Die Berge sind hoch, und der Kaiser ist weit!
Von den Segnungen der Provinz
In den Jahren 1880 bis 1891 schuf der russische Maler Ilja Repin ein 203 × 358 cm großes Ölgemälde mit dem Titel "Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief." Im Zentrum des Bildes sitzt an einem grob gezimmerten Tisch ein etwa vierzigjähriger Mann mit einer Frisur, als ob man ihm einen Topf aufgesetzt und alle überstehenden Haare abgeschnitten hätte, und schreibt mit sichtlichem Vergnügen. Ihn umgibt eine Vielzahl von Männern mit furchterregenden Schnurrbärten, die sich über das, was sie dem Schreiber diktieren, vor Lachen die Bäuche halten. Manche der Männer können kaum noch stehen vor Lachen, und einer hat bereits einen so roten Kopf, dass man fürchten muss, er erliege demnächst einem Erstickungsanfall. Man sieht, dass sich hier ein derber Haufen einen ebensolchen Spaß erlaubt, und es wird dabei gelacht, wie es einem im Leben nur selten vergönnt ist.
Der historische Hintergrund des Bildes reicht ins 17. Jahrhundert zurück, als der türkische Sultan von den Saporoger Kosaken verlangte, sie sollten sich ihm unterwerfen. Daraufhin taten die Kosaken etwas für sie sehr Ungewöhnliches, sie schrieben einen Brief. Dieser bestand zu etwa 90 Prozent aus Beschimpfungen wie "größter Trottel", "Schweineschnauze", "Stutenarsch", "Metzgerhund", "Hurensohn" – um ein paar der harmloseren zu nennen.
Als ich das Bild zum ersten Mal sah, muss ich wohl im Volksschulalter gewesen sein. Der historische Hintergrund war mir damals natürlich nicht bekannt. Aber alleine das Bild reichte aus, um in meiner kindlichen Seele die Vermutung aufsteigen zu lassen, dass das Leben in der Nähe der Mächtigen zwar komfortabler sein mochte, richtigen Spaß könne es aber nur dann machen, wenn die Königshöfe weit seien. Diese kindliche Einsicht verknöcherte im Laufe meines Lebens zu einer festen Überzeugung und wurde im so genannten Wendejahr erneut bestätigt. In der oberösterreichischen Kulturvereinsszene beobachteten wir die trickreiche und kaltschnäuzige Bildung der schwarz-blauen Regierung mit gehörigem Missfallen. Schon als Wolfgang Schüssel um die Weihnachtszeit das weiße Hemd auszog und seinen schwarzen Rollkragenpullover aus dem Kasten holte, waren wir alarmiert. Schüssel mimte nun in Fernsehdiskussionen den nonkonformistischen Denker, der bereit war, mit Überkommenem zu brechen. In meiner Erinnerung war das auch die Zeit, in der sich Schüssel seine salbungsvolle, pfäffische Art zu sprechen antrainierte.
Als es dann zur Regierungsbildung kam, spannten sich in der Kulturinitiativenszene alle Muskeln. War Oberösterreich doch das Land, in dem die FPÖ ihren Probelauf in Sachen Kulturkampf absolviert hatte. Zuvor hatte Jörg Haider in seinem Buch "Die Freiheit, die ich meine" die Marschrichtung vorgegeben. Seiner Analyse nach seien in Österreich "soziales und kulturelles Leben (...) weitgehend entkoppelt. Diesem Umstand ist es zu 'verdanken', dass es in einer bürgerlichen Gesellschaft mit einem marktwirtschaftlichen System die geistige Vorherrschaft der Linken im kulturellen Sektor gibt." (Haider, 73). Diese geistige Vorherrschaft müsse zuerst gebrochen werden, bevor man die Macht im Staat erringen könne. Denn, "ohne werteverteidigenden Kulturkampf ist eine Überwindung des linken Kulturfaschismus nicht möglich." (Haider, 230). Ob aus Übermut oder einem anderen Grund meinten die oberösterreichischen Freiheitlichen Mitte der Neunzigerjahre, die Vorhut in diesem Kampf um die kulturelle Hegemonie geben zu müssen. Sie holten sich dabei zwar nur blutige Köpfe, aber es reichte, um uns im Jahr 2000 besonders wachsam sein zu lassen. Alleine, es kam nicht wie befürchtet. Denn Landesregierung und Gemeinden waren klug genug, um den neuen Bundeskurs in Sachen Kunst und Kultur nicht mit zu machen. Ja, die Förderpolitik des Landes Oberösterreich bemühte sich sogar vom Bund geschaffene Härtefälle bei Kulturinitiativen abzufedern, und der Landeshauptmann gefiel sich in der Rolle des Mentors, der seine schützende Hand über "seine" Zeitkulturszene hält. Kurz, die Blödheiten der Bundesregierung wurden dermaßen von der Landesregierung gefiltert und teilweise bewusst korrigiert, dass oberösterreichische Kulturinitiativen, zumindest in ihrem unmittelbaren Bereich, keinen Schaden litten.
Es gibt allerdings noch einen zweiten Faktor, weshalb die angebliche Wende die oberösterreichische Kulturinitiativenszene (noch) nicht erreicht hat. Die (einigermaßen ernst zu nehmende) Politik hat bereits vor einigen Jahren ihre Lektion gelernt, dass man sich in Sachen Kunst und Kultur am besten nicht kritisch zu Wort meldet. Das bringt nur schlechte Schlagzeilen, und man steht am Schluss meist als engstirniger Trottel da. Stattdessen wurden Entscheidungen an Gremien und den Verwaltungsapparat delegiert. Dies hat mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass kaum noch durchschaubar ist, wann und wo eine zustimmende oder ablehnende Entscheidung eigentlich gefallen ist, und wer dafür die Verantwortung trägt. Ein solcher Apparat reagiert träge auf politische Veränderungen, und oftmals wird sogar bewusst gegen die Politik gehandelt. Diese Trägheit ist allerdings auch jetzt wieder zu spüren. Die "Wenderegierung" hat durch Gremien-, Beirats- und Postenbesetzungen Kollateralschäden verursacht, die mittlerweile doch bis Oberösterreich durchschlagen, und die auch nur schwer zu reparieren sind. Denn die Personen, die hier in neue Positionen gehievt wurden, traten nicht mit der Regierung ab, die dafür verantwortlich zeichnet (so wie es eben davor auch war).
Mit dieser Einschränkung der Kollateralschäden (die mit der Zeit wohl auch wieder weg zu bekommen sein werden) leben wir in Oberösterreich aber weiterhin ähnlich fröhlich, wie die Saporoger Kosaken auf Repins Bild.
Natürlich sehen wir die Leiden all jener, die sich als "bezahlte Opposition" in den Dunstkreis der Herrschenden begeben haben. Die als Quer-, Vor- und Andersdenker jenes Korrektiv abgaben, das jede Regierung braucht, um nicht völlig betriebsblind zu werden und sich ein wenig mit diesen Quälgeistern zu schmücken. Aber spätestens seit die Medici nach ihrer Rückkehr nach Florenz den armen Niccolò Machiavelli in den Kerker warfen, weiß jeder Mensch, der sich mit Politik beschäftigt, dass sich die neuen Fürsten ungern mit den alten Einflüsterern und Spaßmachern zufrieden geben. Wer sich in die Nähe der Macht begibt und von ihr abhängig wird, muss sich über kurz oder lang vor allem um die Absicherung seiner eigenen Position kümmern, um seinen Platz am Futtertrog und die Größe des ihm zugeteilten Löffels. Und wie sich Machiavelli im Kerker abmühte, durch sein Werk "Der Fürst" die Gunst der Medici zu gewinnen, so stürzen sich manche in immer neue Theorieproduktion. Und das mit einer Geschwindigkeit, dass man glauben könnte, sie befänden sich dabei im Kern der Kulturindustrie und seien der brutalsten, sich immer schneller drehenden, kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen. Für viele Kulturinitiativen, die oft jahrelang an kleinen Veränderungen in der für sie relevanten Öffentlichkeit arbeiten, ist dieser schnelle Wechsel der gerade hippsten Theorieproduktion schon gar nicht mehr rezipierbar.
Aber dennoch gehört unseren Freundinnen und Freunden von der intellektuellen Front unsere ganze Liebe. Wenn sie Trost, Rat oder auch nur einen kleine Verschnaufpause brauchen, werden wir sie in unserem Gebieten immer willkommen heißen und ihnen Schutz anbieten. Und wenn es wieder einmal sein muss, dann rüsten wir auch gerne wieder einmal zu einem gemeinsamen Waffengang.
Ansonsten kann ich nur feststellen, dass die so genannte Wenderegierung wenig Macht über uns hatte. Und auch der derzeitigen und den zukünftigen wird es nicht anders ergehen. Und wenn sie einmal glauben, uns beschränken oder beschneiden zu müssen, dann wird unsere Antwort wohl ähnlich ausfallen wie die der Saporoger Kosaken an den türkischen Sultan 1676. Vielleicht verwenden wir auch die selbe Grußformel zum Abschied: "Jetzt machen wir Schluss, weil wir den Tag nicht kennen und keinen Kalender haben, der Mond steht am Himmel, das Jahr und der Tag sind die gleichen wie bei euch, und deswegen küsse uns am Arschloch!"
Haider, Jörg: Die Freiheit, die ich meine. Das Ende des Proporzstaates. Plädoyer für die Dritte Republik, Frankfurt, Main 1994.
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Projects | Kampfzonen in Kunst und Medien World-Information Institute Texte zur Zukunft der Kulturpolitik |
Date | 2008 |
Location | Vienna |