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Offener Brief zu "Mehr Rechte gegen Kunst" vs. "Kunst hat Recht"

Monika Mokre antwortet Gerhard Ruiss und Ludwig Laher die im Zusammenhang mit "Mehr Rechte gegen Kunst?" ihre Tätigkeit in der UNESCO in Frage stellen

Lieber Gerhard Ruiss, lieber Ludwig Laher,

die entscheidende Frage in Bezug auf das Urheberrecht ist doch, ob sich kapitalistische Marktbeziehungen auf der Basis von Eigentumsrechten zu einer Art der Finanzierung von künstlerischer und kultureller Produktion eignen, die im gesellschaftlichen Interesse erfolgt. Abgesehen davon, dass es immer fraglicher erscheint, ob kapitalistische Märkte überhaupt in der Lage sind, gesellschaftliche Bedürfnisse adäquat zu befriedigen, wird diese Frage in Bezug auf Kunst und Kultur auch von der Mainstream-Ökonomie seit langem negativ beantwortet.

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, gibt es dafür im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens sind die meisten künstlerischen und kulturellen Produktionen öffentliche Güter oder zumindest Clubgüter, sodass eine große oder sogar unendliche Zahl von Personen sie konsumieren kann, ohne dass dadurch der individuelle Konsum beeinträchtigt wird. Aufgrund dieser Besonderheit von Kunst und Kultur ist die Preisgestaltung hier stets willkürlich. Und zweitens erbringen Kunst und Kultur positive externe Effekte für die Gesellschaft, die in Preisen nicht abgebildet werden.

Die Nutzung von Kunst- und Kulturgütern durch eine tendenziell unendlich große Anzahl von Konsument_innen zu gegen Null tendierenden zusätzlichen Stückkosten wird durch technische Entwicklungen – vom Buchdruck bis zum Internet – ständig einfacher. Die Gratisnutzung solcher Güter und Leistungen ist daher nur durch staatliche Eingriffe zu verhindern, die notwendigerweise immer aufwändiger werden und immer tiefer in Persönlichkeitsrechte eingreifen. Auf diese Art wird unter Einsatz erheblicher öffentlicher Mittel ein Markt simuliert, der – wie die meisten Märkte – in erster Linie den größten Playern zugute kommt. Steuergeld wird also zum Schutz der Interessen von Konzernen verwendet; der Nutzen für individuelle Künstler_innen ist gering. Ich nehme an, dass Sie zumindest diesem Satz in unserem Kommentar zustimmen werden: „Global wie national wurden die Urheberrechte massiv ausgebaut, dennoch wurden die Arbeitsbedingungen und Lebensgrundlagen für freie Kulturschaffende immer schlechter.“

Die Ursachen für die zunehmende Prekarisierung von Künstler_innen und Kulturschaffenden liegen m. E. im ständigen Rückbau des Wohlfahrtsstaates, sowohl im Bereich der Sozialleistungen wie auch im Bereich der Kulturförderung. Und es ist natürlich kein Zufall, dass dieser Rückbau Hand in Hand mit der neoliberalen Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und damit eben auch von Kunst und Kultur geht. Daher fordere ich z.B. immer wieder eine zeitgemäße Kulturpolitik und –förderung sowie eine sinnvolle Gestaltung der Künstler_innensozialversicherung.

Sicherlich ist die Rückkehr zu wohlfahrtsstaatlichen Prinzipien nicht der Weisheit letzter Schluss und es ist korrekt – und bedauerlich –, dass wir uns in unseren Überlegungen zu einem neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Kulturschaffenden und Publikum erst am Anfang befinden. Doch sind wir der Überzeugung, dass Verschärfungen des Urheberrechts hier ein falscher Schritt sind, während eine Neukonzeption öffentlicher Leistungen (nicht nur) im Bereich von Kunst und Kultur in die richtige Richtung weisen würde. In diesem Sinne sehen wir Ihre Initiative als eine Aktivität im Interesse der Kulturindustrie, ohne damit behauptet zu haben oder behaupten zu wollen, dass das Ihre Intention ist.

Auch haben wir selbstverständlich die Literar-Mechana nicht als Teil der Kulturindustrie bezeichnet, aber ebenso wie Ihre Initiative trägt sie ihrem Interesse und ihrer Funktion nach Entwicklungen mit, die in erster Linie nicht ihr selbst, sondern mächtigeren Playern zugute kommt. Dazu kommt, dass die Restriktionen der Verwertungsgesellschaften für Künstler_innen problematisch sind, die mindestens Teile ihres Werks der Öffentlichkeit unbeschränkt zur Verfügung stellen wollen. Und schließlich behindern restriktive Urheberrechte einen wichtigen Teil innovativer zeitgenössischer Kulturproduktion, die auf den Prinzipien von Sampling und Aufgreifen kultureller Codes beruht.

Ich bin der Meinung, dass Argumente nach ihrem inhaltlichen Wert und daher unabhängig von ihren Autor_innen bewertet werden sollten. Der guten Ordnung halber möchte ich aber darauf hinweisen, dass Marina Grzinic, Susanne Kirchmayr und Konrad Becker künstlerisch tätig sind. Im Übrigen gelten für wissenschaftliche Arbeiten wie die meinen ganz ähnliche Probleme.

Nach meinem Verständnis dient diese Initiative zu einer kritischen Hinterfragung der Nutzniesser_innen des Urheberrechts durchaus der kulturellen Vielfalt. Ich bin gerne zu einer Diskussion dieser Frage im Rahmen des Fachbeirats bereit und falls der Beirat und/ oder die UNESCO-Kommission dies nach einer solchen Debatte wünscht, lege ich meine Position im Beirat selbstverständlich zurück.

Mit freundlichen Grüßen
Monika Mokre

***
PD Dr. Monika Mokre
IKT, Institute for Cultural Studies and History of Theatre Austrian Academy of Sciences Postgasse 7/4
A-1010 Vienna

http://www.oeaw.ac.at/kkt/index.html


________________________________________
Von: Gerhard Ruiss
Gesendet: Freitag, 27. Januar 2012 16:52
An: Mokre, Monika
Cc: Gabriele Eschig; Yvonne Gimpel
Betreff: Anti-Urheberrechtsaktion, Offener Brief an Beteiligte

[cid:DF7F868D-A752-44D0-8BB6-62FD2CB3C726]

Betrifft: Anti-Urheberrechtsaktion, Offener Brief

Sehr geehrte Frau Mokre!

Mit äußerstem Befremden nehmen wir zur Kenntnis, daß Sie, wie im STANDARD von gestern zu lesen, als Unterzeichnerin einen Text mittragen, der auf besonders perfide Weise gegen die Interessen der Kunstschaffenden polemisiert. In aller Schärfe weisen wir die Unterstellung zurück, daß wir uns als IG Autorinnen Autoren von der Kulturindustrie vorschicken lassen, um deren überholte Geschäftsmodelle noch ein paar Jahre abzusichern. Was würden Sie sagen, zeihten wir Sie in aller Öffentlichkeit zum Beispiel der Komplizenschaft mit jenen Geräteherstellern, die sich gegen eine Festplattenabgabe an die Urheberinnen und Urheber stemmen?

Seit fünfzehn Jahren dürfen wir uns von Leuten wie Ihnen belehren lassen, die Urheberrechte wären überholt und letztendlich auch nicht in unserem eigenen Interesse, sondern nur in dem der Konzerne. Seit fünfzehn Jahren wissen Leute wie Sie als Alternative zu den bestehenden Verhältnissen nichts anderes anzubieten als das schwammige Gerede von einem neuen Gesellschaftsvertrag, der zwischen den Kulturschaffenden und dem Publikum auszuhandeln wäre. Warum legen Sie kein diskutables Modell dafür vor, wenn Ihnen die derzeitige Praxis so zuwider ist? Warum arbeiten Sie darauf hin, daß etwa wir Autorinnen und Autoren unsere Rechte und damit unsere Existenz preisgeben müssen, ohne auch nur im Ansatz zu verraten, wie denn die „grundsätzliche Neuordnung der Praxis im Urheberrecht“ ausschauen könnte?

Es widerspricht der wissenschaftlichen Redlichkeit, in einem gewaltigen Rundumschlag unhaltbare Sätze wie diesen zu formulieren: „Die Verwertungsindustrie vertritt im besten Fall die Interessen der kommerziellen Superstars, aber nicht die der unabhängigen oder gar innovativ arbeitenden Künstler“. Erstens einmal ist es hanebüchener Unsinn, im Zusammenhang mit Verwertungsgesellschaften wie der österreichischen Literar-Mechana von Industrie zu sprechen, zweitens vertritt man dort redlich nicht nur die Interessen der wenigen literarischen Superstars, sondern jene Tausender Mitglieder der IG Autorinnen Autoren, die sehr wohl unabhängige und innovativ arbeitende Künstlerinnen und Künstler sind.

Während der Amtszeit des jetzigen Vorsitzenden des UNESCO-Fachbeirats Kulturelle Vielfalt Ludwig Laher als Präsident des Europäischen Künstlerrates ECA wurde von den Kunstschaffenden 2007 alles daran gesetzt, das Vorhaben der EU-Kommission zu verhindern, in Europa den freien Wettbewerb im Bereich der Rechteverwertung via Verwertungsgesellschaften durchzusetzen, die bestehenden, gut funktionierenden nationalen Strukturen zu zerschlagen und der tatsächlichen Verwertungsindustrie eine Bresche zu schlagen, die wir genauso kritisieren wie Sie. Aber eine Unterscheidung zwischen Äpfeln und Birnen ist Ihnen anscheinend zu mühsam.

Auch die IG Autorinnen Autoren selbst hat sich in der jüngeren Vergangenheit mehrmals, übrigens durchaus erfolgreich, mit kommerziellen Riesen wie Google angelegt, die sich unserer Werke bemächtigen wollten. Widerstand gegen die Rechteusurpation der Global Player ist das eine, wer sich aber dafür stark macht, etwa illegale Downloads von urheberrechtlich geschützten E-Books eines mittelgroßen österreichischen Verlages mit der Kraft des Faktischen zu rechtfertigen, einen Popanz aufzubauen und solch einen Verlag zum Gottseibeiuns zu stilisieren, wer den Enteigneten schließlich nahelegt, einen neuen Gesellschaftsvertrag mit den Enteignern, den illegalen Gratislesern auszuhandeln, argumentiert zynisch und gegen die Intentionen der UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt. Deshalb ist auch unser Vertrauen in Ihre Tätigkeit im Fachbeirat Kulturelle Vielfalt der UNESCO schwer erschüttert.

Es spricht im übrigen für sich, daß Ihre Polemik namentlich von allerlei Kulturvermittlern und Kulturwissenschaftlern beiderlei Geschlechts getragen wird, nicht aber von Künstlerinnen und Künstlern.

Brief ergeht in Kopie an: Gabriele Eschig und Yvonne Gimpel, Unesco Kommission

Mit freundlichen Grüßen

[cid:4E96E897-1C8D-4DFD-AD2F-63FD2B602FB5]

Ludwig Laher, Autor, Vorstandsmitglied der IG Autorinnen Autoren

[cid:DF1802A4-11B5-4400-A7A3-8966E4746A77]

Für die IG Autorinnen Autoren: Gerhard Ruiss

 

 

Content type
text
Projects World-Information Institute
Date 28.01.2012
Location wien

Tags

Urheberrecht copyright künstlerische Praxis ACTA SOPA DRM Digital Restrictions Management Österreich Monika Mokre Gerhard Ruiss Felix Stalder Marina Grizinic Gerald Raunig Konrad Becker UNESCO Susanne Kirchmayr
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