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Interview mit Francisco de Sousa Webber

Francisco de Sousa Webber gründete 1994 gemeinsam mit Konrad Becker die Netzkulturinstitution Public Netbase/t0, welche ihre Räumlichkeiten bis 2001 im Wiener MuseumsQuartier (MQ) hatte und dort als non-profit Internet-Provider eine Plattform für die partizipative Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien anbot.

Francisco de Sousa Webber gründete 1994 gemeinsam mit Konrad Becker die Netzkulturinstitution Public Netbase/t0, welche ihre Räumlichkeiten bis 2001 im Wiener MuseumsQuartier (MQ) hatte und dort als non-profit Internet-Provider eine Plattform für die partizipative Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien anbot.

In Wien und Umgebung entwickelte sich in den 1980er Jahren eine Hackerszene, die eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Netzkulturen in Österreich einnahm. Worin bestand Dein persönlicher Zugang zu dieser neuartigen Techno-Kultur?
Francisco de Sousa Webber
: Anfang der 1980er Jahre ging ich gerade zur Schule in Wien und mein damaliges Steckenpferd war die Elektronik. Diese hatte bereits in den 1970er Jahren einen ersten Boom erlebt, als elektronische Bauteile zu vernünftigen Preisen angeboten wurden und sich die Computertechnik allmählich eingeschlichen hat. Damals fand ich in der Altpapiersammlung ganze Jahrgänge einer fein säuberlich abgepackten Zeitschrift, die sich ausschließlich mit diesem Thema befasste. Ich habe die dann kistenweise in mein Jugendzimmer geschleppt und darin zu wälzen begonnen. Und in einer dieser Ausgaben, ich glaube aus dem Jahr 1978, gab es eine Anleitung, anhand derer man sich einen Computer selbst zusammenbauen konnte. Das war im Grunde nichts anderes als ein Prozessor mit acht Schaltern und acht Lamperln; den konnte man dann so einprogrammieren, dass diese Lamperln wechselweise ein- und ausgeschalten wurden. Das war alles sehr stark im Bastlerbereich verortet, wo man die Prozessorchips noch selbst einlöten musste. Aus dem heraus hat sich dann bei uns Jungen die Faszination entwickelt, selbst eine Maschine konstruieren zu können, bei der auch nicht von vornherein feststand, was da am Ende des Tages rauskommt. Das hat dann allmählich zu dem geführt, was in weiterer Folge die PCWelle werden sollte, und aus der heraus haben sich dann ganz andere Möglichkeiten ergeben.

Etwa die Verwandlung der Rechenmaschine in ein vernetztes Medium?
Francisco de Sousa Webber:
Ja, aber anfänglich gab es zunächst mal nur den PC, der für uns Jugendliche zudem noch unerschwinglich war. Da musste man wirklich hart darum kämpfen, um vor so einem Computer sitzen zu können. Da gab es dann auch die ersten Time-Sharing-Situationen, wo man genau stoppen musste, von wann bis wann der Vater eines Schulfreundes nicht zu Hause war, um schnell mal ein Programm auf seinem Rechner einzutippen. Und so hat unsereins erst mal programmieren gelernt, weil sehr viel mehr konnte man mit dem Computer damals nicht machen. Ich habe erst später gelernt, dass es bereits zu dieser Zeit so etwas wie Computernetzwerke an Universitäten gab, nur waren diese ja nicht zugänglich, wenn man nicht gerade drei Doktortitel hatte.

Aber gab es damals nicht auch schon technologische Subkulturen, die abseits der Universitäten eigene Netzwerke aufzubauen begannen?
Francisco de Sousa Webber:
Es gab natürlich die alten Modellbauclubs, die von Funkamateuren und Hobby-Elektronikbastlern besucht wurden. Das war zu einer Zeit als derjenige, der mit einem Lötkolben umgehen konnte, noch alles Mögliche – vom Verstärker bis zum Computer – selbst zusammengebaut hat. Dann kamen mit dem Apple II und dem PET 2001 die ersten Heimcomputer auf den Markt, und kurz darauf brach mit dem Commodore 64 die PC-Welle los. Das war dann wirklich eine enorme Weiterentwicklung, weil diese Systeme auch schon serielle Schnittstellen hatten und man somit einen Akkustikkoppler anschließen konnte. Da musste man den Telefonhörer reinstecken und hoffen, dass die 300 Switches am anderen Ende der Leitung auch richtig eingestellt waren. Da war das Aknowledge-Signal, wenn eine Verbindung aufgebaut war, schon das absolute Hochgefühl der Telekommunikation. Aber immerhin konnte man nunmehr mit anderen in Kontakt treten und abseits der klassischen Institutionen Informationen austauschen. Aus dem heraus haben sich dann die ersten Bulletin Board Systeme (BBS) entwickelt und mit ihnen auch die Vorstellung von dem, was später als Online-Forum oder Virtuelle Gemeinschaft bezeichnet wurde.

Anfang der 1990er Jahre kam es zu einer Kriminalisierung der Hackerszene, die von nun an als potenzielle Gefahr wahrgenommen wurde. Wie gefährlich war deren Wissen aus heutiger Sicht wirklich? Francisco de Sousa Webber:
Auf technologischer Ebene war das eigentlich keine große Sache! Aber wie vorhin erwähnt, war es damals dermaßen mühsam, eine Verbindung zwischen zwei Rechnern aufzubauen, dass Sicherheitsmaßnahmen praktisch nicht vorhanden waren. Wenn man sich nicht ganz blöd angestellt hat, konnte man bei diversen Einrichtungen anrufen und die haben einem dann auch noch Tipps gegeben, um die Verbindung herzustellen. Alleine der Umstand, dass man über ein so spezifisches Wissen verfügte, genügte damals, um Zugang zu den Rechnern zu erhalten. Da hat es natürlich nicht lange gedauert, bis die ersten Computer kids begonnen haben, sich bei Bankinstituten einzuwählen. Im Grunde ging es zu Beginn nur darum, eine Verbindung auf die Reihe zu kriegen, denn inhaltlich waren die Sachen ja so hochgradig kodifiziert, dass ein Normalsterblicher gar nichts damit anfangen konnte. Ein paar Hartnäckige haben sich dann allerdings allmählich ein Know-How angeeignet, wie diese Sachen funktionieren, und es entstand ein Wettbewerb, wer nun tiefer in das System eindringen konnte. Das erweckte Argwohn und in den Medien tauchte schon bald das Bild vom schwarz gekleideten Milchgesicht auf, das die Welt mit seinem Computer an den Rand des Untergangs bringen würde. Das hatte zur Zeit des Kalten Krieges durchaus Brisanz, wobei in Österreich die Dinge freilich etwas hinterher hinkten.

Du hast dann während Deiner Schulzeit Konrad Becker kennengelernt und mit ihm zu arbeiten begonnen. Worin bestand diese Zusammenarbeit?
Francisco de Sousa Webber:
Ein Schulfreund hat mich eines Tages mit in die Westbahnstraße genommen, wo Konrad damals sein Studio hatte. Die Tür stand offen und wir wurden auch nicht weiter gefragt, was wir da wollen. Man hat uns einfach machen lassen. Da gab es einen Proberaum, wo ständig Musik lief, und wir haben uns dann ebenfalls Musikinstrumente geschnappt und einfach mitgeklimpert. Als Vertreter der elektronischen Musik hatte Konrad dort auch einen Synthesizer stehen, und wir als Computerkids haben damit begonnen, Sounds zu programmieren. Später als die Rechenleistung besser wurde, haben wir gemeinsam audiovisuelle Systeme rund um bestimmte Themen entwickelt. Das war auch die Zeit, als wir erste Konzepte entworfen haben, um damit bei potenziellen Geld- gebern vorstellig zu werden. Da war der Kunstbereich freilich naheliegend, wo die Möglichkeiten, an Geld zu kommen noch besser waren. Andererseits haben wir uns direkt an Hardwareproduzenten gewannt, um an das nötige Equipment zu kommen. Und so konnten wir dann tatsächlich einen Silicon Graphics-Computer bekommen, auf dem dann später unser erster t0-Server und unsere erste Mail-Domain liefen. Das war natürlich ein gewaltiger Sprung nach vorne und für uns auch ein Zugang zu dem, was damals das Internet war. Plötzlich konnte man sich alles Mögliche von einem Server in Kalifornien oder Norddeutschland runterladen und musste nicht mehr über die vergleichsweise langsamen BBS-Systeme, die ja nichts anderes als privat betriebene Mailboxen waren, kommunizieren. So sind wir Teil dieser Netzszene geworden, in der Anfang der 1990er Jahre eine unglaubliche Euphorie herrschte, weil alle glaubten, dass die Computernetzwerke die Hirne von morgen seien.

Das war auch der Zeitpunkt, als Du Dein Medizinstudium begonnen hast.
Francisco de Sousa Webber:
Ja, ich habe nach der Schule begonnen, Medizin zu studieren, weil ich mir gedacht habe, das kann ich mir nicht selbst beibringen, im Gegensatz zu allem, was elektronisch ist. Außerdem waren damals 90% aller sichtbaren Rechner im Internet Universitätsrechner und ich hatte über das Studium zum ersten Mal die Möglichkeit, selbst hinter einem solchen zu sitzen. Das Allgemeine Krankenhaus (AKH) in Wien hatte sich damals gerade einen neuen Unix-Rechner angeschafft, um damit Organspenderlisten mit dem europäischen Transplantationszentrum in Holland abgleichen zu können. Mit dem bisschen Know-How, das ich mir auf dem Silicon Graphics-Rechner erworben hatte, konnte ich dann dort auftrumpfen und habe allmählich immer mehr Zugang zu der Maschine erhalten. Das ging soweit, dass ich letztlich einen WWW-Server auf dem Unix-Rechner installieren konnte, und über den haben Konrad und ich dann unsere ersten Dokumente online gestellt. Womit allerdings keiner wirklich gerechnet hat, war der Umstand, dass die Requests innerhalb kürzester Zeit enorm zugenommen haben, unsere Seite also immer populärer wurde. Da kamen dann natürlich auch prompt die ersten Anfragen, was denn da am Institut für Medizinische Computertechnik so einen irrsinnigen Traffic produziert. Am Anfang konnte ich den Verantwortlichen noch klar machen, dass es sich dabei um einen Testversuch handelte, um die Verlässlichkeit der Verbindung zu überprüfen. Wir haben dann aber bereits im Hintergrund unsere alte Silicon Graphics-Maschine zu einem Backupserver umgebaut, auf dem wir dann unsere eigene Domain betreiben konnten.

Ihr habt 1994 Public Netbase gegründet und seid mit dem t0-Server ins Wiener MuseumsQuartier (MQ), das damals noch eine Baustelle war, umgezogen. Wie kam es dazu?
Francisco de Sousa Webber:
Zu dem Zeitpunkt hatte die damalige Bundeskuratorin, Stella Rollig, das Depot als Diskussionsort für zeitgenössische Kunst ins Leben gerufen und hierfür einen Raum im Areal des heutigen MQ bezogen. Wir haben dann ein kleines Kammerl, welches vom Depot nicht genutzt wurde, zur Verfügung gestellt bekommen und konnten dort schon bald eine eigene Internet-Standleitung installieren. Somit wurde unser Backupserver zum Hauptserver, und wir haben ein Abkommen mit dem Depot getroffen: Wir duften die Räume für öffentliche Veranstaltungen nutzen, und im Gegenzug sollten wir die technologische Infrastruktur bereitstellen. So konnten wir Anfang 1995 Public Netbase offiziell eröffnen, wobei wir dann damit begonnen haben, die anderen Institutionen im MQ ebenfalls ans Internet anzuschließen. Da sind wir mit der Schlagbohrmaschine über den Dachboden gerobbt und haben dort die Glasfaserleitungen verlegt. Das lief damals immer noch parallel zu meinem Job im AKH, wo ich ebenfalls die einzelnen Institute vernetzt habe. Das war insofern von Vorteil, als ich mir dort vormittags das nötige Know- How aneignen konnte, welches ich dann am Nachmittag im Non-Profit- Bereich einsetzen konnte. Die Leute im MQ haben sich dann beim Kaffee erzählt: „Na, seid ihr schon angeschlossen?“. So kam es dann Schlag auf Schlag, bis das ganze Areal über uns ans Internet angeschlossen war.

Neben diesem „Zugang für alle“ ging es nicht zuletzt um die Vermittlung der hierfür notwendigen Medienkompetenz. Welche gesellschaftspolitische Aufgabe verband sich damit für Institutionen wie Public Netbase? Francisco de Sousa Webber: Es gab damals ja noch nicht allzu viel Inhalte im Netz, und deshalb wurden die Seiten, die etwas Interessantes anzubieten hatten, stark frequentiert. Außerdem hatten diejenigen, die bei uns auch vor Ort waren, die Möglichkeit, sich über unsere Leitung ins Internet einzuwählen. Das waren im Regelfall Kunst- und Kulturschaffende, die von uns dann auch eine Email-Adresse und Web-Space zur Verfügung gestellt bekommen haben. Unser Service war gut genug, dass wir zumindest für eine Zeit lang eine echte Alternative zu kommerziellen Anbietern darstellten, die damals für einen Großteil der Leute auch gar nicht leistbar waren. Unsere UserInnen waren natürlich extrem motiviert und haben auch ziemlich große Freiheiten genossen. 1997 sind wir dann in größere Räumlichkeiten umgezogen, und dort gab es auch einen eigenen Seminar- und Workshopraum, den sogenannten Mediaspace, wo Leute aus den unterschiedlichsten Kontexten von früh bis spät gesessen sind, um ihre Projekte zu realisieren. Damit ist auch unser Webserver, wo sie ihr Material deponieren konnten, innerhalb kürzester Zeit explodiert, und wir waren zu unserer Spitzenzeit die zweithäufigst besuchte Seite in Österreich. Es ging also einerseits darum, die nötigen Skills im Umgang mit diesen neuen Technologien zu vermitteln, andererseits aber auch ganz einfach darum, überhaupt erst einmal einen Zugang zu diesen zu schaffen. Das war immer auch ein Kampf um Ressourcen, weil Hardware und Bandbreite damals noch sehr kostbar waren und man gut überlegen musste, wie man die am besten einsetzt.

Content type
text
Projects Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa
World-Information Institute
Date 2012
Location Vienna

Tags

Medienkompetenz Das Allgemeine Krankenhaus (AKH) Prozessorchips Mail-Domain Web-Space Public Netbase t0 Stella Rollig
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