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Interview mit Gerald Raunig

Gerald Raunig ist Philosoph und arbeitet an der Zürcher Hochschule der Künste sowie am von ihm mitgegründeten eipcp (European Institute for Progressive Cultural Policies). Er veröffentlichte u. a. Monografien zum Widerstand gegen die schwarzblaue Regierung („Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands“, Wien 2000), zu „Kunst und Revolution“ (Wien 2005) und „Tausend Maschinen“ (Wien 2008, alle erschienen im Verlag Turia+Kant).

Gerald Raunig ist Philosoph und arbeitet an der Zürcher Hochschule der Künste sowie am von ihm mitgegründeten eipcp (European Institute for Progressive Cultural Policies). Er veröffentlichte u. a. Monografien zum Widerstand gegen die schwarzblaue Regierung („Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands“, Wien 2000), zu „Kunst und Revolution“ (Wien 2005) und „Tausend Maschinen“ (Wien 2008, alle erschienen im Verlag Turia+Kant).

In den 1990er Jahren entstand ja ein sehr breites Spektrum aktivistischer Mediennutzung. Siehst Du einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Internet-Technologien und der Herausbildung neuer Protestformen? Welche Rolle spielten Deines Erachtens Protestmedien im Widerstand gegen die rechts-konservative Bundesregierung in Österreich?
Gerald Raunig:
Um das klar abzugrenzen: Ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Weise sinnvoll ist, neue Medien als den Hauptaspekt der Transformation von sozialen Bewegungen zu verstehen, sondern das geht einher mit neuen Organisationsformen, die sich in den sozialen Bewegungen selbst entwickelt haben. Ich glaube, da kann man eine Vielzahl an Beispielen in den letzten 20 Jahren finden – und das Moment 1999/2000 ist nur eines unter vielen –, insofern der Diskurs immer wieder aufgekommen ist, der soziale Bewegungen vor allem vor dem Hintergrund dieses oder jenes neuen Mediums betrachtet: vom Einfluss der sms-Technologie auf Flash Mobs bis zur Facebook-Revolution. Das ist aber eine völlige Reduzierung der Perspektive auf die jeweilige soziale Bewegung. Was da in der Retrospektive auf das Moment 1999/2000 schon eher interessant erscheint, ist die parallel ablaufende Entwicklung einer zu diesem Zeitpunkt explodierenden Anti-Globalisierungsbewegung einerseits und der doch sehr national perspektivierten Widerstandsbewegung in Österreich andererseits. Da gab es aus meiner Sicht erstaunlich wenig Verkoppelun- gen zwischen diesen beiden Strängen. Es entstand in Österreich zwar eine Vernetzung der einzelnen Kunstfelder und übers Kunstfeld hinaus natürlich eine Vernetzung von diversen Politikfeldern mit diesen Kunstfeldern. Aber das lief zumeist innerhalb der nationalen Grenzen ab; das einzige Internationale war, etwas übertrieben formuliert, dass die einzelnen Protagonist/ innen sich selbst exportiert haben oder exportiert worden sind in Veranstaltungen, die in Europa stattgefunden haben und in denen Österreich zurecht als monströses, vielleicht avantgardisches Beispiel einer neuen rechtsradikalen Entwicklung propagiert worden ist.

Aber gerade im Kontext der österreichischen Widerstandsbewegung spielten viele Projekte eine Rolle, die sich der neuen Medientechnologien bedient haben. So funktionierte ja auch Public Netbase als Schnittstelle zwischen Kunst- und Aktivismusszene, die nicht zuletzt international vernetzt war.
Gerald Raunig:
Ja, aber das hat schon in den 1990er Jahren begonnen: der Versuch, etwas aufzubauen, das mit dem Glamour des neuen Mediums Internet spielte, dabei aber selbst-reflexiv und kritisch blieb. Aus meiner Sicht ging es damals darum, so etwas wie eine neue Form von gegen-kultureller Vernetzung zu instituieren, auch wenn dies, soweit ich die Praxis der Netbase richtig einschätze, in gewisser Weise nur eine Erneuerung von Vernetzungsbemühungen darstellte, die bis in die 1980er Jahre zurückreichen. Aber auch an den 1990er Jahren kann man noch kritisieren, dass diese Vernetzungsbemühungen stark mit repräsentativen Ansprüchen und der immer noch linear verstandenen Logik des Netzwerks verbunden waren. Die Idee war eine Zusammenführung von verschiedenen, schon vorgängig existierenden europäischen Knotenpunkten zu einem Netz – im technischen, aber auch im diskursiven und sozialen Sinn. Mit der Anti-Globalisierungsbewegung verschwindet dieser lineare Zusammenhang, wo zuerst viele kleine lokale Knoten vorhanden sind, die sich dann zu einem Netzwerk zusammenschließen. Hier geht es vielmehr um einen Austausch, der kein Vorher und kein Nachher kennt, ein maschinischer Strom sozusagen, mit vielen kleinen Kriegsmaschinen und abstrakten Maschinen.

Würdest Du hier von einer symbolischen Trennlinie entlang der Jahrtausendwende sprechen: zuvor eine Vernetzungsarbeit im klassischen Sinne, danach eine maschinische Organisationsform, wie sie der Anti-Globalisierungsbewegung entspricht?
Gerald Raunig:
Ich möchte dieses wunderbare millenaristische Bild jetzt nicht zerstören, aber natürlich hatte das, was in den 1990er Jahren als Netzwerk bezeichnet wurde, auch schon maschinische Züge. Allein am Begriff der tactical media und der verschiedenen Praxen von tactical media kann man sehen, dass das Maschinische immer schon da war. Es ist eher eine Frage, wie das Ganze dann in diskursive Form gegossen wird, und da würde ich sagen, dass die Netbase in den 1990er Jahren stark in die Rhetorik der Vernetzung und des Netzwerks eingebunden war. Ich glaube aber, dass in der Praxis selbst, sowohl der Netbase, als auch der sich damals ausbreitenden Netzkulturen, die ja interessanterweise früh auch in Osteuropa entstanden sind, sehr viel Maschinisches steckte. Insofern stimmt das mit dem Bruch nicht so ganz. Es geht vielmehr um die Diskurse, die etwa das, was Félix Guattari schon in den 1960er Jahren als maschinisch bezeichnet hat, um 2000 langsam als eigene Qualität wahrnahmen. Womöglich haben sich die früheren Mediendiskurse um die Themen von Vernetzung und Netzwerken in den 2000ern allmählich aufgelöst, oder sie bewegten sich zwar weiter, aber der ganze Netzwerkdiskurs brach zusammen oder wurde zumindest unwichtiger.

Könnte man hier auch von einem „Alltagswerden“ der neuen Medien in dem Sinne sprechen, dass viele jener Medien, die in den radikalen Netzkulturen aufgebaut wurden, schließlich in den Medienalltag eingehen?
Gerald Raunig:
Ja, dem kann ich zustimmen. Das wurde auch in spezifischer Weise vor mehr als zehn Jahren schon in der Netbase besprochen. Die Beteiligten waren sich bewusst, dass es einen solchen Wandel gibt, und haben deswegen auch nach anderen Aufgaben, nach einer Transformation ihrer Bestimmung gesucht. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung, dass es jenseits der allzu engen Kompetenzvermittlungsgeschichten – wie „Was heißt Internet, was heißt E-Mail und wie gehe ich damit um?“ –, dass jenseits davon die Verbindungen zwischen diskursiven und realen Orten, aber auch die Kompetenzvermittlungsaufgaben im weiteren Sinn enorm wichtig bleiben. Die Notwendigkeit von „Kulturservern“, wie sie vor allem in den 1990er Jahren aufgebaut wurden, fällt also nicht weg, sondern stellt sich gerade in unserem heutigen Medienalltag täglich neu.

Nun lässt sich aber feststellen, dass mit zunehmend sinkenden Kosten für Computertechnologien und Internetzugang sowie mit einer einfacheren Handhabung der Webtools eine Öffnung des elektronischen Raums statt- gefunden hat. Steckt hierin nicht auch ein emanzipatorisches Potenzial für soziale Bewegungen?
Gerald Raunig:
Das muss man differenziert betrachten: Einerseits ist die Kompetenz mehr als zehn Jahre nach der massenhaften Ausbreitung des Internet sehr erhöht – ein unglaublicher Kompetenzzuwachs, nicht nur von Jugendlichen. Die andere Sache ist die, dass zu dieser Zeit auch so etwas wie indymedia entstanden ist. Das versetzte den alten Akteur/innen einen virtuellen Todesstoß, weil das aktivistische Begehren nunmehr in ganz andere Strukturen floss; vielleicht sollte ich auch hier gar nicht „Strukturen“ sagen, sondern eben Maschinen, die nicht mehr so aufgebaut sind wie die Organisationen der 1990er. Die Netbase war klar als ein Verein organisiert, während indymedia – wenn überhaupt – nur ganz im Hintergrund als Verein funktioniert. Ich kann mich an eine Versammlung von MedienaktivistInnen in Barcelona erinnern, die vor dem 1. Mai 2004 stattgefunden hat und die als basisdemokratischer Konvent für Leute aus ganz Spanien abgehalten wurde. Da wurde diskutiert, ob man nicht einen Verein gründen und das ganze Projekt verstärkt als NGO angehen sollte. Aber das ist eine Minderheit geblieben! Ich glaube, dass das nur ein kurzes Aufflammen von Ideen aus den 1990ern Jahren war. Ich glaube nicht, dass so ein NGO-Denken für indymedia jemals wirklich relevant war. Das hat politische Gründe, weil das eher links-radikale, anarchistische Organisationen waren, was man vermutlich von den Hauptakteur/innen der tactical media nicht sagen kann.

Kann man dann plakativ sagen, dass aus der Vernetzungsidee eine Verkettungsidee wurde?
Gerald Raunig:
Wie gesagt, es gab immer schon Aspekte der Maschine, auch wenn die Akteur/innen der 1990er vordergründig den Zugang über die Struktur suchten. Im Diskurs über diese Fragen entstand aber wirklich eine Bewegung zum Maschinischen hin oder von der Vernetzung zur Verkettung, wie du sagst. Allerdings muss man da auch etwas differenzieren: Wenn man bedenkt, wie ausgesprochen maschinisch die Vorgangsweise der Public Netbase gegen Schwarz-Blau war, darf man das nicht so sehen, dass mit 1999 die alten Strukturalist/innen auf den Misthaufen geworfen worden sind, sondern die waren gerade selbst auch Akteur/innen in Bewegungen hin zum Maschinischen. Dies zeigt sich auch an aktivistischen Praxen, die in dieser Zeit etwa im Rahmen von „gettoattack“ oder „Volkstanz“ – beides Projekte, die für die Netbase sehr wichtig waren – entwickelt worden sind. Ich glaube, dass nicht zuletzt deswegen diese maschinischen Verkettungsaspekte, diese Energien der Netbase stärker in künstlerische Projekte geflossen sind. Da ist eine gewisse Entwicklung in Richtung nonlinearer Verkettung passiert, die von einem größeren Kontext ausgegangen ist und zugleich Ausgangspunkt neuer maschinischpolitischer Kunstpraxen war.

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