Interview mit Rasa Smite
Rasa Smite ist eine Medienkünstlerin und Netzaktivistin aus Riga. Sie ist Mitbegründerin des Medienzentrums E-Lab (1996) und des Zentrums für Neue Medienkultur RIXC (2000) sowie Mitveranstalterin des jährlich in Riga stattfindenden Medienkultur-Festivals „Art+Communication“ (seit 1996). Ihre Arbeit beschäftigt sich unter anderem mit der experimentellen Aneignung „akustischer Räume“ und mit der historischen Erforschung von Netzkulturen.
Worin bestand für Dich die Motivation, Dich auf einer europäischen Ebene zu vernetzen? Und inwieweit spielte der Austausch zwischen Osten und Westen in den Netzkulturen der 1990er Jahre eine Rolle?
Rasa Smite: Die Motivation dafür, mich zu vernetzen, war in erster Linie eine persönliche: Ich hatte Anfang der 1990er Jahre gerade mein Studium an der lettischen Kunstakademie abgeschlossen. Das war eine sehr traditionelle Ausbildung, in der es vor allem um einen klassischen Zugang zu den bildenden Künsten ging. Aber alles, was wir über das 20. Jahrhundert wissen wollten, über Konzeptkunst, über Kulturtheorie bis hin zu zeitgenössischer Kunst, mussten wir uns selbst beibringen. 1995 organisierte dann Eric Kluitenberg gemeinsam mit dem E-Media Center die erste „Interstanding“- Konferenz in Tallinn, die zugleich auch die erste Konferenz zu Netzkulturen in den baltischen Staaten war. Es ging vor allem um Fragen der Interaktivität, und wir hörten dort zum ersten Mal, wie das Internet in einem Kunstkontext verwendet werden konnte. Und während dieser Konferenz hatte ich plötzlich die Idee, in Riga ein eigenes Zentrum für elektronische Kunst, das spätere E-Lab, zu gründen. Die Idee dabei war, nicht nur unsere eigenen Kunstprojekte zu realisieren, sondern auch eine neuartige Umgebung für die lokale Szene und die internationale Zusammenarbeit zu schaffen. Neben diesen künstlerischen Ambitionen ging es natürlich auch um die politischen und ökonomischen Umstände jener Zeit. Es war ja die Zeit kurz nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Das System funktionierte damals einfach nicht. Keines der Systeme funktionierte – weder das kulturelle noch das ökonomische noch das politische System. Man fühlte sich damals wie am Mond! Dann kam mit dem Internet die Möglichkeit, sich mit dem Rest der Welt zu vernetzen. Die Technologie machte es also möglich, dass wir uns mit dem Westen austauschen konnten, auch in einem politischen Sinn.
In welchem Wechselverhältnis stand der Wunsch nach einer globalen Vernetzung zur Anforderung einer lokalen Verankerung?
Rasa Smite: E-Lab ist noch ein Produkt der 1990er, also der damaligen Netzkulturen, und verfolgte vor allem den Traum, mit dem Rest der Welt vernetzt zu sein. Aber nach den sehr intensiven Zeiten der 1990er Jahre, in denen wir beinahe jeden Monat in einer anderen Stadt waren, um dort an einer Konferenz oder einem Festival teilzunehmen, haben wir festgestellt, dass wir eigentlich nur noch auf internationaler Ebene in Projekte involviert waren und uns im lokalen Kontext kaum jemand kannte. Zu diesem Zeitpunkt entstand in Riga eine sehr interessante Szene und Klubkultur mit DJs und VJs, aber auch mit poetry slams und anderen spannenden Dingen. Wir haben uns dann überlegt, wie wir einerseits lokal mehr Sichtbarkeit erhalten und andererseits all diese unterschiedlichen Gruppen zusammenbringen könnten. Also haben wir auf Grundlage der Ressourcen von E-Lab und in Zusammenarbeit mit den anderen Initiativen ein Zentrum für Neue Medienkulturen gegründet: RIXC beschäftigt sich nicht mehr alleine mit elektronischer Netzkunst und Fragen des Internet, sondern umfasst ein viel breiteres Feld an Medienkulturen, zu denen wir beispielsweise auch Film, Musik, Jugendkulturen und soziale Projekte zählen. Dabei eignen sich die neuen Netzwerktechnologien ganz hervorragend für politische Kampagnen und soziale Kämpfe, weil sie virtuelle und reale Events besser miteinander vernetzen können. Sie funktionieren gleichsam als Mediatoren zwischen dem Realen und dem Virtuellen.
Damit verbunden ist auch die Frage nach einer Überlagerung des real existierenden Raums mit digitalen Netzwerken. Wurde damit die Arbeit vor Ort wichtiger?
Rasa Smite: Ja, für uns war hier das Jahr 2000 eine Art symbolische Grenze: Damit war auch die erste Phase des Internet zu Ende. Denn in den späten 1990er Jahren setzte die große Kommerzialisierungswelle ein, die sogenannte Dotcom-Bewegung, die dann ja auch unsere ganzen Aktivitäten komplett überschattete und all das unsichtbar werden ließ, was wir die Jahre zuvor aufgebaut haben. Als wir 1998 mit Streaming Media experimentierten, war das noch absolute Avantgarde, aber schon 1999 hat Microsoft damit begonnen, die Technologie aufzukaufen. Somit wurde eine Technologie, die vorher frei zur Verfügung stand, Teil großer Unternehmen. Da spielten natürlich auch noch andere Dinge eine Rolle: Wir wollten herausfinden, wie man den virtuellen Raum stärker mit realen und lokalen Räumen verbinden könnte, und haben deswegen unsere Aufmerksamkeit auf den akustischen Raum verlagert. Wir wollten auch diese Technologien verwenden und nicht bloß Streaming Media, die zu dem Zeitpunkt eben mehr und mehr kommerzialisiert wurden. Und wir haben damit begonnen, internationale Events wie das „Art+Communication“-Festival in Riga selbst zu organisieren.
E-Lab war ja auch am Aufbau des European Cultural Backbone (ECB) beteiligt. Welche Ziele verfolgte diese Initiative? War es eine klassische Lobbygruppe oder vielmehr ein Zusammenschluss unabhängiger Medienzentren, um mehr Sichtbarkeit in Europa zu erreichen?
Rasa Smite: Ich denke, es war ein bisschen von beidem. Es war natürlich ein klassisches Lobbying, weil viele der beteiligten Leute noch aus den 1980er Jahren kamen und dies eine Möglichkeit war, um unsere Projekte gegenüber der offiziellen Politik sichtbarer zu machen. Es ging aber auch einfach darum, überhaupt erst einmal einen Kontext für die Arbeit mit neuen Medientechnologien herzustellen und dabei unsere Rolle in der europäischen Kulturlandschaft einzufordern. Unsere Aktivitäten waren ja alle sehr translokal angelegt und wir wollten herausfinden, wie wir auf europäischer Ebene besser zusammenarbeiten können. Wir konnten dabei viel von unseren Partner/innen lernen, was uns wiederum geholfen hat, ein unabhängiges Netzwerk zum Kulturaustausch in Nordosteuropa, das NICE-Netzwerk, aufzubauen.
Andreas Broeckmann meinte, dass Initiativen wie der ECB auch daran gescheitert sind, dass es davon einfach zu viele gab und die Beteiligten bald an ihre Grenzen gestoßen sind. Gab es in den 1990er Jahren ein Zuviel an Vernetzungsarbeit?
Rasa Smite: Persönlich glaube ich, dass der Fokus des ECB für die meisten Leute einfach nicht interessant genug war. Viele dieser frühen Netzwerke waren von einzelnen Personen abhängig, also entweder den Gründer/ innen, den Administrator/innen oder Moderator/innen. Das war weder gut noch schlecht, nur musste man sich bewusst sein, dass wenn eine dieser Personen ausfiel, es einfach nicht mehr weiterging. Also entweder wechselte man dann das Thema, oder man startete eben ein anderes Netzwerk. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist die, dass die Nachhaltigkeit solcher Netzwerke, sei dies nun eine Mailingliste oder eine Konferenzreihe, auch ganz stark von einem gemeinsamen Interesse abhängt. Syndicate zum Beispiel war lange Zeit ein sehr interessantes Projekt, welches dabei half, Initiativen aus dem osteuropäischen Raum untereinander, aber auch mit Westeuropa zu vernetzen. Und eine Liste wie nettime gibt es heute noch.
Worin besteht für Dich der Unterschied zwischen den Netzkulturen der 1990er Jahre und aktuellen Entwicklungen rund um Social Media? Siehst Du hierin eine Kontinuität oder eher einen Bruch zwischen Web 1.0 und Web 2.0?
Rasa Smite: Also natürlich sehe ich große Unterschiede! Zunächst einmal basiert das sogenannte Web 2.0 auf einer individuellen Selbstvermarktung, während es in den 1990er Jahren doch noch sehr stark um kollektive Ansätze ging. Das wäre der erste große Unterschied. Der zweite besteht darin, dass in den 1990er Jahren ganz bestimmte Gruppen von Leuten Zugang zum Internet wollten und sich dafür interessiert haben, also vor allem Programmierer/ innen und Hacker/innen, aber auch Künstler/innen und Theoretiker/ innen. Diese Netzwerkgemeinschaften unterschieden sich freilich in vielerlei Hinsicht von heutigen Web 2.0-Communitys, da sie vor allem kritisch, experimentell und kreativ mit den neuen Technologien umgingen. Und drittens sehe ich einen Unterschied in der technologischen Infrastruktur, die benutzt wurde bzw. heute benutzt wird: Damals wurden die elektronischen Umgebungen noch selbst aufgebaut, während sie heute weitgehend vorhanden sind. Die Menschen bewegen sich wie selbstverständlich innerhalb dieser neuen sozialen Netzwerke, ohne sich Gedanken über die technologischen Rahmenbedingungen zu machen.
Ist damit nicht auch eine reflexive Haltung im Umgang mit diesen neuen Netzwerktechnologien verloren gegangen?
Rasa Smite: Ja, das sehe ich auch so! Die Netzkulturen der 1990er Jahre waren mit Sicherheit viel aufmerksamer was aktuelle Medienentwicklungen betraf und konnten die Technologien, die sie für ihre Arbeit verwendeten, auch kritisch hinterfragen. Speziell mit dem Web 2.0 scheint diese reflexive Haltung verloren gegangen zu sein. Klar, es kann heute jede/r die neuen sozialen Medien nutzen, aber jede/r hat dasselbe Profil. Und was, wenn ich nicht mein ganzes Leben und Fotos meiner Katze auf diesen Netzwerken veröffentlichen und teilen will? Es gibt keinen spezifischen Fokus mehr, nicht zuletzt weil Netzkulturen heute Teil der Popkultur geworden sind. Damit sind sie aber auch leichter zugänglich geworden und nicht mehr etwas Marginales oder gar Elitistisches. Das macht es schwer, Aussagen über soziale Veränderungen innerhalb dieser vernetzten Umgebungen zu tätigen: Wenn jede/r das Internet benutzt, brauchen wir andere Kategorien, um diese neuen Netzwerke analysieren zu können.
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Projects | Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa World-Information Institute |
Date | 2012 |
Location | Vienna |