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Die Wiederaneignung von Räumen und symbolischer Kultur. Netzbasierte Öffentliche Inverventionen in Wien

Reclaim the Net!“ war ein Thema, das die Public Netbase in den späten 1990ern aufgriff, zur Zeit der Dotcom Blase und ihres folgenden Zusammenbruchs. Es ging darum, öffentlichen Raum für freie Meinungsäußerung, freie elektronische Medien und digitale Kulturpraxis zurückzuerobern. Die Zeit war reif dafür – aber schwierig. Das Bedürfnis nach kreativen Formen des Widerstands war so dringend wie nie zuvor.

Reclaim the Net!“ war ein Thema, das die Public Netbase in den späten 1990ern aufgriff, zur Zeit der Dotcom Blase und ihres folgenden Zusammenbruchs. Es ging darum, öffentlichen Raum für freie Meinungsäußerung, freie elektronische Medien und digitale Kulturpraxis zurückzuerobern. Die Zeit war reif dafür – aber schwierig. Das Bedürfnis nach kreativen Formen des Widerstands war so dringend wie nie zuvor.

Es ist offensichtlich, dass globale Herrschaftsformen schon seit Längerem entterritorialisiert sind und dass die Ausübung von Macht heute auf der Kontrolle von Abläufen und Symbolen basiert. Trotzdem entstand in den frühen 1990ern eine „Reclaim the Streets“-Bewegung, eine Form des Protests, die sich rasch auf der ganzen Welt ausbreitete. „Street Partys“ wurden in Städten in ganz Europa, Australien, Nordamerika und sogar Afrika abgehalten. Um den öffentlichen Raum von seiner Nutzung als Arena der Kontrollgesellschaft und des Konsums zurückzuerobern, konnten diese Taktiken erfolgreich einer vielfältigen Isolierung urbaner Leben entgegenwirken. Der kritische Hedonismus, die Basis einer Kultur jenseits der einfachen Vergnügungssucht, gewinnt in entsetzlich gelangweilten Gesellschaften an Bedeutung. Angst als Werkzeug der Verhaltensänderungen ist dann besonders effizient, wenn Suggestivangebote für das Zielobjekt plausibel und vor allem auch praktikabel sind. Die symbolische Vorherrschaft in Informationsgesellschaften steht nicht im Widerspruch zu einer biopolitischen Ordnung oder einer fleischgewordenen symbolischen Kultur.

Menschen brauchen Fluchtwege nicht nur aus politischer Unterdrückung oder Ausgrenzung. Sie müssen eskapistische Fertigkeiten entwickeln, abseits einer dämonischen Abwechslung von erzwungener Arbeit und Freizeit, um der symbolischen Dominanz und der kulturellen Wirkung des globalen Kapitalismus zu entfliehen. Diese Aktionen, die Präsenz auf den Straßen erzeugten, hatten nicht die Störung der wirtschaftlichen Abläufe zum Ziel, sondern die spielerische Intervention in die symbolische Landschaft der Stadt. Die virtuelle Welt der digitalen Kommunikation und die Straße stehen einander näher, als es den Anschein hat.

[…] LOKATIVE MEDIEN, KUNST UND WIDERSTAND

Die Basecamp Installationsserie illustrierte den Ansatz, Ansprüche sowohl in der realen wie auch in der virtuellen Welt anzumelden. Diese dreiteilige Serie beleuchtete die Politik rund um einen neuen Wiener Kulturkomplex, das Museumsquartier (MQ). In der Nähe der Hofburg und der beiden Ringstraßenmuseen gelegen, hatten die ehemaligen Hofstallungen mehrere Jahrzehnte lang als Veranstaltungsort für Messen und Ausstellungen gedient, bevor sie zunehmend verfielen und von kleinen Initiativen und Kulturgruppen kolonisiert wurden. Anfangs als Raum für kritische und heterogene kulturelle Praxis und fortgeschrittene künstlerische Experimente gepriesen, wurde das MQ später ein symbolischer Posten konservativer politischer Kräfte, um ihre Ideen von hegemonialer Kontrolle durch eine Kultur konsumistischen Entertainments zu testen. Erwartungsgemäß waren diese Kräfte entschlossen, das Areal von allen kritischen Gruppen und als zu gefährlich geltenden unabhängigen Organisationen zu säubern. Zur Zeit der Vor-Eröffnung des neu renovierten MQ wurde den Medien immer noch eine Scharade von Verhandlungen mit kritischen Gruppen vorgespielt, als ob man diese in den neuen Strukturen berücksichtigen hätte wollen.

Aus diesem Grund wurde Public Netbase offiziell eingeladen, beim Pre-Opening Event Ende Juni 2001 ein künstlerisches Projekt durchzuführen. Das Installationsprojekt „Remote Viewing“ war mit Internet- und Datenprojektionsinterfaces ausgestattet, die Interventionen in die unmittelbare Umgebung auf urbanen digitalen Bildschirmen erlaubten, eine Art von elektronischer Open-Access-Reklametafel. Dies bedeutete, dass die eingeladenen KünstlerInnen sowie jene mit Internetzugang und einem Passwort auf einer riesigen Videoleinwand, die für eine große Anzahl von ZuseherInnen sichtbar war, anonym Nachrichten posten konnten. Da jedoch auch Bundeskanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel der Eröffnung beiwohnen sollte, befürchtete das Management des MQ, dass kritische Stimmen von KünstlerInnen die Veranstaltung verderben würden. Sehr darauf bedacht, Verstimmung oder ein Ärgernis für Mitglieder der rechtsgerichteten Bundesregierung zu vermeiden, machte das Management schnell klar, dass unzensierte Kunst nicht toleriert werden kann. Es schien daher ein unvermeidlicher Akt von zivilem Ungehorsam, die Installation illegal anzubringen. Slogans, Grafiken und Animationen wurden online wie auch vor Ort gezeigt, und zwar in einer militärischen Verteidigungsanlage, die im Staatsratshof des MQ aufgebaut wurde – in einem Militärzelt, das von Stacheldraht, Sandsäcken und mobilen Hindernissen gesichert war. Anstatt die Verteidigungsinstallation nach dem Eröffnungswochenende abzubauen, blieb sie als höchst sichtbares Symbol des Dissens an Ort und Stelle.

Trotz eines Kompromisses zwischen Public Netbase und dem Management des MQ Anfang August wurde im Frühherbst schon klar, dass diese Vereinbarung nicht eingehalten werden würde. Das Schikanieren der KritikerInnen ging weiter, und die zeitweilige Entfernung von Organisationen wie Depot und Public Netbase, zuerst mit der Begründung von Renovierungsarbeiten, war bald endgültig. Es war notwendig, zu zeigen, dass es zwar Versprechen auf eine Rückkehr ins MQ gab, deren Einhaltung jedoch höchst unwahrscheinlich war. Dieser Herausforderung wurde durch eine höchst sichtbare Kunstinstallation im Haupthof des MQ begegnet. In der Nacht des 26. September 2001 wurde die Installation aus dem Staatsratshof überraschend ins Zentrum der Aufmerksamkeit des MQ-Managements gerückt. Diese Weiterentwicklung der Installation beinhaltete auch einen neuen Rahmen für künstlerische Projekte im elektronischen Raum. Das neue Public Netbase Basecamp mit seinen Reihen fluoreszierender Lichtsäulen repräsentierte ein „leuchtendes Beispiel“ angewandter Transparenz und partizipatorischer digitaler Medienkultur.

Die durchsichtig schimmernde Zeltstruktur inmitten eines Wasserbeckens, deren Schein sich grün fluoreszierend im Wasser widerspiegelte, hatte große visuelle Anziehungskraft und ermöglichte es, Netzkonzerte mittels eingebauter Lautsprecher auszustrahlen. Eine neue Open Source Internetapplikation lud UserInnen ein, wie in einer globalen Online Jam Session in Echtzeit an einer musikalischen Komposition mitzuwirken. Obwohl die Installation von den BesucherInnen und den umliegenden Institutionen mit überwältigender Zustimmung angenommen wurde, entschloss sich das MQ-Management, mit aller Härte gegen Public Netbase vorzugehen. Statt die Vereinbarungen einzuhalten, entschloss sich das MQ-Management, seine Anwälte einzuschalten und wieder einmal einen Prozess gegen KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen anzustrengen. Obwohl der Direktor des MQ es immer schon vorgezogen hatte, den Dialog mit KulturarbeiterInnen über seine Anwälte zu führen, markierten die Übergriffe und die Räumungsklage gegen Public Netbase einen absoluten Tiefpunkt. Konservative PolitikerInnen haben in Österreich seit jeher die Notwendigkeit physischen Raums für digitale Kultur in Abrede gestellt. Diese Abneigung, „abweichender“ Kulturpraxis Raum zu Verfügung zu stellen, ist bezeichnend.

Das Public Netbase Basecamp bewies neuerlich mobile Flexibilität und zog im Januar 2002 zu einem neuen Standplatz auf der Mariahilfer Straße vor dem Eingang zum MQ weiter. Mit dieser neuen Installation machte Public Netbase auf die eskalierenden Konflikte im MQ-Komplex sowie auf die politischen Einschüchterungstaktiken und das Marketingbudget in Millionenhöhe aufmerksam. Neben seiner Funktion als „leuchtendes“ Symbol kritischer kultureller Praxis war das semi-transparente orange Netzzelt mit den Reihen vertikaler Lichter nicht nur das einzige Zeichen jener kulturellen Diversität, die in der Rhetorik des MQ ständig beschworen wurde, sondern auch eine hörbare Medieninstallation. PassantInnen und remote-UserInnen konnten mittels Text-FM, einem partizipativen SMS-an-Radio-Projekt der britischen Künstler Graham Harwood und Matthew Fuller, das in Zusammenarbeit mit Public Netbase entstanden war, zuhören und interagieren. Kooperationen mit Lokalen in der Nähe und mit dem Communityradio „Orange“ gaben dem Projekt noch größere Breite. Leider wurde es mehrmals von „Unbekannten“ angezündet und ging zuletzt ganz in Flammen auf.

STÄDTISCHE ZONEN KULTURELLER KONFLIKTE

Im Jahr 2002 war schließlich klar, dass das MQ ein völlig hoffnungsloser Fall war, was emanzipatorische und unabhängige kulturelle Praxis anbelangte. Alle kritischen Gruppen, die keine hieb- und stichfesten Verträge und keine Unterstützung der damaligen EntscheidungsträgerInnen hatten, wurden hinausgeworfen. Mit dieser aussichtslosen Situation konfrontiert, musste Public Netbase neue Strategien für einen Aktionsplan urbaner Kultur in Wien entwickeln. Der Karlsplatz, ein innerstädtisches Areal mit einem Imageproblem, das einer Neuentwicklung unterzogen werden sollte, wurde als geeignetes Einsatzgebiet identifiziert. Als Verkehrsknotenpunkt und Zufluchtsort zwielichtiger ZeitgenossInnen mit sehr hohen Summen bereits vorgesehener Sanierungsgelder und einem hohen Stadtentwicklungspotenzial schien der Karlsplatz der richtige Ort. Die Entwicklung eines Operationsplans für das umkämpfte Gebiet umfasste das Auskundschaften und eine professionelle Analyse der Lage, das Beschaffen von Plänen und Entwicklungskonzepten sowie Gespräche mit dem Stadtrat für Stadtentwicklung über mögliche neue Areale für kulturelle Praxis. Eines der taktischen Manöver war z. B. die vorgeschobene Gruppe „Öffnet den Karlsplatz“, eine erfundene Bürgerrechtsgruppe inklusive Propagandakampagne, gefälschten Presseveröffentlichungen der Regierung, „zweifelhaften“ Dokumenten und verdeckten Operationen. In einem Überraschungsangriff am 27. Juni wurden der Karlsplatz besetzt und ein freies Mediencamp installiert, das aus Containern und dem alten Basecampzelt bestand. Es bot Radio- und Satelliten-Linkups, einen freien Hotspot, tägliche Workshops, Diskussionen, Vorführungen, Performances und viele Partys. Als illegale Basis für reguläre kulturelle Praxis und Mediendiskurs errichtet, waren die Forderungen des Mediencamp nach Räumen, um kulturelle Medien aus ihrer marginalisierten und prekären Existenz zu befreien, nicht nur an die rechtsgerichtete Bundesregierung, sondern auch an die Stadt Wien gerichtet. Die Basis einer breiten Allianz heterogener Gruppen im Bereich der unabhängigen Medien, die den Platz besetzt hielten, hing stark von der logistischen und strukturellen Unterstützung durch Public Netbase ab. Aber es war nicht ein Versiegen der Ressourcen, die diese temporäre autonome Zone im Oktober beendete, vielmehr war es die unmittelbare Androhung einer gewaltsamen polizeilichen Räumung.

Die Stadtregierung wurde sehr misstrauisch, was Aktivitäten auf diesem Platz anging. Folglich war es auch trotz größter Bemühungen nicht möglich, kurz nach der Auflösung des Mediencamp eine Erlaubnis für eine temporäre Installation mit 100101110101101.ORG zu erhalten. Obwohl die Sicherheitsbestimmungen bis ins kleinste Detail befolgt wurden, musste die Installation letztlich illegal errichtet werden. Für das Tactical Media Projekt Nikeground wurde am Karlsplatz ein zweistöckiger High-Tech-Designcontainer mit Glaswänden aufgestellt. Das Projekt beschäftigte sich mit symbolischer Dominanz, Kommerzialisierung und öffentlichem Raum durch ein drastisches und anschauliches Beispiel. Im Mai 2004 veröffentlichte das System-77 Civil Counter Reconnaissance- Konsortium seinen Plan, eine Überwachungsbasis in Wien zu etablieren. Die Installation, die auf PACT Systems/Projekt Atol zurückging, löste Beunruhigung in den Rängen der uniformierten und nicht-uniformierten Polizei aus. Die Intervention nahm sich die turbulenten Demonstrationen des Jahres 2000 zum Thema und stellte als Teil der Installation einen taktischen Einsatz von S-77 anschaulich dar. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Public Netbase bereits das gesamte politische Establishment zum Feind gemacht, unabhängig von Parteizugehörigkeit. Es war deutlich, dass die Politik nicht erfreut war – und Warnzeichen gab es schon früher. Es war auch klar, dass die öffentliche Wiederaneignung physischen Raums als ein höchst signifikantes Vergehen angesehen werden würde. Es wurde daher überlegt, wie man ein Projekt, das immer wieder für öffentliche Unruhe sorgte, loswerden könnte.

Zurückblickend könnte man meinen, dass alles umsonst war, da anscheinend nichts erreicht wurde und alle Hoffnung begraben werden musste. Aber was wäre verloren gegangen, wenn nichts geschehen wäre? Für die Zukunft brauchen wir neue Widerstandsstrategien, die das Virtuelle und das Reale, das Symbolische und das Physische zusammenführen. Es müssen neue Formen kritischer Interventionen entwickelt werden, die über künstlerische Spielereien hinausgehen und auf einem Verständnis vergangener Praxis aufbauen. Kultur wird heute mehr denn je ökonomisch ausgebeutet und biopolitisch instrumentalisiert. Die Idee einer kritischen Öffentlichkeit als Bedingung demokratischer Gesellschaften gerät immer stärker ins Hintertreffen. Angesichts dieser Entwicklung ist es wichtig, die Geschichte nicht als Farce ihrer selbst zu wiederholen, sondern stattdessen klarsichtige Analysen voranzutreiben, die zu intelligenten zukünftigen Taktiken führen können. Die bevorstehenden Herausforderungen benötigen intelligente Prozesse, die neue und fortgeschrittene Konzepte kulturellen Ausdrucks ermöglichen.

Content type
text
Projects Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa
World-Information Institute
Date 2012
Location Wien

Tags

Widerstand ziviler Ungehorsam Public Netbase Basecamp Mediencamp Projekt Atol Nikeground System-77 Open Source Animationen Internetapplikation Text-FM Graham Harwood
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