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Für mehr bornierten Kultursozialismus! Vom Recht auf Stadt zum Recht auf Kunst

Seit 2009 hat sich in Hamburg eine breite Bewegung gebildet, die gegen die planungsautoritäre und profitorientierte Umwäl­zung von Stadtteilen mobil macht und das »Recht auf Stadt« fordert. AnwohnerInnen, KünstlerInnen und links-autonome Gruppen haben zu einer bemerkenswerten Allianz zusammenge­funden, die sich dagegen wehrt, dass im Rahmen des Planungs­konzepts der »Wachsenden Stadt« gewachsene Viertel platt gemacht und InvestorInnen zum Fraß vorgeworfen werden. Von der Roten Flora über das Gängeviertel, vom Schanzenviertel bis zu St. Pauli (gegen das geplante »Bernhard-Nocht-Quartier« alias BNQ) reichen die Aktivitäten gegen die »Gentrifizierung«, die »Verreichung« ehemals intakter, sozial gemischter Viertel.

Seit 2009 hat sich in Hamburg eine breite Bewegung gebildet, die gegen die planungsautoritäre und profitorientierte Umwäl­zung von Stadtteilen mobil macht und das »Recht auf Stadt« fordert. AnwohnerInnen, KünstlerInnen und links-autonome Gruppen haben zu einer bemerkenswerten Allianz zusammenge­funden, die sich dagegen wehrt, dass im Rahmen des Planungs­konzepts der »Wachsenden Stadt« gewachsene Viertel platt gemacht und InvestorInnen zum Fraß vorgeworfen werden. Von der Roten Flora über das Gängeviertel, vom Schanzenviertel bis zu St. Pauli (gegen das geplante »Bernhard-Nocht-Quartier« alias BNQ) reichen die Aktivitäten gegen die »Gentrifizierung«, die »Verreichung« ehemals intakter, sozial gemischter Viertel.  

Im Oktober 2009 formulierte eine Gruppe von KünstlerIn­nen – Rocko Schamoni, der Gründer des Golden Pudel Club in der Hafenstraße, Melissa Logan von den Chicks on Speed, der Schauspieler Peter Lohmeyer, Ted Gaier von den Goldenen Zitronen und andere – das Manifest »Not in Our Name, Marke Hamburg«, kurz auch NION genannt. »Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Le­ben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der ‚Wachsenden Stadt‘ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Be­wohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein.« Die Unterordnung von Kultur und städtischem Leben unter die Bedürfnisse des globalisierten Kapitals erfordere Widerstand – Widerstand gegen die teuren »Leuchttürme« wie die Elbphil­harmonie, Widerstand gegen »eine Stadtpolitik, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt«, Widerstand gegen öffentliche »Kreativagenturen«, die Kunst dann und nur dann fördern, wenn sie zum Leitbild der kulturell vorzeigbaren Boomtown passt.
 

Wie verteidigt man zeitgemäß,  dass Geld die Welt regieren soll?  

In der Reaktion auf die »Recht auf Stadt«-Bewegung und auf das NION-Manifest passierten zwei Dinge, die unglaublich ty­pisch sind für die aktuelle politische Gemengelage.
 Farid Müller, kulturpolitischer Sprecher der Grün-Alternativen Liste (GAL), wie die Grünen in Hamburg heißen, warf den Au­torInnen des Manifests »bornierten Kultursozialismus« vor. In einem Interview bei »Hamburg 1« sagte er: »Es schwingt in dem Papier die generelle Kritik mit, dass man mit Kreativität Geld verdienen könnte. Das grenzt schon an bornierten Kultur­sozialismus«. Man muss dazu wissen, dass die Grünen seit Mai 2008 in Hamburg zusammen mit der CDU regieren, die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene, und dass die Ham­burger GAL die erste grüne Landespartei war, die den Bezug auf Richard Floridas »TTT«-Modell (Talente, Technologie und Toleranz als Wirtschaftsfaktoren) in ihr Wahlprogramm schrieb.  Müller wurde von der eigenen Fraktion zurückgepfiffen, aber der »Kultursozialismus«-Vorwurf kommt nicht von ungefähr. Seitens der Musikindustrie und der FDP wird z.B. die Idee einer Kultur-Flatrate, d.h. einer generellen Nutzungsabgabe zugun­sten von KünstlerInnen anstelle der aktuellen Nutzungsverbote im Internet, mit genau diesem Begriff denunziert. »Das wäre der Einstieg in den Kultur-Sozialismus«, ließ sich Karl-Heinz Otto zitieren, Kulturpolitiker der FDP und derzeit Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Eine Gesellschaft, in der »geistige Eigentumsrechte« nichts mehr zählten, Kulturschaffende »enteignet« würden und eine un­durchschaubare »Mammutbürokratie« Geld verteile, werde »intellektuell und kulturell versiegen«, denn: »Mit sozialisti­schen Maßnahmen ist noch nirgendwo eine vielfältige, bunte, kritische und interessante Kulturlandschaft erhalten geblieben – geschweige denn entstanden«. Kultur braucht Freiheit = Kultur braucht Privateigentum = Kultur braucht Privatisierung, so die Logik dieses Arguments.  

Das zweite typische Ereignis war die »linksradikale« Kritik, mit der das Manifest aus der Feuilleton-Riege bedacht wurde. Den Vorreiter machte Maximilian Probst in der taz vom 29.10.2009. »Selbstreflexion« fehle den AutorInnen des Manifests und »die Reflexion auf eine radikale Alternative«. »Dabei wissen die Künstler, dass die Vereinnahmungslogik ihren Werken im Kapitalismus eingeschrieben ist – und verdrängen. Das klingt dann so: ‚Wir wollen zumindest die Illusion haben, autonom zu sein‘. Träumen wollen: Das ist die Utopie, die um ihre Ohn­macht weiß. Und sie irreparabel beschädigt.« Und dann kommt mit einem bombastischen Zitat die volle Breitseite: »‘Die Scho­nung, die man sich gewährt, gewährt man in Wahrheit den ge­sellschaftlichen Verhältnissen‘, schrieb Bernward Vesper Ende der 60er Jahre. Wenn sich die Kulturschaffenden des Manifests heute schonen, dann aus einem einfachen Grund: Sie haben mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zuletzt bombe gut leben können.«
 

Die Logik dieses Arguments ist perfider als die des »Kunst braucht Freiheit braucht Privatisierung«-Arguments. Der be­rechtigte Skeptizismus, der sich aus der Erfahrung vielfacher Niederlagen ebenso nährt wie aus der Erfahrung des neolibe­ralen Kapitalismus, der Forderungen, Interessen und Kritik im­mer wieder höchst flexibel aufgegriffen und in sein Programm integriert hat, wird hier zur Denunziation jedweder Art von For­derungen, Interessen und Kritik benutzt. Wer im Kapitalismus etwas fordert, der hat ihn noch nicht richtig begriffen, so das Argument. Und da jeder durch Leben und Überleben am Ka­pitalismus teilnimmt, hat auch jeder das Recht verwirkt, Kritik am Kapitalismus irgendwie mit den eigenen sozialen Interessen zu verbinden. Nur totale, total abstrakte und damit auch total folgenlose Kritik am Kapitalismus ist legitim. Wer konkrete Veränderungen anstrebt, die an den konkreten Wirkungen kapi­talistischer Logik ansetzen und sie praktisch zurückweisen, ist erstens doof und zweitens korrupt – so das Argument, das Probst hier aufmacht und das auch sonst derzeit häufig zu finden ist.
 

Der neue Antikommunismus, die letzte ideologische Bastion des Neoliberalismus
 

Gemeint sind damit nicht die InitiatorInnen des Manifests, auch wenn sie angesprochen werden. Gemeint sind alle, die zur abhängigen, weil nicht von Kapitalbesitz lebenden Klasse gehören. Hier wird mit antikapitalistischen Phrasen sozialer Anspruchsverzicht gepredigt, in einer sehr modischen Art und Weise. James Camerons cooler Großstadt-Pessimismus aus dem kaputten Seattle in »Dark Angel« – »Hope is for losers« – wird, zehn Jahre später, zu einem politischen Kampfprogramm umge­schmiedet, das jede Kritik, die praktische Folgen haben möchte – nämlich Widerstand – lächerlich machen will. Aus der berüch­tigten Haltung, mit der sich der Neoliberalismus auf seinem Hö­hepunkt über seine Opfer erhob: »Eure Armut kotzt uns an«, wird in der Phase des Niedergangs der neoliberalen Phase die Haltung: »Euer Widerstand ist nur peinlich.«
 

So funktioniert Antikommunismus in Zeiten der Krise der neo­liberalen Formation des Kapitalismus. Man versucht die Dinge nicht mehr schönzureden oder den systemischen Charakter der Missstände zu verschleiern. Ganz im Gegenteil. Man sagt: Der Kapitalismus ist so hässlich, so konsequent und vor allem so mächtig bis ins Detail, dass Unterwerfung ein Zeichen von Intelligenz und Widerstand vermutlich nur ein Versuch ist, auf Kosten anderer seine Schnitte zu machen. Weil aber eine Al­ternative total sein muss, nichts mit den heutigen Verhältnissen zu tun haben darf, kann man sich ziemlich sicher sein, dass sie nicht kommt, denn nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kauft niemand mehr, der bei Verstand ist, das große Unbekannte. Im zeitgemäßen Antikommunismus wirken die pseudo-linke Denunziation sozialen Widerstands und das altbackene Horror- Szenario des totalen Staates als vermeintlich einzige denkbare Alternative zum Kapitalismus zusammen. Es sind zwei Seiten einer Medaille, die rot-grüne und die schwarz-gelbe gewisser­maßen, oder auch zwei ideologische Player, die sich gegenseitig die Bälle zuschieben.
 

Seit ich diese beiden Interventionen gelesen habe – die von Fa­rid Müller und die von Maximilian Probst – bin ich überzeugt, dass wir genau das brauchen, was hier verfemt wird: Mehr bornierten Kultursozialismus. Borniert im Sinne von stur, un­modisch, anti-zeitgeistig an bestimmten Prinzipien festhaltend. Sozialistisch im alten Sinne, dass diejenigen, die nicht über Pri­vatbesitz an den großen Produktionsmitteln – Grund und Boden, Anlagen und Gebäuden, Investitionskapital – verfügen, sich or­ganisieren müssen, um gegenzuhalten. Weil sie damit im klassi­schen Sinne einerseits darum kämpfen, nicht unter die Räder zu kommen, und gleichzeitig die Bedingungen der gesellschaftli­chen Produktion und Reproduktion verteidigen, sowie den Kopf aufmachen für eine andere Möglichkeit der gesellschaftlichen Verwaltung. Eine, die diese Lern- und Aneignungsprozesse, die in sozialen Kämpfen ablaufen, aus einer Form des Widerstands und des Korrektivs in die Grundlage eines alternativen Gesell­schaftsmodells überführt. Bornierter Kultursozialismus ist das Programm für das Recht auf Stadt und für das Recht auf Kunst und Kultur. Er ist, genau im Sinne der klassischen Einheit von kollektiver Selbstverteidigung, Erzwingen von gesellschaft­licher Mindestrationalität und Eröffnen von Utopien, ein Pro­gramm des Fortschritts.


Vom röhrenden Hirsch zur Kulturhauptstadt-Bewerbung
 

Wie immer, wenn es ideologisch zur Sache geht, wird auch bei Probst und Müller ein durch Erfahrung gedeckter Allgemein­platz zur Ausgangsbasis genommen. Denn natürlich hat jede und jeder seine Erfahrungen damit, was es heißt, dass staatliche Bürokratie Kunst und Kultur regelt, oder dass sie überhaupt et­was regelt, was mit dem Leben zu tun hat. Meine persönliche Lieblingsgeschichte handelt von der Zeit, als Bremen am Wett­bewerbsverfahren für den Titel der europäischen »Kulturhaupt­stadt« teilnahm. Wie jede Bewerberstadt kam auch Bremen nicht umhin, ein bisschen Geld in die Bewerbung zu investieren, auch ein bisschen Geld in Kultur, und ein bisschen davon auch in Soziokultur und in die lokale Szene.
 

Wir versuchten damals auch etwas abzubekommen und schlu­gen das vor, was wir so machten: Einen unserer Crossover- Kongresse, bei denen wir Popkultur-Analyse und politische Utopiefragen durcheinander rührten und mit denen wir seit ein paar Jahren ganz erfolgreich operiert hatten. Wir mussten dann zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht ins Förderprogramm zur Kulturhauptstadt-Bewerbung passten, weil es sich bei dem, was wir machten, um ein originäres Format handelte, das in der Stadt entwickelt worden war. Das Programm – »Weltspiel« hieß es – unterstützte aber nur Projekte, wo etwas nachgemacht wurde, was woanders erfunden und praktiziert wurde. Weil wir unser Projekt nicht in Hamburg, Amsterdam oder einer anderen hippen Stadt abgekuckt hatten, passte es leider nicht in die Philosophie des Programms, das gewissermaßen versuchte, die chinesische Strategie des heimischen Nachbaus von amerikanischen Indu­strieprodukten auf den Kultursektor zu übertragen.
 

Bremen wurde dann auch nicht Kulturhauptstadt, was uns irgendwie plausibel erschien. Wir versuchten es dann später nochmal mit der lokalen Kulturbürokratie und unternahmen einen Anlauf, eine der architektonisch beeindruckenden In­vestitionsruinen, an denen Bremen einiges zu bieten hat, im Rahmen einer Zwischennutzung für eine größere Veranstal­tung zu kriegen. Geht nicht, hieß es wieder, weil: Der Klotz steht zwar leer und produziert nur Kosten, aber wenn doch morgen ein Investor kommen würde und es kaufen täte, dann kann es nicht für übermorgen einer kulturellen Zwischennut­zung zugesichert sein, das schreckt ja ab. Zwischennutzung gibt es nur dort, wo auch die ökonomische Hoffnung sich bis auf Weiteres verabschiedet hat.
 

Erfahrungen dieser Art gibt es zuhauf. Wenn man genauer hin­sieht, sieht man aber, dass hier die staatliche Bürokratie eben nicht im Sinne eines bornierten Kultursozialismus handelt, son­dern nach den Regeln einer spießigen Marktorientierung. Man will Kultur auf überregionalen Märkten einkaufen, um sich fitter zu machen für den kulturellen Wettbewerb; man will einkau­fen, was sich anderswo »bewährt« hat, um es preiswert vor Ort nachzubauen und damit irgendwie den eigenen Standort kultu­rell »aufzuwerten«; man will Kultur impfen mit einem Verflüch­tigungs-Gen, damit sie sofort Platz macht, wenn die Wesen der höheren Ordnung auftauchen sollten: InvestorInnen. Das ist der Grund, warum diese Art von »Kulturförderung« so spießig ist: Weil ihr eingeschrieben ist, dass die Kunst folgenlos sein muss, nicht gemein und nicht mit der lokalen Wirklichkeit verbunden, nur Dekoration und optische Aufwertung eines fundamental un­kulturellen Stadt- und Entwicklungsmodells. Genau so, wie man eben den röhrenden Hirsch ins bürgerliche Wohnzimmer hängt, ein Icon der selbstbewussten Natur, während man unbeirrt der Kultur des industriellen Kommandos den Weg bereitet.
 

Das Öffentliche ist heute auch deswegen so diskreditiert, weil es meist nur als Motor der Kommerzialisierung in Erscheinung tritt. Gegenüber vom Bremer Hauptbahnhof, wo es – an sich nicht gerade ein städtebauliches Highlight-Ensemble – aber immerhin eine Freifläche gibt, auf der seit einigen Jahren ein Skater-Platz entstanden ist. Was die SkaterInnen nicht wissen ist, dass die Stadt derzeit wieder mit Hochdruck versucht, ih­ren Platz zu verkaufen. Ein kompakter Hochhaus-Block soll dahin, wo heute geskatet wird. Fünf Millionen soll der Ver­kauf bringen, damit der Platz mit Beton zugeknallt und die Sichtachse dicht gemacht wird. Wäre Bremen nicht so klamm, würde vielleicht mit Staatsknete ein kultureller »Leuchtturm« auf den Platz gesetzt, aber das Ergebnis sähe nicht wesentlich anders aus: Was da ist, muss weg, und die da sind, werden nicht gefragt. Es geht um Verwertung, und das Leben muss weichen. Kunst, Kultur, städtischer Lebensraum werden als Ware gehandelt, nur der zeitliche Horizont des »Returns« und der Grad der Vermittlung (Cash auf die Hand oder Anlocken des globalen Kapitals durch kulturellen Protz) unterscheiden arme Städte und globale Metropolen voneinander. Beide For­men müssen durch eine Politik des bornierten Kultursozialis­mus in die Schranken gewiesen werden.
 

Lieber borniert und sozial als spießig und kommerziell
 

Als die Arbeiterbewegung anfing, den Preis der Arbeitskraft und die Bedingungen ihrer Reproduktion zu verteidigen und damit auch die Idee in die Welt setzte, dass die Arbeitskraft eines Ta­ges vielleicht gar keine Ware mehr sein sollte, forderte sie nicht die zentralistische staatliche Planwirtschaft, sondern Rechte und Regeln, die diese Rechte absichern sollten. In einer Zeit, wo die Produktion immer stärker zu einer gesellschaftlichen Produktion wird, die über die Fabrik hinauswächst und in der Arbeit und Leben, Produktion und Kultur, Kunst und soziale Innovation sich immer stärker verflechten, muss man es genauso machen. Es gilt, ein Recht auf Kunst und ein Recht auf Stadt zu definie­ren und dann Regeln durchzusetzen, die beide absichern. Daraus ergibt sich dann auch eine Idee davon, wie es aussehen könnte, wenn Kultur und städtischer Raum eines Tages vielleicht gar keine Ware mehr wären.
 

Was ist das Recht auf Kunst? Im Lichte der jüngeren urbanen Erfahrungen muss das Recht auf Kunst Folgendes beinhalten:

• das Recht, ungenutzte Räume künstlerisch anzueignen  
• das Recht, öffentlichen Raum künstlerisch anzueignen
• das Recht auf künstlerische Existenzsicherung  
• das Recht auf Autonomie und Innovation  

Bekanntlich ist keines dieser Rechte verwirklicht, aber alle vier stehen im Mittelpunkt dessen, was urbane Kunst sich heute zu nehmen versucht. Eine fortschrittliche Stadtpolitik, die sich ei­nem bornierten Kultursozialismus verpflichtet sieht, muss an­fangen, diese Rechte zuzusichern. Die Pseudo-Romantik der illegalen Aneignung und der prekären Existenz hilft hier nicht weiter, sondern ist eine reaktionäre Position, ganz im Sinne der Probstschen Denunziation: Ihr wollt nicht hungern? Ihr wollt nicht verurteilt werden? Was für bornierte KünstlerInnen seid ihr denn?
 

Ja genau, so borniert sind wir! Wir wollen, dass leer stehender urbaner Raum, egal wem er gehört, benutzt werden darf – nicht qua Erlaubnis und kulturwirtschaftlicher Kalkulation, sondern qua Recht. Wir wollen, dass öffentlicher urbaner Raum künstle­risch benutzt werden darf, zumindest temporär, einfach so, qua Recht. Wir wollen für diejenigen, die künstlerisch und kulturell tätig sind in der Stadt, eine Sicherung ihrer Lebensumstände – durch öffentlich finanzierte Jobs oder durch Auftragspools, durch eine städtische Abgabe, die umgelegt wird, wie auch immer. Flatrate gegen Flatrate: Die Stadt erhält künstlerische Aneignung und kulturelle Produktion, die unmittelbaren Pro­duzentInnen dessen erhalten Einkommen, aber beides ist nicht durch Markt und Berechnung verbunden, sondern durch kom­munizierende Rechte. Um das Recht auf Innovation zu wahren, muss die Verwaltung dieser Struktur in den Händen der unmit­telbaren künstlerischen ProduzentInnen selbst liegen: Die Auto­nomie der Struktur gewährleistet, dass weder die Vorgaben und die inhärente Spießigkeit staatlicher Kulturbewertung noch die Return-Erwartung des Marktes definieren, was geschieht.


Lieber borniert und demokratisch,
 als gesichtslos und austauschbar  

Das Recht auf Kunst kann nicht alleine stehen, es gehört zusam­men mit dem Recht auf Stadt, so wie beide in den jüngeren ur­banen Kämpfen gegen Gentrification und »McStadt« zusammen gedacht werden.  Was ist das Recht auf Stadt? Im Lichte der jüngeren urbanen Erfahrungen muss das Recht auf Stadt Folgendes beinhalten:  

• das Recht, die Entwicklung des eigenen Quartiers demokratisch zu bestimmen
 
• das Recht, über die Verwendung öffentlichen Raums demokratisch zu bestimmen
 
• das Recht, nicht aus dem Quartier vertrieben zu werden  
• das Recht auf Gleichheit und Nachhaltigkeit von Lebensbedingun­gen
 

Auch von diesen Rechten ist keines verwirklicht, aber alle vier stehen im Mittelpunkt dessen, was urbane Kämpfe sich heute zu nehmen versuchen. Auch hier muss eine fortschrittliche Stadtpolitik anfangen, sich borniert zu zeigen. Die Pseudo-Ro­mantik vom Angriff auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, der alle unmittelbaren Forderungen nach mehr Kontrolle über die eigenen Lebensumstände und die eigene urbane Umwelt gefäl­ligst zu überspringen hat, hilft hier nicht weiter, sondern ist eine reaktionäre Position: Ihr wollt nicht im Maul der Bestie leben, die mit euch macht, was sie will? Ihr wollt auf Versammlungen entscheiden, was mit eurem Viertel passiert? Was für bornierte StadtbewohnerInnen seid ihr denn?  

Ja genau, so borniert sind wir! Wir wollen, dass über Stadt­entwicklung im Stadtteil selbst entschieden wird, und zwar in Formen direkter Demokratie und öffentlicher Verhandlung, mit neuen Partizipationsformen, bis hin zu Zukunftswerkstätten und Ideenwettbewerben, über die die AnwohnerInnen entscheiden. Wir wollen Vetorechte gegen den Verkauf jeden öffentlichen Ei­gentums, gegen Großinvestitionen, wir wollen Vorkaufsrechte auf alle urbanen Flächen und stadtteilbezogene Stadtentwick­lungsetats, die ebenfalls durch eine Umlage auf alle Gewinne in der Stadt finanziert werden. Wir wollen das Verbot von Mie­terhöhungen für die derzeitigen BewohnerInnen und das Recht auf die zum Leben notwendige Infrastruktur. Wir wollen unter­schiedliche Viertel und Quartiere, aber kein Auseinanderfallen der Lebensbedingungen im Sinne einer räumlichen sozialen Spaltung. Deshalb muss es öffentliche Beschäftigungspro­gramme und öffentliche Programme zum sozial-ökologischen Umbau geben, die sich an die Viertel mit schlechten Standards und hoher Arbeitslosigkeit richten. Stadt findet nur statt, wenn in ihr auch gelebt wird, und zwar überall. Und dort, wo es gar keine AnwohnerInnen mehr gibt, die demokratisch entscheiden könn­ten, weil Innenstädte bereits entvölkert wurden, müssen Räume enteignet und zur Bewohnung überlassen werden – dann regelt sich auch das.  

Flash City  

All das schafft den urbanen Kapitalismus nicht ab, aber es macht ihn langsamer und verregelter. Damit macht es ihn mittelfri­stig übrigens sogar erfolgreicher, so wie es die Verlangsamung und Verregelung durch den Widerstand der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung, all der anderen sozialen Bewegungen auch getan hat. Es macht ihn allerdings auch verwundbar für die Dynamik, die soziale und öffentliche Logik, die in diesem Korrektursystem wächst, statt zum korrigierenden Beiwerk zur bestimmenden Hauptsache machen zu wollen. Die Abschaf­fung des Kapitalismus geschieht durch einen Paradigmenwech­sel sozialer Kämpfe, der ungefähr so funktioniert wie Ornette Colemans legendäre Begründung des Free Jazz: »Wir haben bisher immer nur Hintergrund gespielt, jetzt lasst uns endlich Musik machen.« Irgendwann wird es zur neuen Dynamik sozi­aler Kämpfe, dass sie nicht mehr nur Korrektur und Ergänzung spielen wollen, sondern das Soziale und das Öffentliche direkt spielen wollen.
 

Weil spontane und geplante Aneignung, künstlerische und de­mokratische Verfügung, in einem notwendigen Spannungsver­hältnis stehen, gehören beide als Ergänzung zusammen. Das Recht auf Kunst ohne das Recht auf Stadt wäre die Praxis von Snobs; das Recht auf Stadt ohne das Recht auf Kunst wäre kon­servativ und engstirnig. Deshalb ist es wichtig, dass beide in den derzeitigen Kämpfen um urbane Aneignung zusammen kom­men.
 

Die Art der gesellschaftlichen Veränderung bestimmt auch das Ergebnis. Was aus Lern- und Aneignungsprozessen von unten entsteht, ist keine staatliche Totalverwaltung von oben, sondern eine post-kapitalistische und post-staatliche Utopie. Es ist Flash City: die Stadt, die von ihren BewohnerInnen so angeeignet wird, wie sie es brauchen.
 Mirjam Wirz hat mit ihren Flash Bars die Praxis der sponta­nen Aneignung öffentlichen Raums durch die BewohnerInnen zu einer Kunstform entwickelt. Sie plant öffentliche Feten für ungewöhnliche städtische Locations, eine Verbindung von de­mokratischer Selbstbehauptung und urbaner Romantik – eine Verbindung des Rechts auf Kunst und des Rechts auf Stadt. Die Stadt ist da, sie kann genutzt werden: das ist die Utopie von Flash City.  

Vilnius hat in seinem Programm zur Kulturhauptstadt übrigens auch Mirjam Wirz Flash Bars und temporäre Zeitungen machen lassen, weswegen es auch irgendwie gerecht war, dass Vilnius europäische Kulturhauptstadt wurde und Bremen nicht. Der Gerechtigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass auch Bremen einige vernünftige Zwischennutzungen zustande gebracht hat, etwa den Güterbahnhof oder Sprout Bau in Tenever. Bremen verfolgt auch hier und da die richtige Idee für die zentralen Über­bleibsel bürgerlicher Stadtkultur, die Theater und die Orchester, nämlich ihre Öffnung für Projekte in den sozial schwierigeren Stadtteilen.
 

Die Ansätze sind überall da, in allen Städten – von der Street Art über die spontanen Skulpturen, von der Besetzung leer stehender Räume bis zur Integration soziokultureller Projekte in den öf­fentlichen Wohnungsbau, vom Widerstand gegen Gentrification bis zu Experimenten mit Zukunftswerkstätten für Anwohner zur Lösung von Stadtteilproblemen. Nur fristen alle diese Ansätze derzeit ein eher kümmerliches Leben als Zubrot, als Begleitmu­sik zum unbelehrbaren Umbau der Städte als Standorte für das globale Kapital. Aber deshalb sind sie nicht falsch, sie sind nur zu schwach, zu unverbunden, zu getrennt. Eine zukünftige Kul­turpolitik muss sie zusammenbringen, nicht nur untereinander, sondern auch als Verbindung vom Recht auf Kunst und Recht auf Stadt. Dann kann sie ein Teil werden einer urbanen Bewe­gung, die eine neue urbane Utopie sichtbar macht, von Städten, die keine Ware sind. Bornierter Kultursozialismus ist die rich­tige Orientierung dafür.


 

Content type
text
Projects Nach dem Ende der Politik
World-Information Institute
Date November 2011

Tags

Widerstand Neoliberalismus Kapitalismus Sandortfaktor Gentrifizierung Recht-auf-Stadt-Bewegung Arbeiterbewegung Flash-City Hamburg Rocko Schamoni Melissa Logan Peter Lohmeyer
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