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Tales from the Clit. Vorwort von Feminist against Censorship

Stell dir vor, dir wird dein ganzes Leben lang vorgeschrieben, was du magst und wie du dich fühlst – und du weißt, dass das nicht stimmt. Braucht nicht viel Vorstellungskraft, oder? Es ist eine Erfahrung, die wir alle teilen. Aber bis in die späten 1960er Jahre wurde von Frauen erwartet, dass wir Männern kommentarlos dabei zuhörten und Glauben schenkten, wenn sie uns erklärten, wie alle Frauen fühlten. Wenn wir eine andere Meinung hatten, musste es sowieso an uns liegen. Also kamen Frauen in Gruppen zusammen, in denen wir ein neues Bewusstsein formen und darüber reden konnten, wie wir wirklich fühlten. Und jetzt gibt es Frauen, die sich Feministinnen nennen, und die versuchen, uns zu sagen, dass wir alle Pornografie hassen, dass keine Frau Pornografie mag, und dass jede Frau sie gerne verschwinden lassen würde. Aus: "Tales from the Clitoris: Female Experience of Pornography", AK Press, 1996

Stell dir vor, dir wird dein ganzes Leben lang vorgeschrieben, was du magst und wie du dich fühlst – und du weißt, dass das nicht stimmt. Braucht nicht viel Vorstellungskraft, oder? Es ist eine Erfahrung, die wir alle teilen. Aber bis in die späten 1960er Jahre wurde von Frauen erwartet, dass wir Männern kommentarlos dabei zuhörten und Glauben schenkten, wenn sie uns erklärten, wie alle Frauen fühlten. Wenn wir eine andere Meinung hatten, musste es sowieso an uns liegen. Also kamen Frauen in Gruppen zusammen, in denen wir ein neues Bewusstsein formen und darüber reden konnten, wie wir wirklich fühlten. Und jetzt gibt es Frauen, die sich Feministinnen nennen, und die versuchen, uns zu sagen, dass wir alle Pornografie hassen, dass keine Frau Pornografie mag, und dass jede Frau sie gerne verschwinden lassen würde.

Feminists Against Censorship (FAC) wurde im April 1989 als Antwort auf jene Frauen gegründet, die behaupteten, dass sie uns alle mit diesem Stereotyp repräsentieren könnten. Wir haben bereits ausführlich zu verschiedenen Themen publiziert: zu Antipornografieanalysen, zu Behauptungen aus der Forschung, zur Bereitwilligkeit, dem Staat die Entscheidung anzuvertrauen, was wir sehen können und sagen sollten, und zu den falschen und irreführenden Darstellungen, die vorgeben, diese Behauptungen zu unterstützen. In Tales From the Clitoris, unserem fünften Buch, haben wir uns dazu entschieden, über unsere eigenen, persönlichen Erfahrungen mit Pornografie zu berichten. Man mag es kaum glauben, aber zu diesem Thema wurde im Mainstream-Feminismus bisher quasi nichts publiziert, vor allem nicht in Großbritannien. Die politische Kampagnenarbeit der Antiporno-Feministinnen hat die Situation für jene Frauen erschwert, die sexuelle Materialien selbst herstellen. Sie dient auch als Vorwand für die Polizei, jedes Geschäft zu durchsuchen oder jede Publikation zu beschlagnahmen, die nicht so aussieht, als wäre sie konventionelles, in der Trafik erhältliches Pornomaterial. Diese Rechtslage zwingt britische Konsumentinnen also gleichsam dazu, die uninspirierenden (und manchmal sexistischen) pornografischen Medien zu kaufen, die für Männer und normalerweise auch von Männern gemacht werden. Bilder von Geschlechtsakten, Erektionen, genitalen Kontakten und allem, was fantasievoll und einvernehmlich ist, werden nicht akzeptiert, wenn wir auf etwas reduziert werden, was nicht mehr ist als Pinups und Striptease ohne Substanz. Manche der in diesem Buch vertretenen Feministinnen mögen diese stereotypen, männlichen, heterosexuellen Pornos. Frauen haben jedoch verschiedene Geschmäcker und es gibt nicht genug Produkte auf dem Markt, um unseren feministischen Durst zu stillen. Und warum ist eigentlich der erigierte Penis in Großbritannien ein Tabu?

Komischerweise realisieren viele Antiporno-Frauen in Großbritannien nicht, dass diese Einseitigkeit britischer Pornografie der Idee der Pornografie oder den Geschmäckern der Männer nicht inhärent ist, sondern dass sie vielmehr in der Gesetzgebung und der Vorgehensweise der Polizei begründet liegt. Sie sagen, sie „mögen keine Pornos“, weil es hier gar nichts gibt, was man mögen kann – alles, was Frauen in Ansätzen gefallen könnte, scheint eine Einladung zu Hausdurchsuchungen oder zur Nichtveröffentlichung durch die großen Vertriebskanäle zu sein. Frauen und sexuelle Minderheiten, die sich um unabhängige Produktionen bemühen, sind die ersten Opfer von Antipornokampagnen. Und wie Arabella Melville in diesem Buch aufzeigt, ist dies genau im Sinne der Mainstream- Männermagazine – man könnte fast sagen, dass die Campaign Against Pornography ihr Geschäft am Laufen hält.

Der Hauptkritikpunkt des vorliegenden Buches, Tales from the Clitoris, an Pornografie ist der, dass sie meistens Sex nach den Spielregeln der Männer abbildet. Bis vor kurzem war Pornografie fast ausschließlich an ein männliches Publikum gerichtet und auch heute ist das großteils der Fall. Mainstreampornos schließen daher all jene aus, die nicht in die Kategorie der einladenden, jungen Stereotype fallen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass dies in fast allen Medienformen der Fall ist. An Männer gerichtete Softpornos gehen auf Nummer Sicher, indem sie weder Erektionen noch richtigen Sex zeigen, sodass Publikation, Vertrieb und Verkauf weiterhin sichergestellt werden können. Hardcore, d. h. sexuell explizites Material, ist in der britischen Pornoindustrie nicht legal. Hardcorepornos zeigen eine Vielzahl von Körpertypen, und da sie dazu neigen, Menschen in Interaktion miteinander zu zeigen, unterstreichen sie auch, dass Frauen selbstbewusst und in Kontrolle sein können und nicht bloß junge, passive, blauäugige Blondinen. Eine unserer Mitautorinnen, Jen Durbin aus San Francisco, hat sich mit den Realitäten der Hardcorepornografie im Detail und aus einer feministischen Perspektive auseinandergesetzt. Ihre Erfahrungen werden ganz besonders für jene interessant sein, die vor einem weniger restriktiven Zugang zu sexuell expliziten Bildern Angst haben.

Manche Feministinnen in diesem Buch finden Gefallen an Fantasien und Abbildungen von Dominanz und Unterwerfung. Diese Fantasien werden von vielen anderen Feministinnen stark abgelehnt. Sowohl lesbische als auch Sado-Maso-Pornografie werden stark zensuriert und finden nur schwer Vertriebsmöglichkeiten. Wir alle müssen jedoch über unsere Fantasien sprechen können, um die weiten Möglichkeiten weiblichen Begehrens verstehen zu lernen. Pornografie hat manchen Feministinnen in diesem Buch dazu verholfen, sich selbst als sexuelle Wesen zu begreifen. Abbildungen unterschiedlicher Frauentypen bei verschiedenen Arten von Sex hilft uns dabei, die Geheimnisse zu lüften, die die weibliche Sexualität derzeit umranken. Genauso wie Feministinnen kritisieren, dass es in der Pornografie ein Ungleichgewicht zugunsten der Männer gibt, fordern sie eine stärkere Position von Frauen in der Produktion sexueller Bildsymbolik ein. Da es einen Mangel an Pornografie für Frauen gibt, mussten sich viele von uns anderen Medien zu unserer Erregung zuwenden und Stimulations-Collagen erfinden, die all das als Grundlage heranzogen, was an sexueller und manchmal auch nicht-sexueller Materie zur Verfügung stand. Feministinnen wollen jedoch ihre Fantasien auf der Leinwand sehen und über ihre Begehren in überall erhältlichen Magazinen lesen können. Der Großteil der Artikel in Tales from the Clitoris ist von Frauen, die nie in der Sexindustrie gearbeitet haben und außer ihrer rigorosen Haltung gegen Zensur auch nichts direkt damit zu tun hatten. Einige andere Feministinnen in diesem Buch haben jedoch ihre eigenen Firmen gegründet, um feministische Pornografie zu produzieren und/oder zu vertreiben. Andere versorgen diese mit Geschichten und posieren für verschiedene Arten von erregendem Material.

Wir wollen betonen, wie wichtig es ist, so oft wie möglich die Meinungen sowohl jener Frauen zu veröffentlichen, die – so wie Linzi Drew – auf intimste Weise mit der Sex-Industrie vertraut sind, als auch jener, die an Pornos Gefallen finden, da ihre Stimmen von der Antiporno-Bewegung verdrängt werden und ihnen von Mainstream-MedienvertreterInnen nicht viel Glauben geschenkt wird. Antiporno-Frauen wischen die Aussagen jener Frauen, die anderer Meinung sind, einfach vom Tisch. Wenn du nicht davon sprichst, wie furchtbar Pornografie ist, dann wollen sie dich lieber gar nicht hören (und gehen manchmal so weit, dass sie dich der Lüge bezichtigen). Aber auch die Medien sind nicht viel besser. Frauen in der Sexindustrie, egal wie intelligent und wortgewandt sie auch sein mögen, werden im besten Fall als dumme Blondchen behandelt, die bloß zur Belustigung dienen. Als Feministinnen glauben wir, dass diese Frauen für sich selbst sprechen sollten. In einer sexistischen Gesellschaft ist natürlich auch ein Großteil der Medien – und das schließt die Pornografie mit ein – dem Sexismus verpflichtet. In diesem Buch hingegen haben Frauen aus der ganzen Welt, die in ganz verschiedenen Umständen leben, positive Aspekte an sexuellen Abbildungen formuliert.

Pornografie ist einer der vielen Wege, die von den Frauen in Tales from the Clitoris begangen werden, um ihre Sexualität auszuloten und zu entwickeln. Viele der Essays in diesem Buch handeln davon, wie Pornografie Frauen dazu verholfen hat, sich selbst als sexuelle Wesen und nicht als Opfer zu begreifen, und wie sie dadurch ermächtigt wurden, ihr Begehren anzusprechen. Andere Autorinnen erzählen, dass ihnen in ihrer Jugend ein Großteil ihres Verständnisses von Sex durch Softpornomagazine vermittelt wurde. Feminists Against Censorship bedauert, dass uns allen damals nicht mehr Aufklärungsmaterial zur Verfügung stand, von dem wir lernen hätten können, und wir wollen nicht, dass es für die Kinder, die heute aufwachsen, noch weniger davon gibt.

Vor allem Frauen brauchen mehr sexuelle Bilder, nicht mehr Unterdrückung. Nur durch die Freiheit von Schuldgefühlen, die wir Frauen dauernd in Bezug auf unsere Körper haben, können wir uns selbst als begehrenswert wahrnehmen und begreifen, dass wir uns nicht als „Schlampen“ fühlen müssen, bloß weil wir sinnlich sind. Und lasst uns nicht vergessen, dass es bei der Befreiung der Frauen darum geht, Möglichkeiten für sie zu eröffnen. Pornografie stellt eine dieser Möglichkeiten dar – wir sollten niemals daran teilnehmen, sie zu verbieten.

Content type
text
Projects Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa
World-Information Institute
Date 2012
Location Vienna

Tags

Antipornokampagnen Pornoindustrie Feminist against Censorship
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