Universalität revisited! Lehren aus dem Projekt "Period After": die Einschränkung sozialer und ökonomischer Emanzipation im neoliberalen Kapitalismus
"Period After“ war ein unabhängiges Projekt, das von der Wiener Netzkulturinstitution  Public Netbase unter der Leitung von Micz Flor, einem  deutschen Netzwerker und Medienaktivisten, mit einer Reihe von lose affiliierten  MitarbeiterInnen und AutorInnen durchgeführt wurde. Das Projekt  wurde 1999 als Reaktion auf die militärische Intervention der NATO  in der Bundesrepublik Jugoslawien initiiert. Obgleich – wie sich herausstellte  – ein Projekt von nur kurzer Dauer war „Period After – Medien und  Kultur, Integration und politisches Leben in Südosteuropa“ als Initiative  konzipiert, die „sich mit den mittel- und längerfristigen Entwicklungen im  Balkan im Bereich Medien, zeitgenössische Kultur und den potenziellen  und realen Konsequenzen der Balkankrise [befasste]. Hauptanliegen von  Period After [war], ein multi-ethnisches Umfeld der Kooperation und Integration  [zu schaffen]. Das Projekt [kooperierte] mit unabhängigen Stimmen  und Organisationen aus der Balkanregion, die durch Propaganda,  Desintegration sozialer und materieller Lebensumstände und die Folgen  der Luftangriffe unter massivem Druck [standen].“  
Die Projektwebseite „http://periodafter.t0.or.at“ sammelte verschiedene  Arten von Postings, Artikeln, Interviews, juristischen Analysen, Stellungnahmen  und persönlichen Tagebüchern, die zusammengenommen  zwei Ziele verfolgten: einerseits die soziale, politische, kulturelle und mediale  Landschaft Serbiens zu zeigen, die für ein internationales Publikum  nicht leicht zugänglich war, und andererseits ExpertInnen und BürgerInnen  durch die neuen Medientools und das Internet zu ermächtigen. Die  Webseite beinhaltete auch einen Aufruf zu Beiträgen und bot Unterstüt-  zung bei Übersetzungen, da die Plattform dreisprachig (Deutsch, Englisch,  sogenanntes „Serbokroatisch“) veröffentlicht wurde. Bald danach  wurde die Initiative durch eine Mailingliste ergänzt, die sich mit „diversen  Themen auseinandersetzte, welche die Zeit nach dem Kosovo-Konflikt  betrafen“. Die Liste ermutigte offene, nicht-moderierte Diskussionen,  machte Meinungen sichtbar und kanalisierte Vorschläge für zukünftige  Entwicklungen in Südosteuropa. Im Rahmen des Projekts wurden außerdem  Medienstreams aus Belgrad mit Hilfe des Österreichischen Rundfunks  (ORF) ausgestrahlt. Neben dieser „virtuellen“ Unterstützung half  das Projekt vielen KünstlerInnen und KulturpraktikerInnen aus Serbien  auch ganz konkret, indem ihnen ein neues Arbeitsumfeld und Ressourcen  in den Büros der Public Netbase in Wien angeboten wurden.  
Vor allem aber stellte „Period After“ die unmögliche Forderung nach  freien Medien und objektiver Berichterstattung über die Ereignisse während  der sogenannten Kosovokrise. Hier gab es einen Zusammenstoß zwischen  den traditionellen Medien, die durch das offizielle serbische Regime  kontrolliert wurden, und den freien, unabhängigen Medien, die verfolgt  und geschlossen wurden und deren Hauptreferenz damals das unabhängige  Radio B92 aus Belgrad war. Auf der anderen Seite verringerte das  in Serbien schon damals bestehende Monopol der Internetanbieter das  Freiheits-Versprechen einer grenzenlosen Kommunikation, das zu dieser  Zeit bereits auf globaler Ebene bestand. Und doch: Die Bedeutung dieses  Projekts bestand in dem Versuch, weiterhin existierende Nischen in den  Online-Kommunikationskanälen zu finden und wiederzugewinnen, die  Menschen miteinander zu verbinden, Geschichten anders zu konstruieren  und Bedingungen für mögliche kleine Reintegrationsprozesse jenseits  der Repräsentationsstrategien der dominanten politischen und medialen  Regime zu schaffen.  
DIE UNIVERSALITÄT VON MENSCHENRECHTEN ALS  „HÖHERES RECHT“  
Seit der NATO-Intervention in Serbien/der Bundesrepublik Jugoslawien  im Jahr 1999 wurde „militärischer Humanismus“ immer wieder und an  vielen verschiedenen Schauplätzen der Welt angewendet. Einer seiner  Hauptbestandteile ist das Pochen auf Universalität (von Menschenrechten).  Ebenso bedeutsam, jedoch alarmierender ist die Einschränkung so-  zialer und ökonomischer Emanzipation und die Preisgabe der Prinzipien  des Klassenkampfes, indem universale (neo-)liberale Normen proklamiert  und angewendet werden, wie zum Beispiel ökonomische Vernunft, Menschenrechte,  die Souveränität des Volkes und der Staat als Organisator des  Marktes. In den folgenden Absätzen werde ich versuchen, mich mit zwei  Fragesträngen auseinanderzusetzen: Einerseits werde ich den sozialen  und ökonomischen Kontext der NATO-Intervention 1999 beleuchten und  andererseits die heute bestehende Landschaft „sozialer Medien“ innerhalb  des neoliberalen Kapitalismus kritisch analysieren. Beide Fragestellungen  gründen sich in der Annahme einer Universalität als „höheres Gesetz“  – im Grunde eine Nebelgranate, die von den eigentlichen Interessen ablenken  soll.  
Es gab seit 1990 fortlaufend Versuche, neoliberale Staaten nationalistischer  Ausrichtung zu etablieren und das jugoslawische Projekt zu beenden;  Bestrebungen, die im Einklang mit der NATO-Intervention 1999  und den demokratischen Veränderungen in Serbien waren. Es ist schon  paradox, dass die NATO-Intervention und die Luftangriffe auf Serbien teilweise  mit der selektiven Anerkennung der jugoslawischen Verfassung von  1974 gerechtfertigt wurden, welche die Idee der wirtschaftlichen, politischen  und kulturellen Autonomie des Kosovo erstmals einführte. Diese  Veränderung der Verfassung basierte jedoch noch immer auf den Prinzipien  der Emanzipation der ArbeiterInnenklasse und auf dem jugoslawischen  Modell des sogenannten „Selbstverwaltungssozialismus“ – und  eben nicht auf der Idee eines liberalen Nationalstaates. Trotzdem wird diese  Verfassungsänderung, durch die Jugoslawien zu einer Konföderation  wurde, oft als Auftakt für den blutigen Zerfall Jugoslawiens gesehen – und  nicht etwa als die Aufgabe des sozialistischen Emanzipationsprozesses  oder die Sehnsucht nach einem bourgeoisen Nationalstaat mit all seinen  kapitalistischen Mechanismen der Ausbeutung und Ungleichheit. Was  am Ende der 1980er von serbischen AkademikerInnen und NationalistInnen,  die sich in der serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste  versammelten, proklamiert wurde, war bald die tragende Säule der sogenannten  „demokratischen Revolutionen“ von 1989: antikommunistischer  Konsens, wirtschaftliche Vernunft, die Wiedereinsetzung des liberalen Nationalstaats  als Hauptorganisator des Markts, die Souveränität des Volkes,  Menschenrechte etc. Oder kurz gesagt: ein Ruf nach Demokratie! Das Widerstreben,  die wirtschaftlichen Bedingungen anzuerkennen, führte zur  Übersetzung von Klassenproblemen in das Nationale und zur Maskierung  der Klassenausbeutung, indem auf die Universalität der Interessen der Nationen  und des Staates gepocht wurde (vgl. Karamanic 2006). 
 In manchen Artikeln der „Period After“-Webseite wurden daher  offen Zweifel an den demokratischen Appellen des „anderen Serbiens“  angemeldet, das von liberalen Intellektuellen und PolitikerInnen in  Abgrenzung zum Miloševic-Regime während der 1990er ausgerufen  worden war. Gemeinsam mit vielen anderen Organisationen der  serbischen Zivil gesellschaft bildeten sie „pro-demokratische nationale  Kräfte“. Ihr Ziel war zugleich der Widerstand gegen den Krieg im  ehemaligen Jugoslawien und die Herstellung der freien Marktwirtschaft.  Während viele der Postings auf der „Period After“-Webseite an der  demokratischen Rolle von Radio B92 in den Antikriegs- und Anti-  Miloševic-Bemühungen im Serbien der 1990er keinen Zweifel hatten,  war dessen Wandel von einem öffentlichen Jugendsender zu einem  privaten Radio- und TV-Sender nur ein Beispiel für die „Unaus- weichlichkeit“  der Privatisierung von Gemein- und Staatseigentum. Hier  wurde ein bereits vor gegebener Weg in Richtung neoliberaler Politik  eingeschlagen, weshalb in Serbien (so wie in allen anderen Ländern Osteuropas)  heute der Neo liberalismus sein „natürliches“ Umfeld findet  (vgl. Buden 2007). 
 „UNIVERSALE“ AUSSICHTEN AUF „SOCIAL NETWORKING“ 
 „Social Networking“ und Web 2.0 bieten heute neue Formen der Produktion:  Eine große Anzahl an Menschen hat nunmehr die Möglichkeit,  Inhalte zu schaffen, zu verändern und untereinander auszutauschen. Sie  erhalten für ihre Arbeit jedoch keinerlei Entlohnung außer dem universellen  Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, Informationsfreiheit  sowie das Gefühl, dazu zu gehören, und die Möglichkeit,  mit Millionen anderen Menschen zu kommunizieren. Die Bedeutung des  „sozialen Netzwerks“ liegt in der Logik des digitalen Kapitalismus, der auf  einer systematischen Abschöpfung kollektiver Intelligenz beruht, während  der Profit in den Händen einiger weniger privater Web 2.0-Firmen bleibt.  Das Aufsaugen von Produkten aus freier Arbeit durch private Interessen,  die auf ökonomischer Vernunft und Herrschaft basieren, stellt heute den  Haupthinderungsgrund für eine emanzipatorische Zukunft „sozialer  Netzwerke“ dar. 
 Im Neoliberalismus gruppieren sich Rechte entlang zweier dominanter  Machtlogiken: jener des Territorialstaates und jener des Kapitals. Oft steht  eine universale Norm im Widerspruch mit einer anderen, wobei dann zumeist  „zwischen gleichen Rechten die Gewalt [entscheidet]“ (Marx 1976).  Was abgeleitete Rechte wie Gedanken-, Meinungs- und Ausdrucksfreiheit  betrifft, so haben sich diese als sehr anziehend herausgestellt: als etwas,  auf das wir uns gerne verlassen. Wir leben dabei jedoch wie die BettlerInnen  von den Brotkrumen, die vom Tisch des reichen Mannes fallen (vgl.  Harvey 2005). Diese Vorstellung sollte eigentlich keine Anziehungskraft  auf uns haben und doch hat sie sich zum Motor der postfordistischen,  immateriellen Produktion entwickelt. 
 Anstatt für ein anderes Verständnis von Universalität zu plädieren, sollten  wir die Dimension des Allgemeinen – das Allgemeinwohl – genauer  beleuchten, um somit das Universelle selbst zu hinterfragen. Aspekte, die  in uns allen gleichermaßen vorhanden sind, sind universell, während das  „Allgemeine“, das „Generelle“ nicht etwas ist, dem wir in uns begegnen  können, sondern etwas, das zwischen uns stattfindet (vgl. Virno 2009).  Das Generelle, das Allgemeine, so wie es im „general intellect“, dem „allgemeinen  gesellschaftlichen Wissen“ zum Ausdruck kommt, sollte in einem  komplexen emanzipatorischen Kampf verstrickt sein, um somit vom  Universellen weg zu kommen. Jedoch transformieren der Staat und die  postfordistische Gesellschaft das Generelle unablässig in das Universelle,  in eine Quelle finanzieller Gewinne, und aus der Virtuosität wird ein Muster  postfordistischer Produktion. 
 „PERIOD AFTER“ – EIN AUSBLICK 
 Um zu der Initiative „Period After“ zurückzukehren: Sie stellte ein wirklich  kommunikatives Modell zur Informationsverbreitung, zur digitalen  Beteiligung, zur Vernetzung verschiedener Menschen und zu ihrer Zusammenarbeit  anhand eines spezifischen Themas und unter spezifischen  Bedingungen dar. Das Projekt bot einen Kommunikationskanal, einen  sozialen und medialen Raum, der sich von den anderen für diese Zeit typischen  Versammlungs- und Diskussionsräumen unterschied. In manchen  Blogs auf der „Period After“-Webseite wurde versucht, ein präziseres Bild  der politischen und ökonomischen Lage in Serbien und im Kosovo im  Jahr 1999 zu zeichnen: Bilder verarmter Menschen, von Schwarzmarkt-  Ökonomien und Neokolonialismus. Sie hoben jedoch nicht explizit die  zugrundeliegenden Probleme der Klassenunterschiede und der neoliberalen  Vorherrschaft hervor. Und obgleich das Modell von „Period After“  teilweise auf dem Prinzip der (abgeleiteten) Universalität basierte, so schuf  es zumindest Raum für eine Vielzahl einzelner Stimmen, welche ihre Verbindung  zum Generellen, zu einem gemeinsamen „Wir“ beibehielten und  uns auf diese Weise daran erinnerten, dass die einzelne Stimme das Resultat  einer Bewegung sein kann, die selbst im „Gemeinsamen“ wurzelt – in  der Möglichkeit des Gemeinsamen. 
 Teile dieses Texts wurden bereits veröffentlicht: „Period After – A Review“.  In: New Media Center_kuda.org (Hg.): „PUBLIC NETBASE: NON  STOP FUTURE. New practices in Art and Media“. Novi Sad: Revolver 2008.  
 
LITERATUR 
Buden, Boris (2007): Kommentar zu Branka Curcic: Autonomous Spaces of Deregulation and Critique: Is a Cooperation with Neoliberal Art Institutions Possible? http://eipcp.net/transversal/0407/buden2/en/base_edit#b2#redir 
Harvey, David (2005): A Brief History of Neoliberalism. Oxford University Press. 
Karamanic, Slobodan (2006): Kosovo After Yugoslavia. Belgrade: Prelom magazine No 8. 
Marx, Karl (1976): Capital. Volume 1. 1867. (trans. Ben Fowkes). London: Harmondsworth. 
Virno, Paolo (2009): The Dismeasure of Art. An Interview with Paolo Virno. Open – Cahier on Art and the Public Domain. SKOR | Foundation for Art and Public Domain. http://www.skor.nl/article-4178-nl.html?lang=en
| Content type | text 
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|---|---|
| Projects | Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa World-Information Institute  | 
    
| Date | 2012 | 
| Location | Vienna | 
 Institute for New Culture Technolgies / t0