TAG MAPcontentquery
LOG

MAP BROWSING HISTORY

MAP LEGEND

CONTENT TYPES
Texts Videos Images Authors Projects
TAG TYPES
General Tags Technologies Authors Places Names
SPECIAL TYPES
Root Topics

Einige Lehren aus den Neunziger Jahren

Mit diesen strukturellen Zwängen, welche die Ökonomie des Projektes durchziehen, müssen wir wohl offensiv umgehen, gerade in einer Zeit, in der die Ordnungsregeln des Ökonomischen alle Lebensbereiche zutiefst durchdrungen zu haben scheinen und keine Politik mehrheitsfähig zu sein glaubt, die ihre kulturpolitischen Entscheidungen anderen Perspektiven unterstellt.

 Oder: was das ist eigentlich,  eine kritische Institution im Kulturbetrieb? (1)   

Schlagworte machen sich verdächtig nicht bloß durch ihre Funktion,  den Gedanken zur Spielmarke zu degradieren; sie sind der Index ihrer  eigenen Unwahrheit. 

(Theodor W. Adorno in: Eingriffe. Neue kritische Modelle. Frankfurt  am Main 1963, S. 59-68)

 Wir leben, wie immer – und alle vor uns – in schwierigen Zeiten,  und Dinge, die uns gerade noch sicher erschienen, verschwinden  vor unseren Augen. Die Geschwindigkeit, mit der sich gerade erst  formulierte Positionen in ihr Gegenteil verwerfen, wirkt oft mitunter  fast so, als seien die neuen Paradigma in einem Putsch an die  Macht gekommen. Gerade im Kunstbetrieb. Das mag damit  zusammen hängen, dass in diesem, wie übrigens in anderen auch,  die mit Moden, Stilen und Lebensweisen zu tun haben, bis heute  eine Dezennienlogik von Epochengeschichte gängig ist, welche  die Produktionsgeschichte von ästhetischen Ideen mit dem Beginn  ihrer Durchsetzung im Mainstream des Denkens von nachmaligen  Eliten gleichsetzt. Meist ist so ein schlagwortartiger rascher  Wandel jedoch mehr der generationenwechselnden Distinktionssucht  geschuldet und die Latenz, mit der sich der Betrieb in  seinen Strukturen, oder besser Infrastrukturen, weiter bewegt, die  Kontinuität, die durch das Personal, das in ihm arbeitet, gewährleistet  ist, lässt ihn im Rückblick doch moderat und eher als behäbige  Entwicklung denn als radikale Neuordnung erscheinen. 

Manchmal jedoch ereignet es sich, dass die Umstellung der  Paradigmen grundsätzlich erfolgt, und dass die neuen Kader sie  bis in die Strukturen und Personalien hinein mit einer eifrigen  und rigorosen Konsequenz durchsetzen. Anders als im Raum  des Politischen geschieht das im Kulturbetrieb meist unbemerkt  von der größeren Öffentlichkeit, der die Kritik am Geschehen  zuweilen wie ein kleinlich-geifernder Verteilungskampf erscheint.  Selten ist sie interessiert an der zwar von Ungewissheiten  und Marginalisierungen, jedoch von künstlerischer  Aufbruchsstimmung gezeichneten, rauen Zeit, in der sich dieses  kulturelle Paradigma zu formulieren beginnt. So eine radikale  Veränderung kann nur dann beginnen, wenn der normale  Gang der Dinge leicht gestört ist. Anfang der Neunziger Jahre  war das zum Beispiel der Fall. Da wir bis heute, zumindest im  europäischen Kunstbetrieb, die Konsequenzen so einer Störung  mittragen, und diese Konsequenzen von einem viel größeren  Bruchschlagwort verdeckt sind, dem der Globalisierung nämlich,  lohnt es sich vielleicht, will man die gegenwärtige nahezu  freiwillig erscheinende Kapitulationserklärung des Politischen  vor dem Ökonomischen, deren doppelte Wurzeln in diese Zeit  reichen, anders verstehen als in den wie ein Programm vorgebrachten  und dennoch staunend hilflosen Statements, mit denen  zum Beispiel die Kulturpolitik ihre Konsequenzen aus diesem  Wandel argumentiert und zu legitimieren sucht. Wie konnte es  dazu kommen, dass in einem nahezu freiwilligen Tuschakt ökonomisches  und politisches Handeln im Bezug auf die Kultur  parallelisiert, beziehungsweise gleichgesetzt wurden? Natürlich,  Globalisierungskritik, die KritikerInnen des Neoliberalismus,  Gouvernementalitätsstudien und linke KulturökonomInnen  haben diese Erzählung vom Putsch schon durchaus  luzide geschrieben. Gerade in manchen dieser Erzählungen  aber, dann wenn sie auch über die eigene Position von Intellektuellen  und KulturarbeiterInnen in diesem Wechselwetter  reflektiert haben, werden auch die ganze Ambivalenz und die  Doppelrolle deutlich, die den KritikerInnen selber zukommt.  Den marktökonomischen Maximierungsanstrengungen werden  dort die eigenen Koordinierungsprobleme als Konsequenz  gegenübergestellt. Dabei haben sie, wie mir scheint, beide dieselben Wurzeln. Doch davon zu reden hieße, eine andere  Geschichte erzählen zu müssen. Jedenfalls stimmen viele der  oben genannten KritikerInnen darin überein, dass es die  Perfidie neuer sublimer Herrschaftsformen in der alten westlichen  Welt und ihren ausdifferenzierten Teilgesellschaften, wie  dem Kulturbetrieb, sei, auf eine moderne, "flüssige" Machttechnologie  zu setzen, in der die Vergesellschaftung der  Individuen gerade vermittels ihrer Subjektivierungsweisen  vollzogen wird. Eine zentrale Rolle spiele dabei die willentliche  Selbsttätigkeit der Menschen, sich dem Gesetz ethisch verpflichtet  zu fühlen und die Normen auf sich selbst zu beziehen.  Demgegenüber gehe es darum, neue Formen von Subjektivität  hervorzubringen, indem man die Art von Individualität zurükkweist,  die den Subjekten seit Jahrhunderten auferlegt wird –  sprich die Unterwerfung unter eine Moral, die nach der Logik  des Opfers oder des Verzichts funktioniert. (2) 

Doch noch einmal zurück: In den Neunziger Jahren war es im  Kunstbetrieb Westeuropas recht modisch gewesen zu sagen, die  kulturelle Welt sei eine politische. Gesagt wurde das ganz generell  und wohl auch vor dem Hintergrund der neuen sich  abzeichnenden politischen wie kulturellen Geographien nach  dem Zusammenbruch des sozialistischen Imperiums und vor  dem Wachwerden eines anderen Produktionsmodus am  Proszenium des aus Installation, Malerei und Objekt sowie  bestenfalls Videoinstallation bestehenden Genretheaters der  Kunst der achtziger Jahre – dem Wachwerden dessen, was später  Neue Medien hieß. Solche Gefügeverschiebungen, wie sie  sich damals abzeichneten und wie sie ja dann tatsächlich von  etwa 1987 an über die folgenden Jahre in den Kunstbetrieb eingeschrieben  wurden, werden im intellektuellen und im künstlerischen  Leben oft von Latenzen begleitet. Vor allem wenn sich  eine materielle Basis für den Diskurs von einer von der anderen  abgelöst sieht, beziehungsweise sich wie Ende der achtziger  Jahre in einer Krise befindet. Damals ereignete sich ein solcher  Sprung, der auf Latenzen fiel.    Noch ist diese Zeit nahe genug, um diesen Sprung und die  Latenzen in ihm nachzuzeichnen und auf die Differenz zwischen  einer kulturellen Produktion hinzuweisen, in der die  ProduzentInnen sich beobachten und auf ihre Standards und  Erfolgsbewertungen acht geben, zu jener, die sich auf die der  Publika, also auf etwas schon immer anderswo Interpretiertes  und Repräsentiertes berufen muss. 

Auch wenn es von heute aus so scheinen mag, als gäbe es keine  therapeutische Möglichkeit mehr, die Verdrängungsgeschichten  der frühen Neunziger aufzuarbeiten, kann man auf einige  Motive, die in dieser Verdrängungsarbeit am Werk waren, hinweisen.  Zum Beispiel auf die Bruchstelle zwischen: auf der  einen Seite der Kultur als der Auseinandersetzung mit der  Kontrolle über die Machtapparate des kulturellen Feldes, und  auf der anderen Seite der distinkten Zahl jener Strategien und  Artefakte einer wesentlich als neu verstandenen Kunst, die von  jenen produziert und praktiziert wurde, die um andere  Netzwerke kämpften, Netzwerke, welche ihre eigenen Techniken  und Tropen, Formen und Argumente hatten. 

Einer der Hauptwidersprüche der ersten Hälfte der Neunziger  Jahre war: Der Konflikt zwischen dem Anspruch auf Kritik und  dem Bewusstsein der spezialisierten Aufgabe und Rolle der einzelnen  KünstlerInnen innerhalb des Gefüges des Betriebes, das  die Kritik adressierte, war in Bezug auf den Status von  AutorInnenschaft und Autonomie nicht ausreichend reflektiert.  Wenn viele im Kunstbetrieb heute – und eben ganz anders als  Anfang der Neunziger Jahre – solche Schwierigkeiten damit  haben, sich Kategorien wie institutionelle Bedeutung und politische  Interpretation als die Schlüsselprobleme kultureller  Analyse vorzustellen, und die Kategorie Kultur vor allem wieder  vor dem Hintergrund ökonomischer Prozesse gelesen wird,  hängt das nicht nur damit zusammen, dass es gerade die Ökonomie  ist, die meist fähig ist, ihre Fiktionen als solche zu erkennen,  sondern eben auch damit. Es liegt eine gewisse historische  Ironie in der gegenwärtigen Hofierung der Zentralität von Ökonomie und Zirkulation für die Analyse von Kultur. Wenn eine  Position die intellektuelle Welt dominiert, ist das meist keine  Zeit der Kreativität, sondern eine der Stagnation, die Zeit einer  Orthodoxie, welche nur mehr selten kreativ ist. Das scheint mir  jetzt gerade der Fall zu sein. 

Militärische Planungsstäbe werden oft beschuldigt, mit ihren  aktuellen Strategien einen Krieg zu spät dran zu sein, die neue  Zeit und ihre Möglichkeiten nicht zu sehen. Es ist lange her, seit  Intellektuelle und KünstlerInnen an der Spitze der Ereignisse  standen. Gerade das nur wird Intellektuellen aber heute von  jenen Kadern, die sich an die Spitze der Wendebewegung  gestellt haben, von den ManagerInnen des Eventbetriebs und  den Oberflächensüchtigen der Mediokratien und deren  Reflektoren in den politischen Konzeptabteilungen vielfach  vorgeworfen: zu spät dran zu sein, eine Auseinandersetzung  verpasst zu haben. Das Problem dabei ist nicht allein die exekutive  Macht des neuen Kunstbetriebes gegenüber seinen alten  PartizipantInnen, die die Diskussionen bestimmt und verzerrt,  sie ist nicht abstrakt etwas "Falsches", sondern es ist die  Normalisierung und "Legalisierung" bestimmter Strategien des  Diskurses und der Repräsentation selbst, die seit den Neunziger  Jahren stattgefunden hat und die derzeit in verschärfter Weise in  einer neuen Form ihre Artikulationsgefechte austrägt. 

Der Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse gestaltet  sich aber gerade für nonkonforme Intellektuelle – als die sich  die AutorInnen dieses Buches wohl großteils ansehen – widersprüchlich.  Zunächst arbeiten und produzieren sie, oder sagen  wir, wir, unter Bedingungen, die typisch für den flexiblen  Kapitalismus sind. Unabhängig von den jeweiligen Tätigkeiten  versuchen wir ein effizientes Risikomanagement zu praktizieren:  Wir qualifizieren uns permanent weiter, sind mobil, wechseln  häufig die Tätigkeiten und kombinieren unterschiedliche  Arbeitsfelder. Diese Strategien bringen eine Reihe von  Konsequenzen mit sich: Erstens verstärkte Selbstkontrolle der  Arbeit, d.h. zunehmende Eigenverantwortung auch bei formal  fremdbestimmten Strukturen; zweitens erweiterte Selbst-Ökonomisierung,  d.h. strategische Vermarktung des eigenen Humanvermögens,  drittens Selbst-Rationalisierung und Verbetrieblichung  der Lebensführung, die Arbeit und Freizeit  kaum noch unterscheidbar macht. Kurz – wir bilden das ideale  Stammpersonal für die "New Economy". Postfordistische  Werte wie Produktivität oder Flexibilität – von uns analytisch  immer wieder als disziplinierende Normen des Systems verdammt  – sind uns selbst zur zweiten Natur geworden. Ja, wir  stellen in gewisser Weise die Avantgarde für dieses Regime dar,  für das wir beständig neue Schneisen schlagen. Das Produktivitäts-  Paradigma strukturiert im hohen Maße die sozialen  Positionen innerhalb der "Szene" und in der sublimen  Instrumentalisierung anderer Individuen für eigene Kalküle  können wir wahre MeisterInnen sein. 

Nonkonformistische Werte wie Autonomie und Selbstverwirklichung  scheinen sich im flexiblen Kapitalismus zu einer  stimulierenden Essenz gemausert zu haben. Ist nicht gerade der  sich selbst verwirklichende Einzelne ein besonders gut funktionierender  Untertan? 

Die einstmals gegen die fordistische Verdinglichung mobilisierten  Eigenschaften wie Gefühle, Erfahrungen und Kreativität  haben sich zu wichtigen Rohstoffen einer "affektiven Ökonomie  " transformiert. Offensichtlich fungiert heute Nonkonformität  als stimulierende Produktivkraft oder ist zu einem  Gegenstand der Konsumtion und Distinktion verkommen. Ein  Verdacht drängt sich auf: Sind wir nicht eher ein Teil des  Problems und nicht – wie gedacht – ein Teil der Lösung? (2) 

Dabei ist uns klar: Geld ist kaum zu machen, wenn es einem  autonom und selbstbestimmt um die Produktion von differenziertem  Inhalt geht. Die Differenziertheit am Leben erhalten  für den Markt allenfalls jene die Latenzen überdauert habenden  Institutionen (meist auch solche, die in ähnliche Regimen der  Selbstausbeutung eingebettet sind, oder aber solche, die, wie  Festivals von der Kurzfristigkeit der Beschäftigung von Stäben  in einer Mangelinfrastruktur leben). Diese Kunstvereine und  Kulturinitiativen, Projektgalerien und Labors, Vereine, Offices  und kleinen Shops, denen es nicht um den Profit, sondern um  die Produktion und ihre Inhalte geht, aber auch die größeren, in  denen eine Direktion oder Projektleitung den Anforderungen  reiner Zweckorientiertheit folgt, das heißt der Erwirtschaftung  symbolischer oder realer ökonomischer Rentabilität, geraten  allerdings nun selbst immer mehr in eine doppelte Deckung  gegenüber ihren beiden AuftraggeberInnen: Der aggressiv nach  der Erreichung von ökonomischen Unternehmenszielen fragenden  Förderhand und der ebenso aggressiv nach Unabhängigkeit  von jener verlangenden Publika und ProduzentInnen des kritischen  Feldes. Kontinuierliche Arbeit an einer thematischen  Linie ist kaum mehr möglich, die Mittelbeschaffung auf den  staatlichen, gemeinnützigen und privaten Sponsoringmärkten,  die für die Mischfinanzierung selbst der kleinsten Budgets  nötig erscheint, zwingt die meisten von ihnen in eine Ökonomie  des Projektes. Und sie drohen zwischen den Fronten aufgerieben  zu werden. 

Das ist aber nur eines der Dilemmata, die sich aus dieser  Situation für die kleinen und mittleren Institutionen des  Kulturbetriebes ergibt. Ihre Situation doppelt komplex und die  Beharrlichkeit vieler double binds dieser Mischmodelle erweist  sich durchaus konstitutiv für ihre Arbeitsmodelle. Dazu kommt  auch die Stellvertreterfunktion, aus der Teile ihres Profiles legitimiert  werden müssen: Einerseits dienen sie dem Markt und  seinen Karrieren natürlich auch als Zwischenlager, als  Trainingsplätze und als Reservoir, andererseits sind sie in ihrem  Selbstbild gerade als ArbeiterInnen gegen die nivellierende  Kraft des Marktes tätig und werden oft von dessen rückblickendem  Hohngelächter wegen ihrer vertanen Karriereoptionen  bestraft. 

Von Seiten der nonkonformen Intellektuellen und anderer kritischer  Gruppen wird den Handelnden in diesem Feld gegenüber  der Vorwurf geäußert, dass in vielen seiner Projekte über  Bildung und Emanzipation, aber nicht die interne Ökonomie  geredet werde, obwohl ja gerade diese nicht nur implizit auch  das Framing dieser Projekte bestimme. Dabei bleibt meist die  Antwort, vielfach aber sogar die Frage offen, was denn ein  "Gegenprojekt" zum Kunstbetrieb sei, und wo die Grenze zu  jenen Institutionen bestehe, die seinen Bodensatz und daher  einen zentralen Bestandteil von ihm bildeten. Doch gerade das  ist ja ihr eigentliches Selbstverständnis. Sie sind im Sinne von  Foucault ein Macht-Wissen-Dispositiv, wo es immer wieder  auch zu bestimmten Ausschlüssen kommt, das Sagbare und das  Nichtsagbare, das "Wahre" und "Nicht-Wahre" immer wieder  verhandelt wird. 

Hinter der Kritik steht natürlich auch die Frage nach der  Autonomie der Kunst. Aber im Zeitalter der Eventgesellschaft  und der "Ökonomie der Aufmerksamkeit" gerät jedes kulturelle  Ereignis in den Sog konsumistischen Ansprüche und  Projektionen. Die Kultur ist sowohl für die Politik, für die  Wirtschaft, aber auch für die Mehrheit der "Zivilgesellschaft"  zu einem entscheidenden Faktor der Selbstdarstellung und der  Identitätsbildung geworden. Wer davon abstrahieren oder absehen  will, argumentiert letztlich naiv. Auch in dieser Hinsicht  bewegt sich die Institution auf dem Feld von Herrschaft, Macht  und Ökonomie. Es gelten die üblichen Regeln, also Fragen des  Budgets, des Standorts, des Prestiges und des Images. Wobei  man noch anmerken muss, dass das Finanzvolumen selbst großer  Kulturbetriebe meist nicht viel mehr als dem entspricht,  was alleine die Errichtung des Sperrzauns für einen G 8- Gipfel  kostet. Also verdammt wenig. 

Und das ist auch der Punkt, der die Ökonomie des Projektes für  die kleine und mittlere Institution so schwierig macht: Nahezu  jeder Leiter, jede Leiterin, jede Gruppe an der Spitze eines nicht  genügend mit finanziellen Mitteln ausgestatteten Kulturbetriebes,  beziehungsweise eines, dem es einfach aufgrund der  Programmpolitik, die sich der reinen Wirtschaftlichkeitserwägung  entzieht, nicht gelingt, sich ökonomisch stark gegen-    über beiden Parteien zu platzieren, steht in einem Dilemma, wo  es um die eigene Rolle geht. Er steht an einer Schnittstelle zwischen  einer "herrschenden" und "beherrschten" Position. Es  wird ihm ein bestimmtes Finanzvolumen politisch zugestanden  oder von SponsorInnen und FörderInnen genehmigt. Selten reichen  die Mittel, also kann er das Projekt nur unter schwierigen  Bedingungen durchführen: Daher verfährt er so, wie man es  von einem Geschäftsführer (und auch einer Gruppe, einem  Kollektiv geht es dabei nicht anders) einer solchen Einrichtung  erwartet: er spart, wo er kann. Mit allen Konsequenzen der  Projektökonomie mit Freelancertum und andere Formen der  Prekarität, die im Kulturbereich die Regel geworden sind, nicht  zuletzt wegen der restriktiven Sparpolitik der öffentlichen  Hand. 

Natürlich ist das stillschweigende Agreement, das zwischen  kritischen Gruppen und Szenen und den institutionellen  Gefügen des Kunst-, des Kulturbetriebes, an die sie andocken  (beziehungsweise andocken wollen oder andocken können –  viele sind für derlei kommunikative Manöver ohnehin in einem  anderen Orbit und kommen entweder nicht in Frage oder haben  keine Luken), das der gegenseitigen Instrumentalisierung. Das  symbolische Kapital der mittleren Institution oder die selbstausbeuterische  Gastfreundschaft oder die Projektgenealogie  und damit Credibility der kleinen sind dabei Werte, die gegeneinander  getauscht werden. Und natürlich ist die Voraussetzung  für die Instrumentalisierungen, dass sich die kritischen  Gruppen auf so etwas einlassen. Wobei die paradoxe Situation  bemerkbar wird, dass es für mächtigere Institutionen oft leichter  ist, kritisches Potential zu binden. Im Windschatten der  Institution lässt sich gut mitsegeln. Die Frage des Gebens und  Nehmens gilt dort für beide Seiten. Aber selbstverständlich  gibt es ein Machtgefälle zwischen den Institutionen und den  einzelnen Agierenden, wie er zum Beispiel im Musikbetrieb  vor ein paar Jahren noch zwischen Indies und Major-Label existiert  hatte.  Damit sind wir wieder bei dem Punkt der Institutionenkritik  und damit mitten in den frühen Neunziger Jahren gelandet. Es  herrscht da eine gewisse Schizophrenie: Man möchte gleichzeitig  dabei und dagegen sein. Wieder sind beide Seiten in einem  Dilemma: Kooperiert man mit den Großen, kann einem das den  beim eigenen Bezugsfeld den Vorwurf des Opportunismus  beziehungsweise des Sich-Vereinnahmen-Lassens eintragen.  Ein Vorwurf, der paradoxerweise den großen und offenen  Institutionen als genau ins Gegenteil gewendeter ebenfalls  gemacht wird: Kooperieren diese nicht, oder machen keine  Kooperationsangebote, sehen sie sich mit dem Vorwurf der  Ausgrenzung des Peripheren konfrontiert. Kooperieren sie mit  Kleinen-Peripheren, heißt es nahezu automatisch und nicht  unberechtigt, sie saugten das Innovative für das Zentrum auf  und ab. Insofern gibt es eigentlich kein Entkommen, es sei  denn, man stelle sich gänzlich außerhalb der Ökonomie dieses  Betriebes. (3) 

Das leitet auch über zur Frage der Repräsentation. Auch hier  gilt, dass jede Institution immer mit der Problematik der  Repräsentation konfrontiert wird. Insofern kann es nur um  Annäherungswerte gehen, um eine Sichtbarmachung des  Bemühens. Auf dem Weg dahin hat gerade in den letzten  Dekaden, die man gerne die postfordistischen nennt, eine ungeheure  Professionalisierung der einzelnen Gefüge stattgefunden  und die einzelnen Milieus (4) haben sich immer weiter ausdifferenziert  und ihre eigenen substanziellen Wahrheiten generiert.  Allerdings ist diese Professionalisierung selbst (man denke hier  zum Beispiel an die diskursiven Milieus dessen, was man den  politischen Kunstbetrieb nennt; oder, um ein anders Beispiel zu  bemühen, die politischen Medienkunstszenen), von der Logik  der Projektarbeit so weit getrieben worden, dass es oft keine  Möglichkeiten gibt, über die eigentlichen Ziele und Intentionen  der Kritik nachzudenken, sondern diese in den Notwendigkeiten  und der Mangelökonomie des Projekts selbst aufgesogen  werden. Der kritische Betrieb muss eben weiter funktionieren  und die Positionen, die in ihm offen stehen, sind beschränkt.  Genau hier treffen sich dann die Lebenswelten zwischen dem  autonomen und dem institutionalisierten Projekt. 

Diese Kunst des Durchlavierens hat ja Paolo Virno (5) unlängst  als "Opportunismus" bezeichnet, ohne dies allerdings mit einer  moralischen Wertung gleichzusetzen. Opportunistisch sei  jemand, der einer Vielzahl von ständig sich verändernden  Möglichkeiten gegenüberstehe und auf den größten Teil dieser  Möglichkeiten vorbereitet sei, sodass er die nächste sich bietende  Gelegenheit rasch ergreifen könne. Gleichzeitig vollzieht  sich die Tätigkeit des Selbständigen im Kulturbetrieb in einem  dichten Netz von hierarchischen Beziehungen, es bestehen persönliche  Abhängigkeiten zu den AuftraggeberInnen oder  KundInnen. Insofern nimmt die "Autonome Arbeit" immer  auch "Züge der Servilität" an. Dies gilt für (fast) alle  Beteiligten auf dem Feld der Kunst. 

Mit diesen strukturellen Zwängen, welche die Ökonomie des  Projektes durchziehen, müssen wir wohl offensiv umgehen,  gerade in einer Zeit, in der die Ordnungsregeln des Ökonomischen  alle Lebensbereiche zutiefst durchdrungen zu haben  scheinen und keine Politik mehrheitsfähig zu sein glaubt, die  ihre kulturpolitischen Entscheidungen anderen Perspektiven  unterstellt. Trotz aller "virtuosen Servilität", die FreelancerInnen  und KünstlerInnen aufbringen müssen, existiert ein  Überschuss, ein geistiger Mehrwert, dem man der Tätigkeit  abtrotzen kann. Es geht also um die Haltung zu den herrschenden  Verhältnissen: Entweder reine, gegebenenfalls zynische,  "Realpolitik" oder Zulassung eines kritischen Moments. Diese  Wahl hat man allemal.  

No query in this session yet. Please use the tag map to the left to get a listing of related items.