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Kunstförderung ist viel

Wie von Geisterhand verschwinden Öffentlichkeit und Verkehrsformen wie sie vor ein paar Jahren noch selbstverständlich waren. Publikumsdiskussionen mit Kulturverantwortlichen, die über Selbstdarstellungsauftritte hinausgehen, finden kaum mehr statt, ohne daß das jemandem sonderlich aufgefallen wäre. Dafür mehren sich die Empfänge zu Repräsentationszwecken, was der noch vorhandenen diskussionswilligen Restöffentlichkeit auch nicht auffällt, weil sie dort nicht hingeht.

Vollkommen ironiefrei teilte die italienische Bar "L'ombra" am Lugeck 7 in der Wiener Innenstadt im Spätsommer 2007 auf einer Tafel, auf der üblicherweise Tagesangebote oder Lokalspezialitäten zu finden sind, Passanten und seinen Gästen folgendes mit: "Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß über Initiative der ÖVP Innere Stadt, nach dem Plan der Stadt Wien, der Lugeck-Platz neu gestaltet wird und wir einen schönen Gastgarten bekommen - wir wollen ihn bequem und naturnah gestalten - nicht zu viele Tische, viele Blumen und Grünpflanzen. Im Winter ist der Garten wieder weg und der Platz gehört dann wieder den Bürgern alleine. Vom Reinerlös des Gartengeschäftes werden wir eine Spende öffentlich an die Sankt Anna Kinderkrebsforschung überweisen."

Was ist passiert, wenn ein ganz und gar nicht anrüchiges Lokal wegen ein paar Sesseln und Tischen vor dem Lokal meint, sich in aller Öffentlichkeit bei einer Bezirkspartei dafür bedanken zu müssen, es die naturnahe Gestaltung eines komplett asphaltierten und gepflasterten Platzes verspricht, sich bei den Bürgern für dessen zeitweilige Inanspruchnahme entschuldigt und einen Obolus zur Wiedergutmachung durch eine karitative Spende leisten will?

Das österreichische daran ist, daß es sich ganz offensichtlich um einen Rückfall in die Kunst der Liebdienerei handelt, auf der anderen Seite geht es um mehrere zugleich angesprochene Konflikte, in denen keine der Positionen mehr vorbehaltlos als integer vorauszusetzen ist. Die Eventfraktion vertritt das Unterhaltungsrecht, die Brauchtumsverfechter vertreten ihre Beharrungspositionen, die internationalen Markenketten bieten in allen Innenstädten dasselbe an und das kaufkräftige Publikum soll sich an einem breitgefächerten Angebot an stillbaren Konsumbedürfnissen abarbeiten, ohne daß das eine Konsumangebot das andere stört. Selbstverständlich nicht ohne dabei an die Umwelt und an die Ärmsten der Armen zu denken und mit einem Beitrag zu einer Spendenaktion da und einer anderen dort auch noch das eine oder andere Gute zu tun wie z.B. durch Glühweintrinken, um den dauerhaft reparaturbedürftigen Wiener Stephansdom und den Standort Wien zu erhalten.

Von ein paar Ausreißern abgesehen, existiert nur noch eine einzige Vorstellung, wie regiert werden kann, gesellschaftlicher Reichtum entsteht durch individuelle Bereicherung. Das zeigt sich auch in Diktaturen nicht anders, nur daß sich der gesellschaftliche Reichtum auf zumeist noch weniger Beteiligte verteilt. Auf Literatur bezogen heißt das, der Bestseller erledigt das Buchgeschäft, auf Kunst bezogen, der private Sammler vergrößert seinen Sammlungsreichtum durch die Einrichtung von allgemein zugänglichen Privatsammlungen mit Hilfe staatlicher Unterstützungen, und auf den Film bezogen, die Filmproduzenten verlangen immer weiter nach der dringend notwendigen Stärkung der Filmwirtschaft durch Bereitstellung von noch mehr Subventionsmitteln zur Herstellung kommerziell erfolgreicher Filme.

Industriedesign und Werbeästhetik ersetzen Kunst und Literatur, Lebensstile Haltungen und Kultivierungen den kulturellen Ausdruck, so oder so ähnlich haben sich fast alle Ansprüche an die als eigenständiges politisches Terrain vorerst überhaupt für beendet erklärte Kulturpolitik und später als von Gesellschaftspolitik freier Arbeitsbereich in den von der FPÖ und ihren Kulturkämpfen beeinflußten letzten zehn bis fünfzehn Regierungsjahren herausgestellt.

Die entscheidenden einschneidenden Schritte blieben, kurz vor einer möglichen, durch ein Weißbuch zur Reform der Kulturpolitik eingeleiteten Kurskorrektur des bis dahin letzten SPÖ-dominierten Kabinetts - mit einem vom Kunstminister zum Kunststaatssekretär heruntergekommenen obersten Vertreter der Interessen der Kunst in der Regierung -, dennoch den beiden schwarz-blauen Regierungsperioden von 2000 bis 2006 vorbehalten. Zunächst durch eine 10prozentige Kürzung der Kunstförderungsausgaben, die erste Kürzung überhaupt in der bis dahin fast 30jährigen Geschichte der Kunstförderung, die mit einer neuerlichen rund fünfprozentigen Kürzung im darauffolgenden Jahr "nachgebessert" wurde. Dann durch den sogenannten "Paradigmenwechsel" und durch die angebliche Notwendigkeit der "Verbesserung von Rahmenbedingungen", oder anders ausgedrückt, durch den Entzug von künstlerischer, kultureller und medialer Öffentlichkeit.

Die Folgen sollten bekannt sein. Der Österreichische Bundesverlag wurde an einen deutschen Schulbuchkonzern verkauft und seine Publikumsverlage Residenz, Deuticke und Brandstätter in alle Windrichtungen zerstreut, die veräußerbaren österreichischen Kulturinstitute in aller Welt wurden abgestoßen und an ihrer Stelle diplomatische Kulturdienste (Kulturforen) bei den Botschaften eingerichtet, dem ORF wurde ein neues Gesetz zur Seite gestellt, das ihm endlich die Verpflichtung zur Gestaltung und Sendung von Kunst- und Kulturprogrammen erließ, und durch die Fortschreibung der Kürzungen des Kunstförderungsbudgets bis vorläufig 2008 ist der Kunst inzwischen mehr als ein ganzes Jahresbudget und sind dem kulturellen Leben zahlreiche Grundlagen und ein paar ihrer konfrontationsfreudigsten Einrichtungen und damit Kanten und Ecken, Spitzen und Schärfen verloren gegangen.

Weniger aufgefallen ist, wie nachhaltig sich diese Einschnitte auf den Stellenwert von Kunst und Kultur innerhalb der Gesellschaft ausgewirkt haben. Es hat zwar niemand, auch nicht die restriktive Politik zwischen 2000 und 2006, die Kunst und Kultur in ihre Bittstellerrolle der 1950er und 1960er Jahre zurückdrängen können, ihre über Proteste gegen diese Art von Politik hinausgehende gesellschaftliche Wirkung hat sie in diesen Jahren aber allemal eingebüßt. Niemand will die Künstler als politische Akteure im gesellschaftlichen Leben zurück, nicht einmal die Künstler selbst sehen sich in dieser Rolle, sondern begnügen sich mit dem Erfolg von Wortspenden zu allem und jedem gerade Aktuellen und gleich wieder Vergessenen bis zum nächsten Anlaßfall, zu dem die nächste Kommentarmöglichkeit besteht, zu häufig immer klatschhafteren Themenstellungen wie beispielsweise ob der/die letzte Nobelpreisträger/in für Literatur den Nobelpreis zu Recht erhalten hat oder ob nicht jemand anderer den Nobelpreis eher bekommen hätte sollen.

Nicht so generell und genauer betrachtet zeigt sich das ganze Desaster. Die meisten Kultureinrichtungen haben überlebt, mitunter als nur noch vor sich hin staubende Büros, die meisten Künstler ebenso, häufig verarmt. Die Kürzungen haben in erster Linie nicht die Fixkosten getroffen, sondern die variableren Ausgabenteile wie vor allem die für Öffentlichkeitsarbeit und für die Programmgestaltung. Ebenso wie die Programme geschwunden sind, haben sich die Veranstalter auf Marktmagneten konzentriert und verlassen müssen, auf Zusatzeffekte, auf Hausbindungen wie z.B. durch die Gestaltung von Literaturprogrammen und Late-Night-Terminen in Theatern und auf die mediale Vermarktbarkeit und Verkaufbarkeit gegenüber einem Publikum. Das führt zur paradoxen Situation, daß bei zugleich immer weniger Programmen immer mehr Programme zu finden sind, nur nicht bezahlt und in der übermächtigen Konkurrenz von Stars aller Art auf Durchreise. Wer sich nicht als Marke vermarkten läßt, erhält keine Aufträge mehr und verdient das zum Überleben Notwendige weder durch Medienmitarbeit noch durch Auftritte. Mit der Folge einer Entprofessionalisierung der künstlerischen Arbeit einerseits und der Überführung in die Marktkunst andererseits.

Und das drängt die Künstler zurück in eine zumeist noch stärkere Abhängigkeit vom Staat, der als einzig möglicher nennenswerter Geldgeber übrigbleibt. Als allerdings keiner, mit dem man Geschäfte machen kann. Geld gibt es nur, wenn man bei ihm um Unterstützungen für seine Arbeit ansucht und wenn einem diese Unterstützung bewilligt wird. Genau diese Umverteilung von den Institutionen zu den Künstlern und zudem von den Wiener Einrichtungen zu Einrichtungen in den Bundesländern sollte die kulturpolitische Arbeit der schwarz-blauen Regierung kennzeichnen. Den Zahlen nach ist es nie dazu gekommen. Das Geld ist bei den einen verschwunden und bei den anderen nie eingetroffen.

Die beiden bedeutendsten Faktoren für den Aufstieg der zeitgenössischen Kunst und die Entwicklung der Kunstförderung in Österreich ab den 1970er Jahren stellten die programmatischen Erklärungen auf Partei- und Regierungsebene sowie die personelle Vertretung kultureller Themen innerhalb der Regierungen dar. So war es für aufstiegswillige SPÖ-Politiker nahezu unmöglich, nicht Kulturpolitiker zu sein, und ebenso gaben sich selbst die kulturellen Konzepte der oppositionellen ÖVP in diesen Jahren als radikale Absagen an alles Althergebrachte. Nicht erst die Auslagerung der Kunstverwaltung aus der Ministerhoheit in die Zuständigkeit eines von den Kanzleramtsinteressen abhängigen Staatssekretärs, der sogenannten "Chefsache Kunst", im Jahr 1997 leitete den Abstieg in den personellen Zuständigkeiten ein. Schon 1994 mit der Mitübersiedlung der Kunst mit dem damaligen Minister Rudolf Scholten ins Verkehrsressort ist der Kunst die gleichwertige Vertretung mit anderen Ressorts im Ministerrat abhanden gekommen. Ein weiterer Rückzug erfolgte 1999 mit der Vergabe des parlamentarischen Kulturausschußvorsitzes an die Freiheitliche Partei Österreichs, bis schließlich die personelle Vertretung der Kunst auf Bundesebene endgültig auf einen überhaupt nicht mehr an der Materie interessierten Bundeskanzler mit einem überwiegend mit der Kunst nebenbeschäftigten Kunst- und Medien-Staatssekretär mit noch weniger Geld für die Kunst und noch weniger gesetzlichen Initiativen für Kunst- und Kulturangelegenheiten als bei ihren Vorgängern zusammenschrumpfte.

Als Belege dafür sind die Regierungsübereinkommen der Jahre 2000 bis 2003 und 2003 bis 2006 erhalten geblieben. In diesen Regierungsübereinkommen taucht so gut wie nichts mehr auf, das nach kultureller Ambition klingt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Die bereits aus den Jahren vor 2000 übernommene Planung einer Künstlersozialversicherung sollte 2000 bis 2003 zu einem entsprechenden Gesetz führen, herausgekommen ist eine Künstlersozialversicherungszuschußregelung, die 2003 bis 2006 unangetastet geblieben ist und die fast genau so lang, wie sie besteht, ganze 5 Jahre lang, in der aktuellen Gesetzgebungsperiode "evaluiert", also auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden soll, obwohl sich ihre Untauglichkeit anhand der Praxis schon längst erwiesen hat. Jeder über diese Tauglichkeitsprüfung des Untauglichen, um dessen Tauglichkeit zu beweisen, hinausgehender Handlungsbedarf wird mit dem Hinweis auf Koalitionstreue so lange weitergeschoben, bis sich die für ausgenommen die Betroffenen niemand mehr interessante Angelegenheit von selbst erledigt.

Wie von Geisterhand verschwinden Öffentlichkeit und Verkehrsformen wie sie vor ein paar Jahren noch selbstverständlich waren. Publikumsdiskussionen mit Kulturverantwortlichen, die über Selbstdarstellungsauftritte hinausgehen, finden kaum mehr statt, ohne daß das jemandem sonderlich aufgefallen wäre. Dafür mehren sich die Empfänge zu Repräsentationszwecken, was der noch vorhandenen diskussionswilligen Restöffentlichkeit auch nicht auffällt, weil sie dort nicht hingeht. Wenn überhaupt, ereignen sich Diskurse in Abreaktionsmails an Medienforen oder in Mailinglisten, die den Charakter von Cluböffentlichkeiten oder von Hinterzimmer- und Stammtischressentiments in Wirtshäusern haben. Und selbst diese Art von interner Öffentlichkeit hat sich die Regierungspolitik längst zueigen gemacht. Einladungen zur Diskussion von Gesetzesvorhaben im Bereich der Kunst, Kultur und Medien beispielsweise wurden überwiegend via Internetpräsenz "ausgesprochen" und Einbeziehungen in gesetzliche Begutachtungen fanden immer seltener den Weg zu den Betroffenen.

Es ist daher nur konsequent, wenn sich keine einzige Forderung aus der Kunst- und Kulturszene im aktuellen Regierungsprogramm wiederfindet und sich in absehbarer Zeit nicht das geringste an den Verhältnissen zugunsten der Künstler ändern wird, sondern ein Regierungsprogramm der Fortschreibungen auch in den ersten nicht mehr schwarz-blauen Jahren für den konsequenten Rückbau der gesellschaftlichen Aufbruchsentwicklung in Österreich - mit ihren kulturpolitischen Neuerungen in den 1970er Jahren, den kulturellen Institutionalisierungen in den 1980er Jahren und den kulturellen Regionalisierungen in den 1990er Jahren - sorgt.

Wie, wodurch und wann sich diese Entwicklung wieder umkehren läßt, ist derzeit nicht auszumachen. Jedenfalls sicher nicht dadurch, daß sich der Kultursprecher des Regierungspartners und die Kultursprecher der Oppositionsparteien um die Wette freuen, wenn es der - nach 9 Jahren Kunst-Chefsachenverwaltung - für Unterricht, Kunst und Kultur zuständigen Ministerin wieder einmal nicht gelingt, sich gegen die Interessen so gut wie aller anderen Parlamentsparteien durchzusetzen.

Content type
text
Projects Kampfzonen in Kunst und Medien
World-Information Institute
Texte zur Zukunft der Kulturpolitik
Date 2008
Location Vienna

Tags

Kulturpolitik Fernsehen Sozialversicherung Bundesminister Medien Öffentlich-Rechtlich Kulturökonomie Prekär Medienpolitik Kunst Öffentlichkeit Kunstförderung Künstlersozialversicherung Wien Österreich ORF ÖVP FPÖ SPÖ ORF Rudolf Scholten Gerhard Ruiss
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