Mehr Rechte gegen die Kunst?
Dieser Tage macht die Kulturindustrie wieder Stimmung, um ihre überholten Geschäftsmodelle noch
ein paar Jahre absichern zu können. Dazu schickt sie verunsicherte Kulturschaffende vor, deren
wirtschaftliche Lage tatsächlich meist sehr prekär ist. Unter dem Titel "Kunst hat Recht" liest man
etwa: "Die Lebensgrundlage der Kunstschaffenden ist bedroht!". Das stimmt, allerdings ist die
geforderte Verschärfung der Urheberrechte das gänzlich falsche Mittel, dieser Bedrohung zu begegnen.
Das haben die letzten zwei Jahrzehnte deutlich gezeigt. Global wie national wurden die Urheberrechte
massiv ausgebaut, dennoch wurden die Arbeitsbedingungen und Lebensgrundlagen für freie
Kulturschaffende immer schlechter. Wie kann das sein?
Der Ausbau der Urheberrechte schafft neue Einkommensquellen, vor allem aber neue Kosten. Leider
sind diese nicht gleichmässig verteilt. Die zunehmend verschärfte und unübersichtliche Rechtslage
nützt vor allem Grosskonzernen mit einer Armada Verwaltungs- und juristischen Personals. Kleine und
unabhängige Produzenten hingegen sind in mehrfacher Weise benachteiligt. Für nicht industriell auf
den Massenmarkt orientierte Produkte werden finanzielle und administrative Barrieren errichtet die
neue und experimentelle kulturelle Praxen schon im Keim ersticken. "Das ist nur mit gesetzlichen
Regelungen zu lösen!" Aber anstatt das Gesetz noch komplexer und wirklichkeitsferner zu machen
müsste es doch darum gehen, die Kunst aus der Umklammerung durch Rechtsanwälte aller Art zu
befreien. Die innovativsten Ausdrucksformen der Kultur der letzten Jahrzehnte, das Aufgreifen
kultureller Codes des Alltags sowie die Samplekunst in der elektronisch produzierten Musik werden
von der Verhinderungskultur der Copyrightkartelle in die Unsichtbarkeit getrieben. Keines der grossen
Hip-Hop Alben der 1980er Jahre könnte heute noch produziert werden - die Rechteverwaltung wäre
viel zu teuer. Kein Andy Warhol, besonders nicht zu Beginn seiner Karriere, könnte es sich heute noch
leisten, Pop Art zu machen.
Konzentration der Kulturindustrie
Digitale Medien und Netzwerke ermöglichen eigentlich eine neue Breite von Zugang zu Wissen,
Kultur und Bildung. Die Produktion von kulturellen Werken konnte immer weiter technisch vereinfacht
und dezentralisiert werde, aber die Kontrolle über diese Prozesse und Netzwerkvorgänge ist
zunehmend zentralisiert. Immer weniger globale Unternehmen dominieren den Markt und Zugang zu
Kultur, Marktkonzentration in diesem Bereich hat ein nie dagewesenes Ausmass erreicht. Eine direkte
Folge der Verschärfung der Urheberrechte.
Der Erfindungsreichtum dieser Oligopole beschränkt sich vor allem darauf, durch juristische oder
technische Hindernisse Mitbewerber aus dem Markt zu drängen und durch Mangelwirtschaft zu
profitieren. Die angemessene Verwendung von Zitaten, Fair Use, und andere wichtigen
demokratischen Schranken des Urheberrechts wurden in den letzten 15 Jahren zunehmend aufgeweicht
oder de facto aufgehoben. Konzerne sind an Profitmaximierung ihrer Finanziers interessiert.
Demokratiepolitischen Grundlagen kultureller Praxis und das Wohlergehen der Künstler sind ihnen
reichlich egal.
In der ökonomischen Logik des kognitiven Kapitalismus macht es Sinn, vermeintliche Superstars
aufzubauen. Den Bedarf dafür zu schaffen ist keine kulturelle Frage, sondern ein Geschäft. Diversität
und Wohlstand vieler Kulturschaffenden wird auf dem Altar dieser simplen Geschäftsstrategien
geopfert. Vermeintlich finanzieren diese Superstars die kommerziell weniger erfolgreichen
KünstlerInnen mit. Tatsächlich ist es wohl eher umgekehrt, ein Pyramidenspiel in dem der Beitrag der
Vielen das Casino der Industrie erst ermöglicht.
Ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Kunst
Die Interessen privater Lobbyisten und spekulativer Finanzinvestoren sind nicht die Interessen der
Kulturschaffenden oder der Öffentlichkeit. Deren Regelwerke machen die Situation für unabhängige
Künstler schwieriger, nicht besser. Die Verwertungsindustrie vertritt im besten Fall die Interessen der
kommerziellen Superstars, aber nicht die der unabhängigen oder gar innovativ arbeitenden Künstler.
Die Öffentlichkeit kann sie sich nur als Masse stummer, aber zahlender Konsumenten vorstellen. Der
notwendige neue Gesellschaftsvertrag, der lebendige Kultur ermöglicht und die KünstlerInnen
finanzieren kann, muss zwischen den Kulturschaffenden und ihrem Publikum, der Öffentlichkeit,
verhandelt werden und nicht mit Zwischenträgern, die sich zu Türwächtern aufgeschwungen haben.
Wir brauchen eine grundsätzliche Neuordnung der Praxis im Urheberrecht für das 21. Jahrhundert. Die
techno-kulturellen Umwälzung hin zu einer digital vernetzten Wissensgesellschaft rücken
Kulturschaffende und Publikum näher zusammen. Es gilt diesen Prozess durch neue
Rahmenbedingungen zu fördern, anstatt ihn durch Regelwerke, die beide Seiten möglichst voneinander
trennen, zu behindern. Ein Ausbau der Urheberrechte, wie ihn die Kampagne fordert, ist ein Schritt in
die falsche Richtung.
Konrad Becker (World-Information Institute)
Marina Grzinic, (Akademie der Bildenden Künste Wien)
Susanne Kirchmayr (Female:Pressure)
Monika Mokre (FOKUS, Forschungsgesellschaft kulturökonomische und kulturpolitische Studien)
Gerald Raunig (Europ. Inst. f. Progressive Kulturpolitiken)
Felix Stalder (World-Information Institute)
Content type | text
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Projects | World-Information Institute |
Date | 26.01.2012 |
Location | Wien |