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Kriegsberichterstattung

Alles das kann jederzeit mit Geld aufgekauft oder mit Verzweiflung abgegolten werden. In diesem Zerstörungswerk beschreibt sich ein Krieg der Kulturen. Dieser Kulturkrieg findet nicht außerhalb irgendwo statt. Dieser Krieg wird mitten durch uns selber hindurch mit unserer Hilfe geführt. Die Errungenschaft der sich selbst bestimmenden Person selbst wird gegen uns selbst benutzt.

Vor ein paar Jahren sagte ein damals erfolgreicher Manager zu mir, ich solle mich doch nicht gegen die Zeit stellen. Er sagte mir allen Ernstes, "Go with the flow, don't fight the storm." 

Das war, als gerade die ersten Anzeichen der Veränderungen bemerkbar wurden. Es wurde gespart und mit dem Sparargument umstrukturiert. Es gab plötzlich keine Textaufträge mehr. Das könnte man selber machen, hieß es von den bisherigen Auftraggebern und bürdete die Arbeit jemandem im Betrieb auf. Das war, als die ersten Absolventen der Kulturmanagementkurse begannen, den Ablauf von Projekten zu bestimmen und das meiste Geld in die Vermittlung umzulenken. Das war, als die Computerprogramme die Arbeit der Grafiker und Grafikerinnen zu ersetzen begannen und die wiederum dann die ersten waren, die Umschulungen machen mußten. Das war, als die Redakteure zu Zeitungsmachern werden mußten und sich nicht mehr auf das Redakteursein konzentrieren konnten. Die einen mußten sehr viel mehr arbeiten. Die anderen verloren die Rahmenbedingungen, ein Leben außerhalb fixierter Arbeitsbedingungen zu gestalten. Was der Computer den einen an Mehrarbeit brachte, wurde für die anderen zur alles betreffenden Einschränkung. Kontrolle bedeuteten diese Arbeitsbedingungen für alle. Trotzdem gelang es einer neoliberalen Etikettenerstellung, die neuen Selbstständigen als Kategorie zu definieren, deren indirekter Sklavenstatus nicht darstellbar ist.

Vor einigen Tagen hat sich eine junge Frau im vierten Stock auf das Fensterbrett gestellt und ist dann auf die Straße gesprungen. In ihrem Abschiedsbrief macht sie die Verhältnisse für ihren Tod verantwortlich. Die Aussichtslosigkeit ein sinnvolles Leben führen zu können war unter den Umständen der Prekarisierung zu überwältigend.

Und ja. Natürlich. Es wird auch andere Probleme gegeben haben. Aber. Der Manager, der mir damals den Rat gab, mich doch bitte anzupassen. Dieser Mann steht heute vor Gericht. Es geht um den Verbleib von 300 Millionen Euro. Dieser Mann macht das System für den Verlust dieses Gelds verantwortlich. Dieser Mann sagt, daß es die Verhältnisse gewesen wären, die ihm derartige Spekulationen geradezu abverlangt hätten. Und. Wie es in der Natur von Spekulation nun einmal läge, könnte man eben auch verlieren.

Die junge Frau, die aus dem vierten Stockwerk sprang. Sie hatte eine Architekturausbildung an einer Kunsthochschule. Die Hilfsjobs immer ohne Anstellung ermöglichten gerade das Überleben. Der Dreißigjährigen kamen bei den Kleinprojekten im Kulturbereich die Jüngeren zuvor, die noch weniger Geld für ihre Leistungen erwarteten. Die Umschulung zur Physiotherapeutin stellte sich als nicht finanzierbar heraus. Und ja. In einer verzweifelten Situation entsteht Verzweiflung. Diese erfolglosen jüngeren Personen sind mit ihrer Erfolglosigkeit gezeichnet. Die Lücken im Lebenslauf sind allen sichtbar. Das was einmal der körperliche Hunger erledigte. Das Sichtbarmachen der Verelendung. Das wird heute am Selbst der Personen durchgeführt. So wie der Hunger die Auszehrung, muß diese hoffnungslose Erfolglosigkeit sich an der Persönlichkeit auswirken. Und. Die Personen müssen das auch noch an sich selber vollziehen. Und wie die Auszehrung jede Person anders packt, bringt sich dieses nie in die Gesellschaft hineinfinden können je bestimmt zur Erscheinung. Bei einigen wird das die Depression verstärken. Und ja. Ein Selbstmord hat immer viele Gründe. Nur. So wie bei der Spekulation. Die Verhältnisse eröffnen die Möglichkeiten.

Es sagt alles über die Verhältnisse unserer Zeit, daß der Spekulant mit seiner Strategie der Schuldabwehrung vor Gericht ziemlich sicher durchkommen wird. Er wird ziemlich sicher nicht für die Folgen seiner Spekulationen zur Rechenschaft gezogen werden. Die junge Frau, die durch die Verhältnisse gar nicht die Möglichkeit bekam, sich zu entscheiden. Diese junge Frau kam nie so weit, daß sie sagen hätte können, sie wolle sich anpassen oder sich gegen den Sturm stellen. Sie war in die Verhältnissen ihrer Generation gefangen, die sehr viel mit den Verhältnissen des Spekulanten zu tun haben. Diese junge Frau ist über den share holder value jener Welt beraubt worden, in der sich ein Leben gestalten ließ, ohne gleich alle Managementregeln zu verinnerlichen und als Kleinmotor der Globalisierung zu funktionieren. Diese Möglichkeiten sind von den Generationen vor ihr verspekuliert worden. Und wissentlich so. Aber. Der Spekulant hatte das Geld als Medium des Versagens. Der jungen Frau war nur ihr Leben geblieben. Und. Dieser Zustand der Verhältnisse läßt sich dann auch nicht wegpsychologisieren, wie das jeder und jede in der allgemeinen Gültigkeit der Managementpsychologieratgeber als erste Reaktion der Abwehr von Leid tun möchte.

Empfindlich sein. Sich etwas überlegen wollen. Zeit haben wollen. Nicht gewinnen müssen. Etwas Eigenes denken.  Etwas Besonderes. Schaffen. Ganz einfach ein kluges und gerechtes Leben leben wollen. Kunst machen. Literatur schreiben. Musik. Und dann auch etwas wissen darüber.

Als ich zu schreiben begann, galt die Abmachung, daß ich nie viel Geld verdienen werde können. Daß aber das, was ich unter den selbstgewählten Umständen eines literarischen Schaffens herstellen werde. Daß das dafür geschätzt werden wird und daß ich mir darin einen sicheren Stand erwerben kann. Daß mir Achtung zusteht. Diese Abmachung ist aufgesagt. Alles, was seit dem 17. Jahrhundert aufgewandt wurde, unsere Vorstellung von Persönlichkeit und ihrer Freiheit zu formen. Alles das kann jederzeit mit Geld aufgekauft oder mit Verzweiflung abgegolten werden. In diesem Zerstörungswerk beschreibt sich ein Krieg der Kulturen. Dieser Kulturkrieg findet nicht außerhalb irgendwo statt. Dieser Krieg wird mitten durch uns selber hindurch mit unserer Hilfe geführt. Die Errungenschaft der sich selbst bestimmenden Person selbst wird gegen uns selbst benutzt. Darin sehe ich auch die entsetzliche Tragödie der jungen Frau, die in diesem Krieg sich selbst das Opfer werden mußte. Und weil wir alle in diesen Krieg hineingezogen sind, kann ein Frieden nur wiederum mit allen gemeinsam geschlossen werden. Und das wiederum bedeutet, daß alle Leben in Kunstwerke verwandelt werden müssen, um eben die Autonomie zu gewinnen, die erst einmal den Friedensschluß mit sich selbst ermöglicht und dann in andere und hoffentlich neue gesellschaftliche Zusammenschlüsse führen wird. Und. Auszugehen ist vom Bild des Managers vor Gericht und von dem toten Körper der jungen Frau auf der Straße.

Zuerst erschienen in: du. 27. september 2007

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