsaktivitäten im Internet, die seitdem eine zuvor noch nicht gekannte Wirkung zu erzielen wissen. Neu und weitreichend ist diese vor allem deshalb, weil die sozialpartnerschaftliche Grundhaltung der Zweiten Republik einer politischen Kultur der Gegensätze über Jahrzehnte auf geradezu erdrückende Weise entgegenstand. Dem Selbstverständnis einer funktionierenden Demokratie, politische Differenzen offen auszutragen und vor allem im Bereich der Medien entsprechende Vorkehrungen dafür zu treffen, musste demnach auch im Februar 2000 ohne eine Zugriffsmöglichkeit auf historische Erfahrungswerte überhaupt erst zum Durchbruch verholfen werden.

Mit dem Einzug der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in das Alltagsleben keimte bei manchen schon vor Jahren die Hoffnung auf, in Abgrenzung zu den stark kommerziellen Entwicklungstrends ließen sich auch Perspektiven einer demokratischen Impulswirkung eröffnen. Tatsächlich kam der österreichischen Widerstandsbewegung der Umstand entgegen, dass sie sich bei der Nutzung des Internets nunmehr auf ein Medium stützen konnte, das bei der Verbreitung von Information – nicht nur im Vergleich zu Zeitung und Rundfunk – erschwinglich, sondern zudem auch schnell und überaus flexibel ist. Durch den Massenversand von SMS direkt aufs Handy, durch Mitteilungen in Mailing-Lists, vor allem aber aufgrund der Aktualität der Websites waren die vielen Teilnehmer der Demonstrationen über deren Verlauf gerade in den Anfangstagen stets bestens unterrichtet.

Die Aktivitäten im Netz kennen keine zentrale Koordination, es herrscht im Wesentlichen das Prinzip der Spontaneität. Dennoch hatten sich bereits vor der ersten Großdemonstration am 19. Februar 2000 am Wiener Heldenplatz zahlreiche Netzprojekte zu einem Webring gegen Blau-Schwarz (webring.telnet.at/) zusammengeschlossen, der binnen kürzester Zeit auf mehr als 200 registrierte Initiativen und Projektgruppen angewachsen ist. Neben Organisationen, die sich wie die Demokratische Offensive (www.demokratische-offensive.at/) und gettoattack (www.gettoattack.net/) bereits aus Anlass des beunruhigenden Wahlergebnisses vom 3. Oktober 1999 gebildet haben, sind in diesem Verbund auch klingende Namen wie underground resistance (www.undergroundresistance.org/), elektrofruehstueck (elektrofruehstueck.netbase.org/) oder gar Volkstanz (www.volkstanz.net/) anzutreffen. Hinter Letzterem verbirgt sich ein Kollektiv von Jugendlichen, das beinahe allwöchentlich eine “Soundpolitisierung gegen diese Parodie einer Regierung” in Szene setzt und die DJ-Kultur zu einem ganz wesentlichen Kennzeichen des politischen Protestes gegen Rassismus, Ausgrenzung und Sozialabbau erhebt.

So unterschiedlich das Widerstandsspektrum im Internet auch sein mag – eines ist ihnen gemeinsam: Nahezu alle setzen auf die Macht der Symbole, um den Regierenden die Macht über die Instrumente ihrer Legitimation zumindest im Cyberspace streitig zu machen. Mit der Virtuellen Besetzung des Ballhausplatzes (www.ballhausplatz.at/) oder der Einsetzung eines Virtual Government Austria (www.government-austria.at/) wurden international beachtete Plattformen und Kontaktschnittstellen errichtet, die nicht nur in das Spektrum der zahlreichen Aktivitäten Einblick geben, sondern auch politische Netzkunst publizieren und wesentliche Voraussetzungen schaffen, um auf einer breiten Basis Überlegungen zu Programm und Notwendigkeit eines zivilgesellschaftlichen Modells für Österreich zu diskutieren.

Große internationale Beachtung fanden im Herbst 2000 die ersten AUSTRIAN WEB RESISTANCE AWARDS, die von der Wiener Netzkultur-Institution Public Netbase t0 für die besten Widerstandsaktivitäten im Netz vergeben wurden. Besonders ideenreiche Webprojekte sollten für ihre kontinuierliche Arbeit erstmals eine finanziell dotierte und ausschließlich aus privaten Mitteln gespeiste Auszeichnung erhalten, damit sie durch diese Anerkennung noch stärker in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Die fünfköpfige Jury, der unter anderem der Schriftsteller Franz Schuh, der Direktor der Kunsthalle Wien, Gerald Matt, sowie die Publizistin Eva Rossman angehörten, kürte als Siegerprojekt "Für eine Welt ohne Rassismus/Unabhängiger Nachrichtendienst MUND" (www.no-racism.net/MUND/), das sich konsequent mit dem Thema Rassismus befasst und einen selbstorganisierten Nachrichtendienst zur Verfügung stellt, der über Österreich hinaus zu einer kontinuierlichen Community-Bildung beigetragen hat.

In seiner ersten Stellungnahme zu den unerwartet heftigen Protesten gegen die Regierung von ÖVP und FPÖ erklärte Wolfgang Schüssel, es handle sich bloß um das "letzte Austoben der Internet-Generation". Aus heutiger Sicht erwies sich die abschätzige Bemerkung des Bundeskanzlers als glatter Irrtum. Wohl nicht zuletzt deshalb fielen die Reaktionen des Koalitionspartners zehn Monate später deutlich heftiger aus. Der FP-Nationalratsabgeordnete Karl Schweitzer wollte nicht mehr bloß Lausbubenstreiche auf den Straßen erkennen, sondern sah das unermüdliche Aufbäumen der Internet-Generation bereits nahe "an der Halsschlagader der Regierung".

Wie auch immer - der Widerstand im Netz der Netze zeugt seit dem Februar 2000 von einer ernst zu nehmenden Politisierung eines Teiles der Gesellschaft, der sich zu einer nachhaltigen Koalition gegen Rassismus, Nationalismus und Intoleranz formieren kann. An der Gestaltungskraft der Internet-Generation ist nicht zu zweifeln, doch ist der Konflikt noch nicht ausgestanden. Entscheidend wird letztendlich die Frage sein, ob es ihr gelingt, die Ablehnung der Regierungspolitik und den Widerstand in eine positive Formulierung umzuwandeln und die Österreicherinnen und Österreicher für die Idee einer wirklich demokratischen, sozial gerechten und kulturell vielfältigen Gesellschaft zu begeistern.

Erschienen in: Startbuch Internet. Das Handbuch Internet für den intelligenten Einstieg, 2., aktualisierte und erweitere Auflage, Falter Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien (2001)

http://wassermair.net/texte/demokratie_widerstand
Content type
text
Date 2001
Location Vienna, Austria

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Widerstand Rassismus webring Webring gegen Blau-Schwarz Demokratische Offensive gettoattack underground resistance elektrofruehstuck volkstanz Ballhausplatz Austrian Web Resistance Awards blau-schwarz schwarz-blau MUND Für eine Welt ohne Rassismus/ Unabhängiger Nachrichtendienst MUND Nationalismus Intoleranz Internet-Generation Vienna Kunsthalle Wien Kunsthalle Vienna Wolfgang Schüssel Jörg Haider Gerald Matt Karl Schweitzer Franz Schuh Eva Rossmann
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