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Alles bleibt schlimmer

Diese Entwicklung ist natürlich nicht erst vorgestern entstanden. In Wirklichkeit ist das Bildungswesen seit Jahren – um nicht zu sagen Jahrzehnten – in einem ganz furchtbar kränklichen Zustand. Chronisch unterfinanziert, ein unüberschaubarer Verwaltungsapparat, zu wenig Mittel, zu viele Studierende: vor dieser Situation stehen viele universitäre Institute schon seit den frühen 1980er Jahren.

Einblicke in universitäre Um- und Zustände

Du bist Doktorandin an der Uni und schreibst deine Dissertation. Du hast dafür einen Arbeitsplatz mit (funktionierendem) Computer zur Verfügung. Drucker, Telefon und ein Kopiergerät. Problemlosen Zugang zur Bibliothek (auch nachts und an Wochenenden), die Möglichkeit, deine Forschung mit anderen NachwuchswissenschafterInnen zu diskutieren, an einer gemeinsamen Publikation oder einem Forschungsprojekt mitzuarbeiten, und die Chance, die Ergebnisse deiner Arbeit in Lehrveranstaltungen anderen Studierenden zu vermitteln. Das Betreuungsverhältnis ist ausgezeichnet, alle zwei Wochen sitzt du mit deiner Betreuerin und anderen Studierenden gemütlich bei einem Kaffee zusammen, und ihr besprecht eure Arbeit. Ihr seht euch ja ohnehin jeden Tag und arbeitet eng zusammen, ein legerer Zugang ist also durchaus angemessen. Dafür wirst du mit 1.000 Euro im Monat bezahlt.

Nein, ich spreche nicht von einer Eliteuniversität in Amerika. Das UG 2002, das Universitätsorganisationsgesetz aus dem Jahr 2002, das den Aufbau und die Verwaltung der Universitäten regelt, hat dem Rektorat die Autonomie gegeben, für Studierende diese Möglichkeit zu schaffen. Und nicht zuletzt auf der Uni Wien ist das auch ziemlich genau so eingetreten.

Sie sagten: Freut euch...

Die Initiativkollegs – "Exzellenzzentren", wie sie zu Beginn von Seiner Magnifizenz, dem Rektor, irrtümlich aber wahrheitsgetreu betitelt wurden –, bieten einer Handvoll Studierenden die Möglichkeit, genau so zu arbeiten: unter exzellenten Bedingungen. Die sechstausend anderen Doktoratsstudierenden der Universität Wien streiten sich weiterhin um Ressourcen, Seminarplätze, Betreuungskapazitäten und die spärlichen Stipendien und Förderungen die in Österreich zur Verfügung stehen. Die Zweiklassen-Uni ist da. Voilà!

Der aktuelle Bericht zur sozialen Lage der Studierenden 2006 (www.sozialerhebung.at), der alle vier Jahre vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (das in der Form nicht mehr existiert – die Bildung ist jetzt von der Wissenschaft ministeriell getrennt) in Auftrag gegeben wird, sagt, dass 82% der Doktoratsstudierenden "nebenbei" arbeiten. Zwei Drittel geben an, sich das Studium ohne Arbeit nicht leisten zu können. Im Diplomstudium sind es nicht ganz so viele: 60% müssen arbeiten. Auch hier geben zwei Drittel an, vor allem aus niedrigeren sozialen Schichten, dass sie sich das Studium ohne Arbeit nicht leisten können. Immerhin bekommen nur insgesamt 25% der Studierenden ein staatliches Stipendium. Nicht viel im Hinblick darauf, dass bei der Einführung der Studiengebühren von der (damals schwarzblauen) Regierung großmundig ein Ausbau der sozialen Unterstützungen für Studierende verkündet wurde. Frei nach dem Motto "Das Volk hat kein Brot, dann gebt ihm doch Kuchen!" werden Zuwendungen und geförderte Studienplätze verteilt. Dass eine solche Strategie auf Dauer nicht zielführend ist, hat die Geschichte bereits bewiesen.

Diese Entwicklung ist natürlich nicht erst vorgestern entstanden. In Wirklichkeit ist das Bildungswesen seit Jahren – um nicht zu sagen Jahrzehnten – in einem ganz furchtbar kränklichen Zustand. Chronisch unterfinanziert, ein unüberschaubarer Verwaltungsapparat, zu wenig Mittel, zu viele Studierende: vor dieser Situation stehen viele universitäre Institute schon seit den frühen 1980er Jahren. Einer ohnehin schon bettlägerigen Patientin Blutegel anzusetzen, eine Radikaldiät zu verschreiben und die Wangen rosa zu schminken, sind schlimmste Methoden pseudomedizinischer Kurpfuscherei.

Seit der Öffnung der Universitäten in den 1970er Jahren ist die Zahl der Studierenden kontinuierlich angestiegen. Die damaligen Bestrebungen, vor allem auch Kindern aus so genannten "bildungsfernen" Schichten tertiäre Bildung zu ermöglichen, waren nicht unbedingt nur einem progressiven Zeitgeist geschuldet. Wirtschaft und Staat hatten einen erhöhten Bedarf an AkademikerInnen, vor allem in technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen. Der Ausbau des höherbildenden Schulwesens brachte einen erhöhten LehrerInnenbedarf mit sich. Die Bestrebungen, mehr Studierende auf die Universitäten zu bringen, hatten also durchaus auch praktische ökonomische Hintergründe. Allerdings ließen sich die neuen Studierenden nicht unbedingt in die erwünschten Studienrichtungen lenken. Die Zahl der Abschlüsse in technischen Studienrichtungen stieg moderat an, während sich die Zahl der Abschlüsse in den Geistes- und Humanwissenschaften vervielfachte.

In den darauf folgenden Jahrzehnten wurden kontinuierlich soziale Unterstützungen für Studierende wieder abgebaut (Freifahrt in Wien, Telefon- und Rundfunkgebührenbefreiung, etc.) und erneut Hürden eingeführt: Der Anspruch auf Familienbeihilfe wurde vom 27. auf das 25. Lebensjahr herabgesetzt, die Möglichkeit der Mitversicherung bei den Eltern an die Familienbeihilfe gekoppelt – was dazu führt, dass manche Studierende eine Zeit lang überhaupt nicht krankenversichert sind, weil sie das Geld für die Selbstversicherung nicht aufbringen können.

… es hätte schlimmer kommen können

Anstatt sich Strategien zu überlegen, wie die wachsende Zahl an Studierenden auf der Universität untergebracht werden könnte, wurden 2001 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Studiengebühren eingeführt, um eine weitere, diesmal finanziell einschneidendere Zugangshürde zu schaffen: 379 Euro pro Semester. Für Studierende, die nicht aus Österreich, der EU oder EWR kommen, das Doppelte: 742 Euro. Das sind ungefähr 100 bzw. 200 Euro pro Monat. Dazu kommen noch Skripten, Kopien, Bücher, sonstige Materialien, Wohnen, Leben erhalten und ab und zu vielleicht auf ein Bier oder ins Kino gehen.

Vor allem MaturantInnen aus bildungsfernen Schichten (mit Eltern ohne höheren Bildungsabschluss), die an der Universität sowieso schon immer unterrepräsentiert waren, werden mit diesen finanziellen Belastungen weiter von der Universität fern gehalten. Zu diesem Schluss kommt auch die Studie zur Sozialen Lage der Studierenden 2006 (www.sozialerhebung. at). Die geringe Zahl an Stipendien und die kaum verbesserten Studienbedingungen bauen weitere Hürden ein, die oft eine Entscheidung gegen ein Hochschulstudium bewirken.

Die Studienbedingungen haben sich seit Einführung der Studiengebühren und der Neustrukturierung der Universitäten nicht nur nicht verbessert, sie haben sich verschlechtert. Das Wiener Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften, um nur ein Beispiel herauszugreifen, ist seit Jahren unterfinanziert. Die räumliche Situation ist derart schlecht, dass es notwendig ist, Lehrveranstaltungen auch an Wochenenden und bis spät abends abzuhalten. Die Räume des Instituts sind rund um die Uhr belegt. Von der Betreuungssituation ganz zu schweigen. Diese Problematik ist auf der Universität Wien schon lange bekannt. Mit der Einführung der Studiengebühren ging das Versprechen einher, auch die Situation für Studierende zu verbessern. Bislang sind keine Schritte unternommen worden, um das Problem konstruktiv zu lösen. Stattdessen wurden Zugangsbeschränkungen in Form einer Knock-out Prüfung eingeführt, die die Anzahl der Publizistik Studierenden ausdünnen soll.

Die Studierenden sind selbstverständlich entrüstet, fordern die Abschaffung der Zugangsbeschränkungen und mehr Ressourcen vom Institut. Das Institut verteidigt sich und schiebt die Verantwortung dem Rektorat zu, das die Verordnung schließlich erlassen hat. Das Rektorat wiederum beschuldigt die Regierung, die Universitäten mit zuwenig finanziellen Mitteln auszustatten. Und die Regierung sagt: "Was wollt ihr? Ihr seid autonom, wenn ihr mit dem Geld nicht auskommt, ist das euer Problem". So schaut die autonome Universität aus, die von vielen so hoch gelobt wurde. In der betreffenden Verordnung des Rektorats ist zu lesen: "Das Rektorat ist bestrebt, einem starken Zuwachs an Studierenden in den betroffenen Studien entgegenzuwirken [...]"1. Klipp und klar: Wir wollen euch nicht! Gleichzeitig herrscht tiefe universitäre, ministerielle und politische Betroffenheit über die niedrige AkademikerInnenquote, die Österreich von der OECD abermals bescheinigt worden ist.

Und wir freuten uns ...

Glücklicherweise lag die Rettung nah: der Bologna-Prozess! Im Zuge der Angleichung der europäischen Bildungsabschlüsse (ein Prozess, der bereits seit 1998 im Gange ist und versucht, die europäische Bildungslandschaft zu "harmonisieren "2) wird europaweit ein akademischer Zwischenabschluss eingeführt: Das Bakkalaureat ist ein dreijähriges Grundstudium, auf das mit einem Masterstudium aufgebaut werden kann – besser gesagt: aufgebaut werden muss. Denn weder Wirtschaft noch akademische Welt können etwas mit Bakkalaurei oder Bakkalaureas anfangen. Argumentiert wird der Zwischenabschluss mit der europäischen Angleichung des Bildungssystems an das anglo-amerikanische System, um eine bessere Vergleichbarkeit zu schaffen. Ein amerikanischer oder britischer Bakkalaureus ist mit einem österreichischen allerdings immer noch nicht vergleichbar, weil das jeweilige Bildungssystem anders aufgebaut ist. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass Abschlüsse gleich benannt werden. Da ein Bakkalaureat nun als Grundstudium gilt, das laut ÖVP "allen ermöglicht werden soll",3 steht einer Anhebung der Gebühren für Master und Doktorat eigentlich nichts mehr im Wege. Die SPÖ hat in ihrem Bildungsprogramm4 zwar immer noch den offenen Hochschulzugang propagiert und auch eine klare Absage an Studiengebühren niedergeschrieben, doch Papier ist bekanntlich geduldig – und SPÖ-Papier offensichtlich besonders.

Früher, vor dem UG 02, wurden beispielsweise Entscheidungen über den Studienplan in einer Kommission entschieden. Diese war aus allen Mitgliedern des Instituts zusammengesetzt. Das heißt, auch gewählte (!) VertreterInnen der Studierenden waren anwesend und konnten bis zu einem gewissen Grad über die Lehre und über ihr Studium selbst bestimmen. Dadurch wurden Entscheidungen nicht nur demokratisch gefällt, sie waren auch transparent und nachvollziehbar. Sicher war die Gremienarbeit zum Teil langatmig und anstrengend, aber sie war zumindest ein Stück weit demokratisch. Heute sind Einzelpersonen für den Studienplan zuständig. Diese können Teile ihrer Kompetenzen delegieren (z.B. an andere monokratische EntscheidungsträgerInnen) oder sich beraten lassen, wie es ihnen beliebt. Theoretisch könnten alle Entscheidungen über studienrechtliche Angelegenheiten der fünfzehn Fakultäten und drei Zentren der Universität Wien von einer einzelnen Person gefällt werden. Schon recht mächtig, die Position ...

Tatsächlich wird fleißig delegiert und beraten. Wer will sich denn schon allein die ganze Arbeit antun? Eine beratende Funktion ist etwas völlig anderes, als gesetzlich festgelegte Mitbestimmung. Sie ist immer vom Goodwill jener Person abhängig, die zu beraten ist. Selbst wenn ProfessorInnen und StudentInnen sich einig wären ("wären" deshalb, weil das durchaus selten vorkommt) und der Studienprogrammleitung eine Empfehlung aussprechen würden – diese könnte ganz alleine dastehen und trotzdem sagen: Nein, ich mach’s genau umgekehrt. Vielleicht sind dann alle böse auf die betreffende Person und grüßen sie zwei Wochen lang am Gang nicht. Wenn sie das nicht sozial beeindruckt, dann wird sich nichts ändern. Sie darf schließlich alleine entscheiden. Das Gesetz gibt ihr diese Macht, sie muss sich nicht beraten lassen.

... und es kam schlimmer

Dieses System setzt sich an der Uni weiter fort bis an die Spitze. Und dort sitzt der Rektor (meistens ein Mann) mit einem Krönchen auf dem Kopf. Der hat unter sich einen Senat, in dem die ProfessorInnen die Mehrheit haben – wir erinnern uns, die sind sich eher selten einig mit den Studierenden, vor allem wenn es um Prüfungsordnungen, Studierendenrechte oder Ähnliches geht. Über sich hat der Rektor/die Rektorin einen Universitätsrat, der zur Hälfte von externen, vom Ministerium nominierten Personen aus Politik und Wirtschaft besetzt ist. Der Unirat ist das einzige Gremium, dem gegenüber sich der Rektor/die Rektorin verantworten muss. Vom Unirat gewählt, kann er/sie auch wieder abgesetzt werden. Der Unirat entscheidet über den Entwicklungsplan und den Organisationsplan der Universität, entscheidet über die Leistungsvereinbarungen, die die Universität mit dem Ministerium trifft, sogar die Geschäftsordnung des Rektorats wird vom Universitätsrat genehmigt. Der Unirat ist somit die höchste Entscheidungsinstanz an der Universität – der Verwaltungsrat! Faktum ist also, dass momentan externe "ExpertInnen" und ProfessorInnen über die Geschicke der Universität entscheiden. Wie viele davon werden wohl Frauen sein? Nicht, dass die einfache Rechnung "Frau beauftragen = Gleichstellungspolitik" in jedem Fall stimmt. Allerdings sagt es schon etwas über eine Organisation aus – in diesem Fall eine Bildungseinrichtung –, wie viele Frauen an Schlüsselpositionen sitzen. Der Universitätsbericht 2005 stellt fest, dass zwar der Zustrom von Frauen an die Universitäten weiter anhält (ca. 57% der StudienanfängerInnen sind weiblich), nach oben allerdings weiterhin stark abnimmt. 30% der UniversitätsassistentInnen sind Frauen und nur 10% der ProfessorInnen.5 Ohne jetzt mit genauen österreichweiten Zahlen jonglieren zu können, ist es nicht schwer auszurechnen, wie viele Professorinnen durchschnittlich in den universitären Senaten sitzen: Wenige! Im Senat der Uni Wien sind es drei von zehn.

Auch die Zusammensetzung der externen ExpertInnen ist höchst eigenartig. Vielleicht erinnern sich einige an die Diskussionen um Friedrich Stefan, den ministerial entsandten Universitätsrat der Uni Wien. Er ist Mitglied der Burschenschaft Olympia, die vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) als "am weitesten außen rechts stehende Burschenschaft"6 bezeichnet wird. Seiner Ernennung folgten massive Proteste von Studierenden, die leider fruchtlos blieben. Er ist immer noch Unirat. Das DÖW nennt noch weitere fünf Uniräte, die aus dem rechten Lager kommen.7 Vom Ministerium ernannt, sitzen alle in den höchsten Entscheidungsgremien im österreichischen universitären Bildungssystem.

Dies vor Augen wird klar, woher der Wind weht in der Bildungspolitik: scharf von rechts. Nicht dass ich denselben Wind lieber hätte, wenn er von halblinks oder mittig wehen würde. Eine derartige Bildungspolitik ist nicht schön zu färben, egal woher sie kommt. Rechte Uniräte und Zugangsbeschränkungen sind nur i-Tüpfelchen in einem bildungspolitischen Programm, das Bildung nur für eine bestimmte Gesellschaftsschicht zugänglich machen will. Längst notwendige Reformen des Bildungssystems werden seit Jahrzehnten blockiert, während Zugangsbeschränkungen oder Studiengebühren schnell politische Zustimmung finden.8 Da ändert auch die nunmehr wieder rotschwarze Regierung nichts daran. Nämlich weder an den Studiengebühren noch an den Zugangsbeschränkungen noch an den Uniräten. Im Gegenteil: Alles bleibt schlimmer! 

Anmerkungen

1 Mitteilungsblatt der Universität Wien vom 24. September 2007; Nummer 227

2 http://archiv.bmbwk.gv.at/europa/bp/hochschul.xml, abgerufen Oktober 2007

3 Positionen bei der Einführung, September 2000, Elisabeth Gehrer; Wiener Zeitung Online – www.wienerzeitung.at/aktuell/2001/studiengebuehren/ beieinfuehrung.htm; abgerufen Oktober 2007

4 www.spoe.at; abgerufen Oktober 2007

5 Universitätsbericht 2005, Herausgegeben vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

 6 "Umstrittener Unirat Stefan tritt am Rande eines Kommerses auf"; Online Standard am 14. November 2006;http://derstandard.at/?url=/ ?id=1862886; abgerufen Oktober 2007

7 "DÖW nennt neben Stefan fünf weitere umstrittene Uniräte"; Online Standard 13. November 2006; http://derstandard.at/?url=/?id= 1863106; abgerufen Oktober 2007

8 Vergleiche dazu: Erler, Ingolf (Hg.) "Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem"; Mandelbaum Verlag; Wien 2007

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