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Nachhaltige Netzwerke. Soziale Organisation im Fall früher Netzkulturen

Seit das Internet Mitte der 1990er Jahre für die Öffentlichkeit zugänglich wurde, hat es mehrere Entwicklungsphasen durchschritten, bevor es das populäre soziale Phänomen wurde, das es heute darstellt. Neuen soziotechnischen Formationen wie z. B. vernetzten Gemeinschafen mit ihren neuen sozialen Dynamiken und Organisationsformen fehlt es jedoch nach wie vor an „sozialer Sichtbarkeit“. Einer der Hauptgründe dafür ist die Komplexität der Beziehungen, die im Interaktionsprozess zwischen sozialem Handeln und Informationstechnologie entstanden sind.

Seit das Internet Mitte der 1990er Jahre für die Öffentlichkeit zugänglich wurde, hat es mehrere Entwicklungsphasen durchschritten, bevor es das populäre soziale Phänomen wurde, das es heute darstellt. Neuen soziotechnischen Formationen wie z. B. vernetzten Gemeinschafen mit ihren neuen sozialen Dynamiken und Organisationsformen fehlt es jedoch nach wie vor an „sozialer Sichtbarkeit“. Einer der Hauptgründe dafür ist die Komplexität der Beziehungen, die im Interaktionsprozess zwischen sozialem Handeln und Informationstechnologie entstanden sind. Andere Gründe sind in der „Virtualität“ der sozialen Beziehungen innerhalb solcher Netzwerke, in den zumeist nicht-institutionalisierten Kontexten und translokalen Qualitäten dieser Formationen zu suchen. Abgesehen von der Tatsache, dass manche der techno-utopischen Ideen der frühen Internetphase scheiterten, gab es auch viele wichtige Entwicklungen, die in der Netzwerkkultur der frühen 1990er ihre Wurzeln hatten (Medosch/ Smite 2010). Diese frühen vernetzten Gemeinschaften können gewissermaßen als die Vorläufer der heute so beliebten sozialen Netzwerke angesehen werden. Eine tiefere Analyse vieler Facetten dieser frühen Netzwerke könnte dabei helfen, eine gemeinsame Basis für eine soziale Untersuchung zu entwickeln und einen Schritt in Richtung einer nachhaltigen Netzwerkkultur zu machen.

BASISPRINZIPIEN VON NETZWERKEN UND KONTEXTINTERPRETATIONEN

Netzwerke als Form der sozialen Organisation haben in verschiedenen Formationen – egal wo und wann auf der Welt – immer schon existiert. Nicht zuletzt deshalb meint Bruno Latour: „The word ‚network‘ is so ambiguous that we should have abandoned it long ago“ (Latour 2005, 129); und trotzdem verwenden wir es, als ob es eine ganz bestimmte Bedeutung hätte, obwohl es heute zwei eigentlich separate Begriffe verkörpert – technische und soziale Netzwerke. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass historische Netzwerke im Informationszeitalter auf neue Resonanz stoßen. Manuel Castells zufolge konstituieren Netzwerke gar die neue Morphologie der Gesellschaft, und deren Logik verändere die Prozesse der Produktion, der Erfahrung, der Macht und der Kultur; in einem Wort, die ganze Gesellschaft (Castells 2000, 501).

Das Wesen jedes Netzwerks kann durch seine Hauptprinzipien ausgedrückt werden. Eines davon sind die komplexen internen Verbindungen zwischen Knoten. Das ist in der allgemeinen Definition eines Netzwerks als Set miteinander verbundener Knotenpunkte enthalten und kann als allgemeines Merkmal sowohl bei technischen, sozialen und hybriden Netzwerken, als auch bei jeder anderen vernetzten Form beobachtet werden. Die Vernetzung ist auch die Basis eines anderen zugrunde liegenden Netzwerkprinzips, das damit verwoben ist und darauf referenziert: die Offenheit. In der Praxis lassen sich in allen Netzwerken Elemente struktureller Offenheit feststellen, aber das Prinzip der Offenheit konnte sein Potenzial erst mit dem Internet voll ausschöpfen. Denn das Internet bietet dank seiner dezentralen technischen Struktur einen grenzenlosen und freien Zugang. Das dritte Prinzip jedoch ist spezifisch für digitale Netzwerke: Simultanität. Sie kann nur innerhalb vernetzter elektronischer Medienumgebungen realisiert werden. Dieses Prinzip erlaubt es uns, im Raum der elektronischen Onlinemedien präsent zu sein – hier zu sein und Events trotz geografischer Entfernung in Echtzeit zu erleben.

„Presence in the mediated environment of digital networks is probably one of the most complex phenomena of the new types of social interaction that have emerged in these environments“ (Kluitenberg 2000, 4). Diese verschiedenen Theorien schaffen es, soziale Beziehungen zu erklären und bestimmte Muster menschlichen Verhaltens zu beleuchten. Für Eric Kluitenberg ist damit jedoch ein Problem verbunden: „It does not tell us much of what makes presence in the networks specific. […] The effect of presence is possibly one of the most complicated phenomena of social interactivity that has ever emerged within this environment“ (Kluitenberg 2000, 4). Nach Kluitenberg sind die verschiedenen Netzwerktheorien geeignet, soziale Beziehungen zu erklären und ihre Beziehungen untereinander zu analysieren, obwohl sie nicht ins Detail gehen und nicht imstande sind zu erklären, was unsere Präsenz zu etwas Besonderem macht. Einer der Gründe dafür ist, dass der technologische Aspekt in der soziologischen Forschung oft noch immer nicht ernsthaft betrachtet wird. Gleichzeitig kann man nicht sagen, dass neue soziologische Formen in digitalen Netzwerken einzig als Resultat technologischer Veränderungen entstanden. Wir können die Gesellschaft nicht betrachten, wenn wir ihre technologischen Aspekte nicht ebenso mitbedenken; es ist jedoch wichtig zu realisieren, dass die „Netzwerklogik“ (auf einem technischen Niveau) nicht immer der „sozialen Logik“ (den sozialen Handlungen darin) entspricht. Es ist heute mehr als deutlich, dass die Ideen des technologischen Determinismus, die in den 1990ern noch blühten und gediehen, mittlerweile eine Niederlage einstecken mussten. Weder zerstörte die dezentralisierte Netzwerkstruktur des Internet die Hierarchie innerhalb des Gesellschaftsmodells, noch wurde die Gesellschaft unter dem Einfluss des Internet demokratischer.

Es stellte sich stattdessen heraus, dass Netzwerke komplexe „technosocial environments that defy simplistic reductions“ (Lovink 2005,11) darstellen. Sehr oft werden Technologien in soziologischen Studien als (von Subjekten und ForscherInnen) unabhängige Objekte wahrgenommen. Für Saskia Sassen heißt das, dass man dann nichts mehr damit anfangen kann, weil es kein Terrain gibt, das man noch erforschen könnte. Sassen erklärt, dass es ein Problem darstellt, wenn ForscherInnen des Sozialen sich Technologien nicht „von innen“ nähern, und sieht es daher als eine ihrer Aufgaben, das Problem zu lösen, „how to insert a new object, a new sphere into social sciences“ (Sassen 2008). Indem sie in den elektronischen Raum involviert ist und diese Perspektive einnimmt, versucht Sassen zu verstehen, auf welche Weise die soziale Logik die Ergebnisse verändern oder in eine andere Form bringen könnte – und zwar durch eine Praxis, deren Resultate sich von jenen Fällen unterscheiden, in denen die Technologien isoliert und „von außen“ beobachtet werden (vgl. Sassen 2008).

Dies gilt auch in umgekehrter Weise: ComputerwissenschafterInnen, die ja die digitalen Netzwerke erfunden haben, wurden oft als die einzig Verantwortlichen betrachtet, weswegen jene Theorien, die sich im Allgemeinen als „Netzwerktheorien“ verstanden, vor allem computerisierte Netzwerkinfrastrukturen zum Inhalt hatten, für welche dann mathematische Graphen gezeichnet und analysiert wurden. Erst im letzten Jahrzehnt hat sich die Situation verändert, und die Anzahl der InternetuserInnen und der in der IT-Branche Beschäftigten ist in einem solchen Ausmaß angestiegen, dass sozioökonomische und netzwerkkulturelle Fragestellungen als relevant angesehen werden. Dies bedeutet, dass die Entwicklung digitaler Netzwerke heute nicht mehr allein von ComputerspezialistInnen und TechnikerInnen abhängt. Vielmehr entstehen diese in einem wechselseitigen Prozess zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Deshalb ist Saskia Sassens Vorschlag, analytische Kategorien zu entwickeln, „that allow us to capture the complex imbrications of technology and society“ (Sassen 2002, 365), nach wie vor wichtig.

NETZWERK VS. COMMUNITY – DAS PROBLEM DER TERMINOLOGIE

Auf gewisse Weise kann „alles“ ein „Netzwerk“ werden, was in der generellen Annahme begründet liegt, dass ein Netzwerk ein Set untereinander verbundener Knotenpunkte ist. Der Begriff „Netzwerk“ beschreibt also eigentlich eine Struktur. Er kann eine Struktur auf einem sozialen Niveau (als „Landkarte“ von Verbindungen) oder auf einem technischen Niveau (als digital vernetzte Umgebung) beschreiben. Für Netzkultur-Studien ist es jedoch angebracht, ein Hybrid zu beschreiben, d. h. ein sozio-technisches Niveau, bei dem es wichtig ist, beide Arten von Strukturen als miteinander verwobene zu untersuchen. So beziehen sich beim Beispiel der translokalen Netzwerke die „sozialen Verbindungen“ auf eine Gruppe ähnlich gesinnter Menschen mit ähnlichen Interessen und einer gemeinsamen Geschichte, die typischerweise „schwache Bindungen“ haben, denen das Potenzial innewohnt, bei Bedarf aktiviert zu werden. Das „technische Niveau“ hingegen kann sich nicht nur auf das Internet beziehen, sondern muss auch die Infrastruktur und die Tools berücksichtigen, die von den einzelnen Netzwerkmitgliedern verwendet werden. Das komplexere „sozio-technische Niveau“ kann sich auf die soziale Kommunikation und auf Organisationsformen im jeweiligen Netzwerk beziehen (z. B. im Fall des Web 1.0 die Umgebung von Mailing-Listen und im Web 2.0 „Soziale Netzwerkseiten“).

Der Begriff „Gemeinschaft“ oder „Community“ bezieht sich hingegen auf eine viel engere Art der Verbindungen zwischen Netzwerkmitgliedern. Aus diesem Grund kann von einer Community nur in dem Fall gesprochen werden, wenn es neben der virtuellen Kommunikation (via Mailinglisten, Blogs, Sozialen Netzwerkseiten) auch Treffen von Angesicht zu Angesicht gibt, die real stattfinden, egal ob es sich dabei um formelle Kon- ferenzen oder informelle Dinnerpartys handelt. Denn sie erleichtern die persönliche Kommunikation – eine der zentralen Facetten, die den Aspekt der Gemeinschaft innerhalb eines Netzwerks stärken.

Wenn man Web 1.0- und Web 2.0-Netzwerke vergleicht, so fällt auf, dass ein wichtiger Unterschied in den technischen Plattformen selbst liegt: Während diese in den 1990ern den einzelnen Netzwerken und Communitys noch selbst gehörten und auf nicht-kommerziellen Ideen und idealistischen Motiven basierten, werden heutige Web 2.0-Plattformen von Firmen mit kommerziellen Interessen entwickelt und erhalten, weshalb sie sich auch außerhalb des Horizonts der jeweiligen Communitys, die sie nützen, befinden.

Wenn man die Formen sozialer Organisation im Fall der Netzkultur der 1990er betrachtet, ist es wichtig zu betonen, dass ihr Aktivitätsfeld klar definiert war und ein sinnstiftendes Ziel verfolgte. Im Fall von nettime war dies z. B. die Entwicklung eines kritischen Internet-Diskurses; bei Faces die Stärkung der Sichtbarkeit von Frauen im Cyberspace; bei Syndicate das Schaffen von Verbindungen zwischen KünstlerInnen aus Westund Osteuropa; bei Xchange das Ausloten der Grenzen des akustischen Cyberspace etc. Im Vergleich dazu sind die sozialen Netzwerke oder Web 2.0-Umgebungen von heute eher für die soziale Kommunikation auf einem persönlichen Niveau geeignet – sowohl was die kürzeren und schnelleren Wege betrifft, als auch den Wunsch nach Selbst-Bewerbung. Sie sind allerdings nur bedingt dazu geeignet, kollektive Ideen oder die Organisation eines gemeinsamen Feldes voranzutreiben, da sie, anders als die früheren Mailinglisten, keine guten Mediatoren zwischen dem Realen und dem Virtuellen darstellen (vgl. Interview mit Lovink, 2010).

Zuletzt würde ich gerne auf die derzeit vorherrschenden Ideen eingehen, die es zur Frage „Was macht Netzwerke nachhaltig?“ gibt. Erstens erscheint es offensichtlich, dass Netzwerke sehr stark von den in sie involvierten Personen abhängig sind – von ihren BegründerInnen, AdministratorInnen oder ModeratorInnen. Bezüglich der Nachhaltigkeit von Netzwerken kommt der „hosting person“ eine besondere Bedeutung zu, auch wenn diese nicht unbedingt eine Schlüsselposition inne haben muss. Es ist weiters wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass es für diese Netzwerke nicht unbedingt nötig ist, Nachhaltigkeit als ihr Hauptziel zu definieren. Weniger sichtbare Eigenschaften sind ebenso wichtig, d. h. Fragen, wie die Größe von Netzwerken regeln: Expansions- und Niedergangsphasen; wie Offenheit und Flexibilität beibehalten; und wie sie am Leben und dynamisch halten. Im Großen und Ganzen ist der wichtigste Aspekt der Nachhaltigkeit von Netzwerken, dass es ein gemeinsames Interesse und ein gemeinsames Ziel gibt, indem die Diversität an Stimmen und Sprachen, die es in Netzwerken gibt, beibehalten (vgl Interview mit Bunting 2010) und ein gemeinsamer und sinnvoller Grund, miteinander zu arbeiten, aufrechterhalten wird (vgl. Interview mit Thackara 2009).

LITERATUR

Castells, Manuel. The Rise of the Network Society. Vol. 1: The Information Age. Economy, Society and Culture. Blackwell Publishers, 2000 (1st ed. – 1996).
Lovink, Geert. Dark Fiber. Tracking Critical Internet Culture. Cambridge, MA; London, UK: MIT Press, 2002.
Lovink, Geert. The Principles of Notworking: Concepts in Critical Internet Culture. Amsterdam: HvA Publicaties, 2005.
Smite, Rasa. Rapid Response (rr:) on List Culture and Web 2.0. Net Critique by Geert Lovink. [interview] February 2, 2010. [online] http:// networkcultures.org/wpmu/geert/2010/02/02/rapid-response-rr-onlist- culture-and-web-2-0/
Smite, Rasa. Interview with John Thackara, 04.12.2009; Interview with Heath Bunting, 05.02.2010; Interview with Andreas Broeckmann, 05.09.2009. In: Creative Network Communities [PhD thesis], Riga: RSU, 2011.
Latour, Bruno. Reassembling the Social: an Introduction to Actor-Network- Theory. Oxford: Oxford University Press, 2005. Kluitenberg, Eric. Media Without an Audience. In: Acoustic Space, 3. Riga: RIXC: 2000.
Medosch, Armin/Rasa Smite. Networks and Sustainability. [Concept for SLSA eu 2010 „Textures“ conference stream, Riga], 2010 [online] http://rixc.lv/10/en/conference.info.html
Sassen, Saskia. Towards a Sociology of Information Technology. In: Current Sociology, 50, (3), May 2002, pp. 365–388. (London; Thousand Oaks, CA; New Delhi: SAGE Publications). Sassen, Saskia. Networks, Power, and Democracy. In: Varnelis, Kazys (ed.) Networked Publics. The MIT Press, 2008 (2006); [online lecture] http://networkedpublics.org/about_netpublics/saskia_sassen_lecture_ networks_power_democracy (accessed 01.06.2010)

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