Interview mit Christina Goestl
Christina Goestl ist (elektronische Medien-)Künstlerin. Sie kreiert interaktive Applikationen und offene Systeme, arbeitet an den Schnittstellen von Kunst/ Technologien und Wissenschaft, performt zu elektronischer (Tanz-)Musik und hat als Netzpionierin ein umfassendes Dossier von Web-Art. Sie lebt in der EU und besitzt einen akademischen Titel. www.cccggg.net
Du bist 1995 von Amsterdam zurück nach Wien gekommen. Damals gab es mit der Digitalen Stadt Amsterdam ja bereits einen unabhängigen Provider, der zumindest anfänglich von der Stadt Amsterdam und dem niederländischen Wirtschaftsministerium unterstützt wurde, um einen kostenlosen Internetzugang anbieten zu können. Wie stellte sich im Vergleich dazu die Situation in Wien dar?
Christina Goestl: Damals war PING der einzige Internetprovider in Wien, der halbwegs erschwinglich war, weil es dort noch einen Eine-Stundepro- Tag-Account gab. Als ich von Amsterdam nach Wien kam, musste ich also von einer Standleitung auf ein langsames Modem wechseln und konnte auch nur für eine Stunde am Tag ins Internet. Da war ich natürlich glücklich zu hören, dass mit Public Netbase gerade etwas im Entstehen war, das meinen Interessen entsprach und außerdem eine Möglichkeit bot, wieder einen Server unterm Hintern zu haben. Die Netbase war damals auch ein absolutes Pionierprojekt, das für eine ganz andere Öffentlichkeit gesorgt hat. Insofern war die Situation in Wien mit der in Amsterdam vergleichbar: Es hat ein paar Nerds gegeben, die sich für die Zukunft und für neue Kommunikationstechnologien interessiert haben; großteils hatten diese Leute einen künstlerischen Background und haben sich gefragt, wie man das Potenzial dieser neuen Technologien nutzen könnte. Das war von Anfang an eine sehr kritische Auseinandersetzung mit den neuen Medien und die Leute haben begonnen, daran zu arbeiten und die Infrastruktur aufzubauen. Das geschah natürlich auch nicht aus dem Nichts: Lange bevor etwa in Holland die Digitale Stadt gegründet wurde, gab es bereits eine sehr aktive, freie Medienkulturszene, also freie Fernsehkanäle und Radiosender. Was es später beispielsweise mit Radio Orange und Okto.tv in Wien gab, hat es damals schon in Amsterdam gegeben. Wir haben dann ganz gut diese ganzen Medien bespielt und Leute von der niederländischen Telekom und der Amsterdamer Stadtverwaltung zu unseren Veranstaltungen eingeladen, um somit auch die Grundlage für die Digitale Stadt zu legen.
Und diese Überzeugungsarbeit musste dann auch in Wien erst einmal geleistet werden?
Christina Goestl: Ja, auf jeden Fall! Die Netzkulturszene in Wien war ein vorwiegend künstlerisches Umfeld, und auch die Netbase war anfänglich für Menschen bestimmt, die eben im Kunstfeld zu Gange waren und die aus diesem Kontext heraus das neue Medium für sich nützen wollten, um somit ihren Aktionsradius zu erweitern. Das war im Vorhinein eine Mischung aus Technik und Kunst, wobei es dann mit dem Institut für neue Kulturtechnologien, also dem Trägerverein von Public Netbase, wiederum ein breiteres kulturelles und auch wissenschaftliches Interesse im Umgang mit neuen Medien gab. Im Grunde genommen fand in der Netbase die ganzen Jahre hindurch – und das ist wiederum vergleichbar mit Amsterdam – eine regelrechte Pionierarbeit statt. Wir haben ganz neue Felder aufbereitet und sind dabei in vielen Dingen vor der Zeit gewesen. Wir waren ja alle davon überzeugt, dass es sich bei den neuen Informationsund Kommunikationstechnologien um ein ganz großes Ding handelt und dass man sich damit beschäftigen muss, um das Feld nicht einfach den Telekom-Menschen zu überlassen. Wir wollten wissen, was man mit diesen Technologien anstellen kann, wie man sie missbrauchen, also verbiegen und für sich ausbeuten kann und letztlich auch, welche Grenzen man überschreiten muss, um aus der Technologie etwas zu machen, was gar nicht vorgesehen war. Da war die Atmosphäre und Begeisterung in Wien und Amsterdam doch eine sehr ähnliche.
Ein Schwerpunkt, der diese Pionierzeit geprägt hat, war die Frage nach der Aneignung digitaler Technologien durch Frauen. Inwieweit war dieses cyberfeministische Denken in der Netbase selbst verbreitet?
Christina Goestl: In der Netbase haben Frauen immer auch Serveradministration gemacht und auch sonst alle möglichen technischen Aufgaben übernommen. Ich habe vorher bereits in verschiedenen technischen Gebieten gearbeitet und daher jede Menge Erfahrung mit Männergruppen gesammelt; und da war es bei der Netbase eigentlich sehr erfrischend. Mir persönlich war es wichtig, dass da viele Frauen hinkommen und diese dann nicht einfach „Frauenjobs“ machen, sondern auch ganz praktisch mit der Technik arbeiten. Ich selbst komme aus einer Technikerfamilie und mir war das ein großes Anliegen, die Türen für andere Frauen offenzuhalten und zu zeigen, dass man das alles lernen kann, dass das keine Hexerei ist. Es ist also darum gegangen, ausgleichend zu wirken, denn gerade im technischen Bereich sind die Verhaltensweisen oft sehr klassisch: Männer fühlen sich meist übermäßig kompetent, wenn sie mit Technik zu tun haben, und Frauen sind gern schüchtern. Da musste man bei Bedarf schon mal die eine Seite unterstützen und die andere zurückpfeifen.
Wie sah die cyberfeministische Vernetzung im deutschsprachigen Raum zu dieser Zeit aus?
Christina Goestl: Die war erstaunlich schwach ausgeprägt. Unser Fokus war zu Beginn mehr auf den internationalen Austausch und hier vor allem auf den angelsächsischen Raum ausgerichtet. Die lokale Vernetzung hat erst mit der Zeit zu sprießen begonnen, vor allem als die ersten Kämpfe um Förderungen und Räumlichkeiten begonnen haben und überhaupt erst einmal ein Begriff von dem entstanden ist, was dann als Cyberfeminismus definiert wurde. Jede Technologie macht ja auch ein neues Fenster auf, und du wirst in der Anfangszeit immer viele Frauen an vorderster Front antreffen, die sich dieser neuen Technologien bedienen. Das relativiert sich dann mit der Zeit wieder, aber in jedem Fall bleibt diese positive Herangehensweise. Denn gerade für „Minderheiten“, also marginalisierte Interessengemeinschaften, war die Vernetzungsidee enorm wichtig. Für mich persönlich ist das ein ganz wichtiger Punkt gewesen, zumal ich schon früh über Telnet gesurft bin und mit den ganzen BBS-Strukturen vertraut war. Was mich dabei fasziniert hat, war der Umstand, dass gerade die Vertreter/innen einer positiven Sexkultur sehr früh und lange vor der ganzen Pornoindustrie im Netz waren. Als Feministin habe ich dann begonnen, mich mit dieser positiven Sexkultur auseinanderzusetzen und dazu zu arbeiten.
Dies geschah dann ja auch im Rahmen von „sex.net – Sex, lies & the Internet“, einer Veranstaltungsreihe, die 1998 in den Räumen von Public Netbase im Wiener MuseumsQuartier (MQ) stattfand. Um was ging es da genau?
Christina Goestl: Ich habe damals die Seite sex.t0.or.at aufgebaut, ein Sex-Server von Public Netbase, der sich mit dieser positiven Sexkultur beschäftigte. Wir haben dann beschlossen, eine Veranstaltungsreihe daraus zu machen und hierzu eine bunte Mischung an Leuten eingeladen. So gab etwa die Fetish-Diva Midori ihre einzige Österreich-Performance und alle haben sich gewundert, dass so etwas hier überhaupt möglich ist; gerade in einem so hochgradig verklemmten Land, wo es überall tabuisierte Ecken gibt. So wie wir eben „Netzaufklärung“ betrieben haben, wollten wir nunmehr Sexaufklärung mit Hilfe dieser neuen Netzwerke machen und eine Debatte über die Frage von Pornografie und Zensur aus feministischer Sicht führen. Das war eine sehr schöne Veranstaltung.
Allerdings wurde diese dann zum Anlass für einen äußerst bizarren Fall in der österreichischen Kulturpolitik: Wegen der Namensähnlichkeit des Projekts mit einem karibischen Pornoanbieter bezichtigte die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) Public Netbase der Verbreitung von Pornografie auf Staatskosten.
Christina Goestl: Ja, das war Teil einer Gesamtstrategie, die bereits mit der sogenannten „Staatskünstler-Kampagne“ begonnen hatte. Das war eine Kampagne, welche die FPÖ im Zuge der Wiener Gemeinderatswahlen 1996 gestartet hat und in der die Schriftstellerin Elfriede Jelinek und der damalige Burgtheaterdirektor Claus Peymann persönlich angegriffen wurden, wobei es eigentlich um eine Kritik der FPÖ an der Kunst- und Kulturförderung der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) ging. Gerade die FPÖ ist ja von der Annahme besessen, dass sie beurteilen kann, was nun wahre Kunst ist und was nicht. Und das hat sich dann auch wieder im Fall von „sex.net“ gezeigt, wobei es schon verblüffend war, wie unglaublich billig, spießig, banal und primitiv das Ganze letztlich abgelaufen ist. Die ganze Geschichte wurde einfach instrumentalisiert und war ein Lehrstück dafür, wie viel vorauseilende Angst in Bezug auf Meinungsfreiheit herrscht und wie wagemutig es oft sein kann, über Dinge zu reden, die man selbst interessant findet. Da wurde einem schmerzhaft bewusst, in was für einem Spießer-Umfeld man sich bewegt.
Siehst Du darin auch einen Vorboten für die spätere Auseinandersetzung mit der rechtskonservativen Bundesregierung?
Christina Goestl: Ja, es ist ja auch um viel gegangen, es ist damals um alles so wahnsinnig gekämpft worden – gerade im Vergleich zu Holland, wo die Leute alle eine Grundversorgung hatten und es daher auch ganz andere Möglichkeiten gab, um seine Interessen zu verfolgen. Wir haben damals in Wien mit kleinstem Budget Wunder vollbracht und unter großem persönlichen Einsatz wahnsinnig viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, weil das alles noch so neu war. Mit der „sex.net“-Geschichte hat sich dann etwas abgezeichnet, das ein paar Jahre später mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ offensichtlich wurde: diese Zunahme an Intoleranz und diese Provinzialität, die da wieder Einzug gehalten hat – all das ist in der Auseinandersetzung um „sex.net“ bereits zum Vorschein gekommen.
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Projects | Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa World-Information Institute |
Date | 2012 |
Location | Vienna |