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Interview mit Chris Kummerer

Chris Kummerer ist Musiker, Theoretiker und Medienkünstler. Er unterrichtete Medientechnologie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und hält zahlreiche Workshops im In- und Ausland zu den Themen Freie Software, Geistiges Eigentum und Interface-Strategien. Er war lange Zeit Mitarbeiter bei Public Netbase und ist Gründer und Betreiber von lo-res.org.

Chris Kummerer ist Musiker, Theoretiker und Medienkünstler. Er unterrichtete Medientechnologie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und hält zahlreiche Workshops im In- und Ausland zu den Themen Freie Software, Geistiges Eigentum und Interface-Strategien. Er war lange Zeit Mitarbeiter bei Public Netbase und ist Gründer und Betreiber von lo-res.org.

Mitte der 1990er Jahre entstand in Wien eine Netzkulturszene, die sich experimentell mit den neuen Internettechnologien auseinandersetzte. Worin bestand Dein persönliches Engagement in diesem neuartigen Umfeld?
Chris Kummerer:
Ich selbst bin erst 1994 nach Wien gekommen. Davor habe ich mich in Gymnasien in Mödling und Baden herumgetrieben. Zu der Zeit war ich ein kleiner Teenie-Hacker, der sich zunehmend auch für elektronische Musik interessiert hat. Das war mein Zugang zu den neuen Techno-Kulturen, wo es nicht mehr alleine um das Programmieren, sondern um einen kreativen Umgang mit dem Material ging. In Wien gab es dann für mich mit Public Netbase ein geeignetes Umfeld, wo sich all diese Dinge auf eine überraschende und angenehme Art konkretisiert haben. Also zum einen diese frühe Clubkultur, in der elektronische Musik einen wesentlichen Stellenwert einnahm; zum anderen eine neue Praxis des Do-it-yourself (DIY), weil für vieles einfach das Geld nicht vorhanden war oder es die Produkte, mit denen man experimentieren wollte, in der Form (noch) nicht gab. So wurde da eben auch viel gebastelt und gelötet, um das nötige Equipment zusammenzustellen. Zu Beginn war das ja noch ein winziges Kammerl im späteren MuseumsQuartier (MQ), das einerseits als Serverraum, andererseits als Archiv und Büro gedient hat. Darunter war die Bibliothek des Depot, die als öffentlicher Raum genutzt wurde und wo man an drei Rechnern seine Internetrecherchen machen konnte. Das war dann auch die Anlaufstelle für die ersten Vereinsmitglieder.

Damals war das Wiener MQ noch eine Baustelle, die insbesondere kleineren Kunst- und Kulturinitiativen einen Platz bot. Waren dies auch die geeigneten Rahmenbedingungen für den angesprochenen DIY-Ansatz?
Chris Kummerer:
Ja, das war lange Zeit ein äußerst lauschiges Plätzchen, wie ein Dorf im Dorf, das mehr oder weniger brach lag, weil man sich auf Landes- und Bundesebene nicht einig werden konnte, wie es dort weitergehen und wer die Lorbeeren dafür ernten soll. Und in dieser Aufbruchszeit hat sich dort ein Haufen sehr ambitionierter und notorisch überforderter Initiativen angesiedelt, weshalb auch sehr spannende Dinge passiert sind. Neben der Public Netbase und dem Depot gab es noch den Kunstraum, die Basis Wien und das Architekturzentrum, wobei die Netbase für die IT-Infrastruktur zuständig war und auch die anderen Initiativen mit ihrer Internet-Standleitung versorgt hat. Wir haben dann quer durch den Dachboden des MQ Netzwerkkabel verlegt und so wurden die benachbarten Initiativen auch unsere ersten Vereinsmitglieder, denen wir neben den klassischen Einführungen in die Internettechnologien auch Webspace und Email-Adressen angeboten haben. Das führte dazu, dass wir 1997 in größere Räumlichkeiten umziehen konnten, was eine massive Verbesserung der Situation darstellte: Neben den eigentlichen Büros gab es nunmehr noch den Mediaspace, der als Musik- und Medienstudio sowie als öffentlicher Raum genutzt werden konnte. Da fanden dann ganz charmante Veranstaltungen statt, die auch dazu beitrugen, unbekannte Dinge – wie japanische Noise-Combos – salonfähig zu machen. Erst später kam dann diese massive Großbaustelle, als das Leopold Museum, die Kunsthalle und das MUMOK errichtet wurden und in weiterer Folge viele der ursprünglichen Initiativen ausziehen mussten.

In den frühen Netzkulturen ging es nicht zuletzt um neue Partizipationsmöglichkeiten. Welche Bedeutung hatten Institutionen wie Public Netbase in diesem Zusammenhang?
Chris Kummerer:
Die Idee war, den Zugang zu besagtem Mediaspace so niedrigschwellig wie möglich zu halten. Da konnte man hingehen und seine Emails checken, Internetrecherche betreiben oder die eigene Homepage updaten, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, wie lange man da nun im Datennetz surft. Das war zu einer Zeit, als der Gang ins Internet noch als Ortsgespräch betrachtet, also minutenweise verrechnet wurde, und somit eine eigene Standleitung schon einiges wert war. Da waren viele Jugendliche vor Ort, die diesen DIY-Ansatz geschätzt haben, und dann natürlich auch Leute aus dem Kunst- und Kulturbetrieb. Wir waren dann wirklich überwältigt von dem enormen Zulauf, woraus sich für uns die Frage ergeben hat, wie wir mit den Ressourcen am besten umgehen. Da gab es dann eine hitzige Diskussion, weil wir am liebsten gar keine Zugangsbeschränkung eingeführt hätten, aber wir mussten am Schluss einsehen, dass wir alleine schon aus finanziellen Gründen das Ganze nicht barrierefrei halten konnten. Zudem hatte sich die Provider-Landschaft bereits Mitte der 1990er Jahre grundlegend geändert, sodass jemand, der ein kommerzielles Projekt betreiben wollte, damit zum Silverserver gehen konnte. Und auch das Profil der Netbase hat sich mit der Zeit gewandelt, weil man nicht mehr allein der Host, sondern selbst Initiator größerer Projekte sein wollte. Ich habe dann gemeinsam mit einem kleinen Haufen von Hackern den Server lo-res.org gegründet, wo wir flexibel und unbürokratisch Projekte hosten konnten, um hier Abhilfe zu schaffen.

Die Netzkulturszene spielte dann eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die Anfang 2000 gebildete Bundesregierung. Wie kam es dazu?
Chris Kummerer:
Ich kann mich erinnern, dass wir bereits Ende 1999 im ehemaligen Kunstraum saßen und darüber diskutiert haben, welche Maßnahmen wir ergreifen sollten. Zu dem Zeitpunkt war bereits absehbar, dass es zu einer Regierungskoalition zwischen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei (FPÖ) unter Jörg Haider kommen wird. Und da wollten wir nicht unvorbereitet sein! So konnte die erste, spontane Demonstration nach Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses mit Hilfe einer Telefonkette organisiert werden. Und es hat die frisch gebackene Regierung durchaus überrascht, dass vor dem Parlament bereits 300 Leute mit Fahnen schwenkten und ihre Transparente ausrollten, noch bevor es überhaupt eine offizielle Pressekonferenz gegeben hat. Das war sozusagen der Auftakt für die wöchentlichen Demonstrationen, die dann über Monate hinweg stattfanden.

Diese „Wandertage von Wien“ zeichneten sich dadurch aus, dass sie auf immer neuen, nicht angekündigten Routen durch die Stadt verliefen. Um hierin die Übersicht zu bewahren, hast Du gemeinsam mit anderen Programmierern ein eigenes „Demo-Service“ entwickelt. Wie sah dieses aus und wer konnte das nutzen?
Chris Kummerer:
Das nervige Problem war ja, dass wir eben keine BerufsdemonstrantInnen – wie man uns damals so schön bezeichnet hat – waren und unserer Bürgerpflicht erst nach getaner Arbeit nachkommen konnten. Wenn man sich dann auf den Weg machen wollte, um an der Demo teilzunehmen, dann ist diese zumeist schon wieder dreimal abgebogen und befand sich ganz woanders. Es ist auch vorgekommen, dass der ganze Demonstrationszug plötzlich in die U-Bahn eingestiegen und am anderen Ende der Stadt wieder ausgestiegen ist. Das hat es natürlich nicht einfacher gemacht, die zu erwischen. Und selbst wenn man die Telefonnummer von ein paar Leuten hatte, die gerade auf der Demo waren, war es dort meistens viel zu laut, als dass man verstanden hätte, wo die gerade sind. Mir ist dann die Idee gekommen, dass wenn man den nächsten Treffpunkt aus dem Netz erfahren könnte, man eigentlich eine gute Chance hat, den Demonstrationszug in der nächsten Stunde zu erwischen. Das hat so funktioniert, dass Leute, deren Nummern autorisiert waren, in regelmäßigen Abständen die konkrete Position mit dem nächsten Treffpunkt durchgegeben haben, was man dann auf einer Homepage abrufen konnte. Umgekehrt konnte man eine SMS an eine Email-Adresse schicken und hat dann automatisch eine Nachricht mit der nötigen Information aus dem Netz zurückgeschickt bekommen. Das war programmatisch leicht zu lösen und die Nummern, an die etwas geschickt wurde, wurden sofort gelöscht, damit die nicht den falschen Leuten in die Hände fallen konnten. Das war eine interessante Fingerübung, weil wir auch gar nicht wissen wollten, wer diesen Service nutzt – das konnte natürlich auch die Polizei sein.

Dinge wie diese führten dazu, dass Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vom „letzten Aufbäumen der Internetgeneration“ sprach …
Chris Kummerer:
Das war irrsinnig ungeschickt von ihm, weil er damit dem Ganzen einen erneuten Schub gegeben hat. Er hat da ein völlig falsches Bild bedient, also das Bild von der Internetgeneration, von pickligen und pizzafressenden Nerds, die nicht das nötige Durchhaltevermögen haben, um stundenlang bei Wind und Wetter durch die Stadt zu marschieren. Nein, das hat überhaupt nicht gestimmt! Ich war damals bei wesentlich mehr Demonstrationen als Wolfgang Schüssel, und das wirklich Spannende daran war, wie breit dieser Widerstand angelegt war. Also durch alle Bevölkerungsschichten durch, vom Anzugträger über die besorgte Seniorin bis hin zum Hesse-lesenden Hippie-Mädel. Die alle über einen Kamm zu scheren, war einfach nicht möglich. Dahinter stand wohl eher die totale Überforderung der rechtskonservativen Regierung, die von der Hartnäckigkeit dieser Protestbewegung überrascht war und daher versucht hat, die Leute zu diskreditieren.

Im Fall von Public Netbase haben sich die Konfliktfelder allerdings weiter verschoben: Neben der rechtskonservativen Bundesregierung war es vor allem die sozialdemokratisch regierte Stadt Wien, die in die Kritik der Netzkulturinstitution geriet. Worin bestand diese Kritik?
Chris Kummerer:
Ich denke, die Sozialdemokratie hat in der Netbase solange eine Verbündete gesehen, als sich diese vor allem im Widerstand gegen die rechtskonservative Bundesregierung beteiligt hat. Also nach dem Motto: Der Feind meines Feindes muss auch mein Freund sein. Sie haben aber nicht bedacht, dass die Anliegen, welche die Netbase vertrat, eben wirkliche Anliegen waren, und es eine ganze Multitude an Leuten war, welche die Infrastruktur genutzt hat. Als dann das Mediencamp am Karlsplatz von Public Netbase gemeinsam mit Radio ORANGE, PUBLIC VoiceLab, MALMOE und der IG Kultur Wien errichtet wurde, um gegen die städtische Kultur- und Medienpolitik zu protestieren, war schnell klar, dass auch die Stadt Wien vor Kritik nicht sicher ist. Es ging um die Wiederaneignung öffentlicher Räume, seien diese nun im physischen, digitalen oder elektronischen Raum, und um ihre Öffnung für kritische Kunst- und Kulturpraxen. Für die städtischen Kulturmanager geht es dagegen darum, Dinge zu fördern, die einen unmittelbaren Profit abwerfen. Gleichzeit ist mit dem Antritt der schwarz-blauen Bundesregierung das Damoklesschwert von den Kreativindustrien aufgetaucht, was dazu führte, dass wir es bei den eigentlichen Kunst- und Kulturförderungen nunmehr mit versteckten Wirtschaftsförderungen zu tun haben. Dementsprechend sollen heute KünstlerInnen zu Industriellen werden, damit sie auch ein bisschen was von dem Geld abbekommen. Sinnbild hierfür ist das Quartier21 im MQ, das freilich eine erstklassige Lage besitzt, aber angesichts der konkreten Mieten, die dort zu bezahlen sind, doch weit entfernt von einer echten Förderung für junge Kulturschaffende ist.

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