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Interview mit Marie Ringler

Marie Ringler ist Länderdirektorin und Geschäftsführerin von Ashoka Österreich. Während ihres Studiums der Soziologie und Politikwissenschaften an der Universität Wien war sie von 1994 bis 2000 am Aufbau von Public Netbase beteiligt, von 1998 bis 2000 als Geschäftsführerin. Von 2001 bis 2010 war sie Kultursprecherin der Wiener Grünen und Landtagsabgeordnete in Wien.

Marie Ringler ist Länderdirektorin und Geschäftsführerin von Ashoka Österreich. Während ihres Studiums der Soziologie und Politikwissenschaften an der Universität Wien war sie von 1994 bis 2000 am Aufbau von Public Netbase beteiligt, von 1998 bis 2000 als Geschäftsführerin. Von 2001 bis 2010 war sie Kultursprecherin der Wiener Grünen und Landtagsabgeordnete in Wien.

Du warst ja am Aufbau von Public Netbase beteiligt, als es auch noch die Räumlichkeiten im Wiener MuseumsQuartier (MQ) gab. Wie hast Du diese Anfänge erlebt?
Marie Ringler
: Ich kann mich erinnern, dass ich in die Netbase kam und zum ersten Mal Internet, das damals noch textbasiert war, verwendet habe. Ich war natürlich beeindruckt und habe mir gedacht, das ist was, da möchte ich mitmachen. Wir haben dann im MuseumsQuartier einfach drei Schreibtische mit drei Computern aufgestellt und gesagt, dass man hier das Internet frei nutzen kann – was die Leute dann auch getan haben! Zu Beginn war natürlich alles noch sehr „basic“, weil das Internet selbst ja noch „basic“ war. Diese ungeheure Fülle von Informationen, die man heute daraus ziehen kann, war auch noch gar nicht gegeben; also man hatte das Gefühl, dass man nach fünf Tagen intensiver Beschäftigung schon einen ganz guten Überblick darüber hatte, was so im WorldWideWeb los war. Das war natürlich innerhalb kürzester Zeit nicht mehr so! Schon damals war uns allen klar, dass die neuen Technologien eine ungeheure Relevanz erhalten werden. Eine Email-Adresse zu haben und auch etwas Webspace, um damit künstlerische Projekte realisieren zu können, das war einfach ein wesentlicher Quantensprung und hat auch ein ganz neues Feld in der kulturellen Gestaltung aufgemacht. Nur war das damals eben noch mit der naiven Vorstellung verbunden, dass hieraus auch eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten entstehen könnte. Es gab ja die Vorstellung von geradezu paradiesischen Zuständen, die uns das Internet bringen würde.

Eine dieser Möglichkeiten betraf ja auch die Aneignung digitaler Technologien durch Frauen. Wie kam es für Dich persönlich zu der Thematisierung dessen, was dann als Cyberfeminismus bekannt wurde?
Marie Ringler:
Ich denke, das war von Beginn an ein Thema in den Netzkulturen, die ja größtenteils männlich dominiert waren. Ich habe das auch für mich persönlich als wichtiges Thema wahrgenommen, und so wurde das auch schon früh in der Netbase thematisiert. Das war ein Projekt namens „Dolores Bulimic Breakfast“, wo es darum ging, relevante Strömungen, die damals aufgetaucht sind, zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Da gab es zum Beispiel Sadie Plant oder Rosi Braidotti auf einer theoretischen und philosophischen Ebene, aber auch Leute wie VNS Matrix oder GashGirl, die mehr eine politisch-aktivistische Linie verfolgt haben, oder eben Medienkünstlerinnen wie Linda Dement, die sich dieses neuen Mediums bemächtigt haben, um damit eine zusätzliche Ausdrucksform für ihre Ideen und Themen zu entwickeln. Später, also 1998, gab es mit „Sex, lies & the Internet“ noch eine Veranstaltungsreihe, die sich aus feministischer Sicht mit dem Thema Zensur und Pornografie im Internet beschäftigte und bei der Irene Lavina, die auch ein Teil von „Dolores Bulimic Breakfast“ war, oder Christine Göstl als Clitoressa mitgewirkt haben. Diese Projekte waren in ihrer thematischen und konzeptionellen Ausrichtung zwar international angelegt, aber es waren immer auch Leute dabei, die aus Österreich heraus Beiträge zur Debatte geliefert haben und damit wiederum befruchtend auf die Diskussion in Österreich einwirken konnten.

Nun hat sich der politische Diskurs mit der Wahl der blauschwarzen Bundesregierung in Österreich weit nach rechts verschoben. Gerade die Attacken von Seiten der Freiheitlichen Partei (FPÖ) gegen „sex.net – Sex, lies & the Internet“ können hier als Vorboten auf deren späteren Kulturkampf gesehen werden. War das Teil des Konzepts?
Marie Ringler:
Nein, das war ein totaler Zufall! Wir haben ja immer brav all unsere Einladungen auch an die FPÖ-Abgeordneten geschickt und die haben das dann halt mitbekommen. Die FPÖ hat versucht, einen unglaublichen Skandal daraus zu konstruieren, indem sie der Netbase unterstellt hat, pornografische Inhalte über ihren Server zu verbreiten. Das war zu einer Zeit, als die Freiheitlichen Kunst und Kultur als ein massives Angriffsfeld beackert haben; das war die Zeit der Attacken gegen Peymann und Jelinek, und da sind wir als Angriffsziel gerade recht gekommen. Das war auch Teil einer rechten Gesamtstrategie: Die haben versucht, mit Provokationen Stimmung zu machen, und das ist ihnen schlussendlich wohl auch gelungen. Mit dem Wahlerfolg Ende 1999 und der Regierungsbildung Anfang 2000 setzte dann ein spürbarer Wandel ein. Auch für uns: Bis dahin waren wir immer ein künstlerisches Projekt, also es kam aus dem Herzen der Kunst, und unsere Zielgruppe waren vor allem Kunstund Kulturschaffende. Mit dem Engagement gegen SchwarzBlau sind wir dann sichtbar geworden und waren einfach auch ein gut passender Reibebaum damals, weil man nicht verstanden hat, was wir genau machen. Die FPÖ und auch die ÖVP konnten uns wunderbar als das unbekannte, seltsame Ding instrumentalisieren, für das dann auch die breite Masse keine Sympathien hegen konnte, weil sie gar nicht verstanden hat, was da passiert. Im Nachhinein denke ich, dass wir bei dem, was wir gemacht haben, oft auch den Fehler begangen haben, nicht gut genug zu vermitteln. Wir haben zwar immer wieder versucht zu signalisieren, dass unsere Türen allen offen stehen, aber das ist uns eigentlich nur mäßig gut gelungen. Ich glaube, dass das auch einer der Gründe dafür war, warum wir so ein geeignetes Opfer für Anfeindungen aller Art waren.

Du hast vorhin das utopische Potenzial neuer Medientechnologien angesprochen: Worin bestand dieses aus einer feministischen Perspektive?
Marie Ringler:
Die Idee des Cyberfeminismus war ja nicht zuletzt eine Weiterentwicklung des Feminismus selbst. Es gab damals eine gewisse Unzufriedenheit mit dem klassisch-feministischen Bild, das tendenziell doch sehr lustfeindlich, langweilig und ein bisschen altmodisch dahergekommen ist. Gleichzeitig gab es aber auch das Wissen, dass die Ziele des Feminismus weder erreicht worden sind noch falsch waren. Es war ein Stück weit der Versuch einer Neudefinition, vor allem in Bezug auf die Ansätze und Herangehensweisen, um das Frauen-Thema zu stärken und diesem mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Das utopische Potenzial bestand natürlich auch darin, dass man mit diesen Medien die Frage der Identität neu stellen und damit auch zur Auflösung von Geschlechterrollen beitragen konnte. Es gab ja eine Zeit lang eine intensive Debatte über Cyberidentitäten, also die Möglichkeit, das eigene Menschsein zu rekombinieren und sich im Spiel mit Identitäten neu zu erfinden. Gerade diese Fantasie hat sich 15 Jahre später als eine Illusion herausgestellt. Der Diskurs ist ja nicht nur aus einer politisch-repräsentativen Sicht zurückgedrängt worden, sondern hat sich im Grunde genommen, wenn man Facebook und andere soziale Plattformen betrachtet, in sein genaues Gegenteil verkehrt; also das Gegenteil einer Identitätsauflösung, vielmehr identitätsstärkend, -stiftend und -aufbauend. Aber es gab damals eben die Hoffnung, dass mit den neuen Technologien eine Machtverschiebung zwischen stärkeren und schwächeren Gruppen in der Gesellschaft möglich sein würde; dass der Zugang zu Technologien und Kommunikationsmitteln einen Prozess in Gang setzt, der die Gesellschaft nicht nur demokratisiert, sondern auch die Frage nach den Akteur/innen – im virtuellen, wie im realen Raum – neu stellt. Das war die Hoffnung und die Vorstellung, und viele der Cyberfeministinnen der 1990er Jahre haben auf diesen Ideen aufgebaut.

Was bleibt Deiner Meinung nach von den Hoffnungen und Utopien der 1990er Jahre übrig?
Marie Ringler:
Ich glaube, dass in den letzten 15 Jahren mit Sicherheit gewisse Machtverschiebungen stattgefunden haben, weil sich die Frage, was nun Zentrum und was Peripherie ist, verschoben hat. Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben sich die Wege sozusagen verkleinert, und dadurch ist auch die Welt in vielerlei Hinsicht kleiner geworden. Bei aller Problematik des „digital divide“, der ohne Frage weiterhin besteht, sind diese Technologien heute doch leicht zugänglich und leistbar geworden. Diese Verfügbarkeit hat in der Tendenz schon bestimmte Machtverschiebungen gebracht und ich glaube, dass diese grundsätzlich positive Auswirkungen auf die Welt gehabt haben. Es gibt also einige Aspekte der viel kritisierten Globalisierung, die unserer Sache durchaus genutzt haben. Diese Entwicklung hat ja auch Produktionsmittel enorm verbilligt, obwohl wir noch immer nicht an dem Punkt angelangt sind, von dem wir gehofft haben, dass wir ihn spätestens 1997 erreichen würden, nämlich in einer Situation, in der jede/r sein/ihr eigenes E-Book veröffentlichen kann und das dann genauso millionenmal gelesen wird wie der neue Dan Brown-Thriller. In dieser Fantasie wurde einfach außer Acht gelassen, dass die kapitalistischen Marktmechanismen, wie wir sie kennen, und die Fragen der Aufmerksamkeitsökonomie, wie wir sie damals auch schon diskutiert haben, nicht einfach verschwinden und in einer vernetzten Welt genauso zuschlagen werden. Aber trotzdem haben sich die Produktionsmittel in einer bestimmten Art und Weise verbilligt, und damit sind auch bestimmte Machtverschiebungen eingetreten. Also ja, es hat sich mit den neuen Technologien einiges zum Guten gewendet, aber das Paradies ist damit nicht unbedingt ausgebrochen.

Content type
text
Projects Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa
World-Information Institute
Date 2012
Location Vienna

Tags

Cyberfeminismus digital divide Dolores Bulimic Breakfast Aufmerksamkeitsökonomie Sadie Plant VNS Matrix Christina Göstl
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