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Parapolitik und zwingende Logik - Unsichtbare Ökonomien des Normativen

In einer Welt des immateriellen Zwangs ist die Instrumentalisierung von Subjektivität nicht nur das neue Businessmodel der Wirtschaft, sondern auch Mittel der politischen Gestaltung. Während Sachpolitik von einem Schatz alter und neuer Mythen besessen scheint, liegt gesellschaftliche Steuerung zunehmend im Terrain der Imagination.

In einer Welt des immateriellen sanften Zwangs besitzt Herrschaft weniger physikalische Präsenz als Wirkungsmacht über Transaktionen und Transformation. Diese Macht wirkt wie eine übersinnliche Kraft, die in sozialen Gemeinschaften spukt. Menschen waren immer schon an eine individuelle und kollektive Vergangenheit gekettet, deren Gespenster ihre Gegenwart dominieren. Insbesondere heutige Real- und Sachpolitik ist besessen von einem Schatz alter und neuer Mythen und einer zwingenden Logik von Glaubensregeln. Instrumentalisierung von Subjektivität ist nicht nur das neue Businessmodell der Wirtschaft, sondern auch Mittel der politischen Gestaltung. Gesellschaftliche Steuerung liegt zunehmend im Terrain der Imagination.

Das breite Spektrum normativer Mechanismen, die vielgestaltig ineinandergreifen, reicht von der klassischen "Soft Power " der Meinungsbildung und kulturellen Überzeugungsmacht, verstärkt durch die digitalen Netze heutiger Desinformationsgesellschaften, bis zu einer diffusen Übertragung informeller Spielregeln und instrumentalisiertem Gruppendruck. Von der Internalisierung moderner ökonomischer Legenden, der Wahrnehmungssteuerung durch flexible Assemblagen von Macht, und die unsichtbare Ausschlusswirkung mediatisierter sozialer Beziehungen bis hin zur unfreiwilligen Eingemeindung identitätsstiftender Lifestyle-Segmente. Der sanfte Zwang parapolitischer Kontrollsysteme bildet einen unsichtbaren Käfig der Vorstellungswelt. Die im postmodernen Diskurs vorausgesetzte Undenkbarkeit, diesem unsichtbaren und adaptiven Käfig zu entkommen, erfordert eine Radikalität des Denkens und neue Strategien des scheinbar Unmöglichen.

Herrschaft des Sachzwangs

Wenn Politiker herausgefordert werden, dann verweisen sie gerne auf die "Globalisierung", um zu erklären, dass Entscheidungen nicht mehr in ihren Händen liegen. Sie sind gewissermaßen nur mehr Elementarteilchen in verselbstständigten Prozessen, die sie nicht mehr steuern können, sondern von denen sie gesteuert werden. Diese Selbstaufgabe der Politik und der Verzicht auf politische Ideen beruht scheinbar auf einer Verschwörung und einer orchestralen Tücke des Objekts, wo Entscheidungen ausschließlich durch Sachzwang bestimmt sind. Nur Sachzwänge, meist ökonomischer Natur, bestimmen Reformen.

Kapitalistische Ideologien artikulierten sich zunächst auf Grundlage universeller Rationalität. Die politische Logik des Liberalismus erfordert Regierung und Kontrolle über Distanz die durch indirekte Regulierung und den instrumentellen Gebrauch von Vernunft innerhalb einer spezifischen Art von Rationalität ausgeübt wird. Vor allem die Mittelschicht, als Puffer zwischen den Eliten und den vermeintlich irrationalen und von Drama und Emotionen getriebenen Massen, wird durch diese Ratio gelenkt. Rational-Choice Theorie präsentierte sich lange als dominanter Rahmen für die Analyse und Modellierung sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhaltens. Deren grobe Vereinfachungen, idealisierte Bedingungen und das Ausblenden von Ungewissheit erwiesen sich für komplexe Zusammenhänge als nutzlos, doch ihre illusorische Klarheit zieht weiterhin fromme AnhängerInnen an. So wie der fromme Glaube, dass der Markt spontan funktioniert, obwohl er immer geschaffen ist. Auf wundersame Weise würde der Markt "die Wahrheit" verkünden, weil mit rationalen AkteurInnen in effizienten Märkten der aktuelle Preis einer Ware oder Leistung immer richtig wäre. Die fantastische Idee, dass Märkte zu den Menschen sprechen und dass finanzielle Transaktionen etwas darüber sagen, wie die Welt wirklich ist, erscheint wie das Lesen in Eingeweiden oder Cephalomantie, die Wahrsagerei durch einen Eselskopf.

 Weltbilder und die Ordnung des Wissens

Der Erfolg harter neoliberaler Machtpolitik sollte nicht mit analytischer Intelligenz verwechselt werden, vielmehr hat die Logik des Systems ihre AkteurInnen gefunden. Es bleibt dennoch erstaunlich, wie leicht es gelang, fast allen westlichen "aufgeklärten" Gesellschaften einen neoliberalen Totalitarismus der "Mitte" zu verkaufen. Im Gegensatz zu der dominanten Ideologie von Individualität ist fast das gesamte politische Spektrum konformistisch – und der Rest Gegenstand staatlicher Polizeibeobachtung. Konsumgesellschaften züchten konforme Individualität, jeder und jede im eigenen schrumpfenden Marktsegment. Aber wie war es möglich, dass diese Logik fast das gesamte demokratische Spektrum unterworfen hat? Wie kommt es, dass Gesellschaften mit den höchsten Bildungsstandards aller Zeiten von einigen wenigen dubiosen Prinzipien geregelt werden die einer kritischen Prüfung nicht standhalten können?

Zur Rechtfertigung der Dominanz einer herrschenden Gruppe braucht es beschreibende Darstellungen der Realität, die plausibel genug sind, um Glauben machen zu können. Traditionell entwickeln die oberen sozialen Schichten religiöse Vorstellungen, um Ungleichheit zu rechtfertigen und ihre Vorteile als "natürliche Ordnung" erscheinen zu lassen. Damit legitimieren Kleptokratien den Transfer von Reichtum zu selbsternannten Eliten. (Neo‑)Liberalismus, das synkretistische Glaubenssystem der Eliten, glaubt an Gott gegebenen Hunger für die Armen, den Jihad gegen die Habenichtse und die Selbstbereicherung der Reichen als Naturgesetz. Religion ersetzte mittlerweile Wissenschaft und instrumentelle Rationalität, um einen Rahmen raum-zeitlicher Ordnung anzubieten. Ihre VertreterInnen übernahmen die Aufgabe, Wahrheit zu verkünden und ein Bild der Welt zu projizieren. Weltbilder definieren Werte in Bezug darauf, "das Richtige zu tun", und beantworten Fragen wie: "Was sollte getan werden?" In der Klassifizierung und Kategorisierung von Wissen werden diese Weltbilder verfestigt und eingefroren. Archive des Wissens sind nicht nur ein Aufbewahrungsort von Datensätzen, sondern mehr noch ein System, um Menschen kategoriekonform und kooperativ zu halten. Sie bestimmen, was ausgedrückt werden kann, und ihre Kraft liegt in einer unsichtbaren Ausschlusswirkung.

Neue Mythen und alte Legenden

Konstitutionelle Mythen erschaffen eine Kultur, in der sie geglaubt werden. Ökonomische Weltbilder produzieren Modelle, und die ihr zugrunde liegende Methodik und Mathematik schaffen die Wirklichkeiten, die sie repräsentieren. Zahlen sind immer gut für die Herstellung politischer Argumente, und wer keine hat, muss sie erfinden. Wenn etwas erst einen Namen hat, kann es auch kontrolliert, finanziert oder erforscht werden und sich in politische Realität verwandeln. Fortgeschrittene Methoden der Bilanzierung und doppelten Buchführung, die ersten datenverarbeitenden Systeme als Maschinen für die Berechnung der Welt, waren Vorläufer kosmologischer Systeme mechanischen Denkens. Heute werden elaborierte Buchhaltungsmethoden zur Schaffung künstlicher Parallel-Finanzwelten genutzt. Damit steht moderne Finanzwirtschaft und Wirtschaftsnumerologie in der Tradition einer heiligen Geometrie der Himmelsmechanik, des Mysterium Cosmographicum einer transzendenten Mathematik und einer platonischen Vereinfachung der Welt.

Darwinsche Ideen wurden ein politisches Instrument zur Etablierung des Mythos vom Recht des "Stärkeren". Die Erklärung des lebendigen Universums als Überleben der Eigennützigsten, eine Entwicklung von interdependenten Systemen, wo nur Zufall und Wettbewerb, nicht aber Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe berücksichtigt sind, ist als Wissenschaft getarnte Ideologie. Reduktive Analysen und versimpelte Vorstellungen von vorprogrammierter genetischer Software glauben darin die Immanenz der göttlichen Vorsehung zu erkennen. Soziobiologische Legenden und pseudowissenschaftliche Mythen über "egoistische" Gene verbreiten eine düstere Philosophie individueller Fitness und unterdrücken jegliche Perspektive, die sozialen Einfluss und eine lebende Interaktion mit der Umwelt einbezieht. Dementsprechend wird im Gegenzug zur Verschlankung sozialer Leistungen ein Fitness-Programm für die Zivilgesellschaft eingerichtet. Verantwortung bedeutet dann, dass ein Versagen politischer Gemeinschaften ausschließlich auf das Individuum und nicht auf das soziale Umfeld zurückfällt. Dominierende Klassen untermauern ihre Stellung mit Appellen an hehre Prinzipien, denen zufolge Dissens nicht nur ein Verbrechen gegen den Staat, sondern gegen die Menschlichkeit ist. Die Identifikation des Opfers mit dem/der AggressorIn nutzend, geben sich die MachthaberInnen gerne der Täuschung hin, dass ihre eigenen Interessen mit denen der Menschheit übereinstimmen, während ihre Untergebenen angeleitet werden, ihre Ausbeutung und materielle Deprivation mit einem Gefühl persönlicher Schuld zu erleben.

Das Geheimnis des Erfolgs und seine Bewertung

Im Gegensatz zu den PatrizierInnen der Antike oder der Feudalaristokratie des Mittelalters ist Autorität heute weniger durch einen metaphysischen sozialen Status oder eine Hierarchie von Vorfahren, sondern durch aktive Leistung und Erfolg legitimiert. Der reformatorische Gott segnet die Arbeit der Seinen durch den Erfolg. Im Wettbewerb ist es notwendig, Erfolg zu objektivieren und vergleichbar zu machen. Dabei geht es weniger um Leistung, sondern um die Darstellung, um eine Art Bühnenaufführung für bestimmte Zielgruppen. Auch wissenschaftlicher Erfolg bezieht sich nicht mehr auf praktische Lösungen, unerklärte Phänomene oder die Sammlung und Weitergabe von Wissen. Es geht vielmehr um Textmaterial, das Eingang in Publikationen mit hoher Wirkung in Zitat-Registern findet. Mit dem Rückzug des neuen Klerus in die Kategorisierung und Klassifizierung von Trivia löst sich Relevanz im feierlichen Pathos von Rollenspielen auf. Erfolg ist nicht mehr an Leistung gekoppelt, sondern an die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erlangen, um Performanz als Selbstdarstellung und Distinktionsgewinn. Diese dunklen Geheimnisse des Erfolgs stehen allerdings im Gegensatz zu einem vermeintlichen moralischen Hintergrund und erschüttern die oftmals damit verknüpften ethischen Vorstellungen. Assessment Center der Wirtschaft testen die performativen Fähigkeiten von Menschen die sich selbst und ihren Lebensstil zu einem unternehmerischen Erfolgsprojekt machen sollen. Die historische Bedeutung eines "Projekts", der Prozess um aus einer Idee Gewinn zu machen, war vor allem auch mit seinem Scheitern verbunden. Erfolg verlangt jedenfalls zunehmend nach einer Unzahl von professionellen ExpertInnen, wo Beratung Abhängigkeit und Fremdbestimmung mit dem autonomen Subjekt verbindet. Diese explodierende Zunahme des Beratungswesens ist allerdings paradox, weil es darin bestärken soll, eigene Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig aus selbstreferentiellen Schleifen und Defiziten individueller Orientierung auszubrechen.

Privatisierung des Scheiterns und schlechte VerliererInnen

Die Privatisierung von Profiten aus öffentlichen Gütern, wie z.B. in der Hightech-Wirtschaft, und die Vergesellschaftung von Verlusten, wie zuletzt in der Finanzkrise, werden ergänzt durch eine Individualisierung des Misserfolgs. Objektivierung von Leistung erfolgt über den Markt, der bekanntlich seine eigenen wundersamen Wege geht. In Marktwirtschaften ist der Wert des Erfolgs jedenfalls immer relativ. Erfolgreich ist UnternehmerInnentum nur im Vergleich. Wenn alle gleich schlau sind, dann ist es niemand. Erfolg wird trivial, entwertet sich selbst, und im inflationären Erfolgswettbewerb ist vor allem das Scheitern endemisch. Das Marktregime des Individualismus erfordert nicht nur einen tiefen Glauben an das Konzept von Erfolg sondern auch die quälende Notwendigkeit, in ständigen Unvorhersehbarkeiten und örtlichen und sozialen Abhängigkeiten rückwirkend einen rationalen Pfad zu imaginieren. Eine komplexe Re-Interpretationsleistung, wo Erfolg auf Selbstbestimmung, Versagen hingegen auf widrige Umstände zurückführbar sein muss. Neue Managementmethoden kommandieren Untergebene nicht mehr herum, sondern binden sie in subtilere Steuerungshierarchien ein, wo eine opake Diffusion von Verantwortlichkeit sanfte Unterwerfung ermöglicht. Wenn es so aussieht, als ob jede/r nach den gleichen Regeln spielt, die Karten aber gegen die VerliererInnen ausgeteilt sind, müssen die SpielerInnen es als persönliches Versagen auffassen. Ohne eine klare Instanz um Erfahrung von Schuldbewusstsein abwälzen zu können, verwandelt sich eine verinnerlichte Idee von grandiosen Chancen, die angeblich allen offen stehen würden, in eine Überschätzung eigener Möglichkeiten und Fähigkeiten. Selektive Realisierung von Möglichkeiten ist ein Anziehungspunkt für viele, aber wer in diesem Spiel des "survival of the fittest" verliert, ist dem vollen Gewicht der Verantwortung für individuelles Versagen überlassen. Es mag diffuse Ressentiments in Bezug auf mögliche Manipulation geben – und den Verdacht auf Verstöße, die auf den eigenen Hoffnungen basieren, dass die Regeln sich biegen lassen. Es ist der größte Erfolg einer Kontrollinstanz, die Illusion zu schaffen, dass Manipulation gar nicht vorhanden sein kann. Dann kommt niemand auf die Idee, neue Spielregeln zu fordern.

Globale Segmentierung und statistische Datenkörper

Vielschichtig ausdifferenzierte Steuerungsmechanismen führten zu einer Verlagerung von sozialer Disziplinierung und Eingrenzung hin zu einer Kontrolle von Mobilität, Bewegung und Austausch. Statt der Durchsetzung strikter Normen strukturieren indirekte Formen der Steuerung das Feld der Möglichkeiten und diese Modulation des Verhaltens ermöglicht größere Flexibilität gegenüber Differenz. Die "autoritäre Persönlichkeit" ist längst nicht mehr die prototypische Figur des mythischen homo oeconomicus. Werbetreibende haben an den rational gewinnmaximiert Handelnden nie geglaubt. Im Gegensatz zu Vorstellung von menschlichen Rechenmaschinen, wie sie John von Neumann und einflussreiche Zirkel paranoider SpieltheoretikerInnen verfochten, funktionieren Menschen nicht nach Logik-Optimierung und haben eine Romanze mit der Mehrdeutigkeit. Liberalistische Auffassungen vom Primat rationalen Eigeninteresses sind einem ganzheitlicheren Konzept sozialer Kontrolle gewichen, das über den Arbeitsplatz hinaus Bewegung kanalisiert und tief im persönlichen Leben irrationale Instinkte anspricht. Die Gouvernementalität westlicher Konsumdemokratien zielt auf eine intime statistische Kenntnis des Datenkörpers, um das Verhalten von Bevölkerungen innerhalb eines kontrollierbaren Rahmens zu erfassen, Verhaltensweisen vorherzusagen und Kontrollstrategien anpassen zu können, bevor Disziplinarmaßnahmen notwendig werden. Während die Differenzierung von Konsumgewohnheiten sozialen Zusammenhalt schwächen kann, bietet die sozionische Auswertung von Datenströmen und segmentspezifischen Analyse-Techniken insgesamt höhere Berechenbarkeit. In VerbraucherInnen-Demokratien sind Umfragen und statistische Analysen Methoden, um individuelle Interessen gegen das Gemeinwohl auszuspielen. Meinung wird aus instrumentalisierten Daten statistischer Erhebungen gebildet und basiert auf demographischen Werkzeugen, die fragmentierte Öffentlichkeit teilen und beherrschen.

Quasipolitische Steuerung und flexible Normalisierung

Gesellschaften organisieren ihre Mitglieder mittlerweile als selbst regulierende AkteurInnen in den lnteraktionsritualen sozialer Begegnungen. Starre Kategorien des klassisch Normativen wurden durch flexible Normalisierung ersetzt und an ein konkurrierendes Verhalten der Effizienzsteigerung gekoppelt. Neue Formen der Gouvernmentalität beinhalten quasi-juridische Mediation und zivilgesellschaftliche Verträge nach dem Muster rationalen Selbstmanagements. Allerdings in struktureller Unterwerfung unter die eingebettete Logik einer ubiquitären Kontrolltechnologie und die Parameter pseudowissenschaftlicher Bewertungssysteme. Gleichzeitig begünstigt die neue Kultur des unternehmerischen Accountings auf Basis von zweifelhaften Kriterien die Herausbildung spezifischer Betrugsformen. Während Linke Empowerment fordern, um politischen Widerstand zu ermöglichen, hoffen Konservative auf Stärkung der Familie, Nachbarschaft und Gemeinschaftsbindung, um die Kluft zwischen Individuum und Staat zu überbrücken. Gleichzeitig nehmen Liberale Selbstermächtigung als Mittel zur Befriedung von Konflikten wahr, um rationale nichtstaatliche AkteurInnen zu fördern. Eine diffuse Praxis, wo das Versprechen auf eine Teilhabe an Macht niemals eingelöst wird. Herkömmliche Schemata, wo die Triebe der in aufwändige Verhaltensregeln und Dekorum eingebundenen "menschlichen Bestie" unter dem Vorwand des Eigennutzes auf sozial markierte Ziele gelenkt werden, sind längst zu simpel. Die Struktur des Informationsflusses hat Auswirkungen auf Entscheidungen und Vorlieben. Aber Desinformation ist nicht die Simulation eines Regimes der Wahrheit, sondern die Verschleierung verborgener Dimensionen. Manipulation stützt sich auf die Illusion der rational distanzierten Beobachtung und der Freiheit von Einfluss. Das Geheimnis des Illusionismus ist, dass ein großer Schritt den kleinen verdeckt, Großes und Verdächtiges von etwas Kleinem ablenken.

Lenkungsprozesse instrumentalisierter Partizipation

Governance bedeutet Regieren durch Kontextsteuerung. Das neue Konzept mit demselben griechischen Wortstamm wie Kybernetik beruht auf technokratischen Modellen der Lenkung und einem naivem Optimierungsglauben, der grundlegende Konflikte ignorieren zu können glaubt. Es ermöglicht, in Kategorien einer vermeintlich neutralen und rationellen Effizienz zu denken, aber nicht in den Dimensionen von Strategie, politischer Perspektive oder der Notwendigkeit zu Veränderung. Obwohl Governance, wie Soziometrie und Sozialstatistik, sich aus emanzipatorischen Strömungen entwickelt hat, ist sie zu einer Grundlage neoliberaler Dominanz geworden. Als diese Ideologie wieder einmal unter Druck geriet, wurde das simple Credo von "Markt und Wettbewerb" zugunsten eines nachhaltigeren Kapitalismus und stabilisierter Märkte erweitert und reformiert. Autonomie und Konsens wurden als neueste operative Herrschaftsstrategien instrumentalisiert und in das Arsenal der Macht aufgenommen. In einem Regime der Communities und Selbststeuerungsumgebungen funktioniert Gruppendruck, unter freiwilliger Ausübung und Unterwerfung, sogar noch besser als individueller Druck von außen. Über den Effekt der sozialen Befriedung und Kohäsion hinaus ist Teilhabe instrumentalisiert und in einer verengten Bahn von Möglichkeiten der Problemlösung sowie in reduktionistischen Vorstellungen von Effizienz formalisiert. All dies im Dienst einer ahistorischen Perspektive, die asymmetrische Machtverhältnisse so erfolgreich verschleiert, dass diese vielfach nicht mehr wahrgenommen werden. Illusionäre Gemeinschaften, wo in der Festlegung von Verfahrensabläufen eine Fülle undurchsichtiger und informeller Regeln durchgesetzt wird, ersetzen etablierte und zumindest rechenschaftspflichtige Jurisdiktion. Diese Formalisierungen des Umgangs mit Konflikten benötigen massenhaft ExpertInnen, um einen neutralen bzw. fiktiv objektiven Standpunkt einzunehmen. Zunehmend gewinnen vor allem private Governance-Strukturen an Bedeutung, autonome soziale Systeme, die in einem bestimmten Kontext legislative und administrative Konfliktlösung organisieren. Organisierte Kriminalität zum Beispiel, oder Gangland.

Fragmentierte Kolonien der politischen Ökonomie

Unter dem Banner des Realismus wird der Markt als vernünftige Gottheit verehrt, dessen unsichtbare Hand durch eine rationale und geordnete Welt ins Gelobte Land führt. Nur dort, wo das Universelle durch egoistische AkteurInnen realisiert wird, ist individuelles Glück gesichert. Statt freiem und gegenseitigem Austausch ist menschliche Interaktion auf wirtschaftliche Funktionalität und die vertragliche Transaktion von Waren reduziert. Wettbewerb als einziger Mechanismus gesellschaftlicher Selbstverwaltung ist gleichbedeutend mit der Abschaffung von Politik in Gemeinschaften. Communities sind dann nicht mehr egalitäre Gemeinwesen, sondern defensive Wehrdörfer des Partikularen, die den Niedergang des Öffentlichen und den Tod des Sozialen anzeigen. Deren vermeintliche Gemütlichkeit für das desperate Individuum in den kargen Einöden der Allmende bleibt aber in engen Grenzen. Gated Community Modelle manifestieren sich auch als Ghettos, Selbsthilfegruppen und Special lnterest Fraktionen. Wenngleich es inzwischen nicht nur üblich, sondern notwendig ist, Interessengruppen zu bilden, hilft das gleichzeitig auch der politischen Klasse, Probleme besser ignorieren zu können. Denn per Definition sind es immer die Anliegen von jemand anderem. Zersplittert in Fraktionen und Sprachen stehen Interessengruppen in zunehmender gegenseitiger Konkurrenz um die knappe Ressource Aufmerksamkeit und um einen Anteil an Öffentlichkeit in heftig umkämpften Medienlandschaften. Die coincidentia oppositorum, der "Zusammenfall der Gegensätze" von Solidarität und Rivalität folgt einer Strategie des divide et impera, die Gruppen mittels trügerischer Autonomie in unpolitische Sackgassen steuert. Zugehörigkeit zu der "falschen" Community hat mittlerweile verstärkt einen Strafverfolgungshintergrund (vor allem für jene, die mit Terror in Verbindung gebracht werden). Zumal die Angst vor dem Terror meist völlig ausreicht, wird Staatsterrorismus in modernen Nationen in der Regel nicht gegen die eigene Bevölkerung angewendet. Aber die zunehmende Kommerzialisierung des Alltags, Korporatisierung von Wissenschaft und Bildung, der Abbau der Sozialsysteme, sowie Militarisierung und Privatisierung sind ebenso massive Angriffe gegen das öffentliche Leben. Während die öffentliche Sphäre individuellem Profit oder der Vernachlässigung geöffnet ist, wird stattdessen das Individuum reguliert.

Belastungen und Dienstleistungen werden zu Kollektiven und Individuen nach unten delegiert, und Subsidiarität wird zur politischen Outsourcing-Strategie, um Kosten der Befriedung vernachlässigter Zonen einzusparen. Wenn Funktionen des Staates als Dienstleistungen an KundInnen neu konfiguriert werden, erhöht sich in der Regel auch der Preis, und mancherorts kostet es sogar schon etwas, ins Gefängnis zu gehen. KundInnen als Souverän, das Ökonomisieren der politischen Beziehungen, macht die ungleiche Kaufkraft der BürgerInnen sichtbar.

Kontext Management und symbolische Milieus

Symbole als strategische Schaltstellen, um den Fluss von Ideen im Chaos populärer Aspirationen und individueller Vorstellungen zu kanalisieren, sind Instrumente der Überredung. Bilder vermitteln Ideen und Ausdrucksformen, lösen Erinnerungen aus. Symbole kontrollieren Sehnsuchtsenergien und ziehen Gefühle an, die ihrer zugrunde liegenden Ideen längst beraubt sind, todsichere Reflexe sind fester Bestandteil des großen Spektakels. Das Induzieren von Erfahrungen und Situationen ohne direkte Suggestionen löst das Gefühl aus, etwas tun zu wollen. Die wichtigste Methode, Zielobjekte dazu zu bringen, sich selbst zu überzeugen, ist die Milieukontrolle. Das emotional konstitutive Branding ist nicht nur raffinierte Werbestrategie, sondern auch kognitive Kontrolltechnologie. Zielgruppenspezifisches Markendelirium mag besser sein als eine graue und leere Existenz, aber der Verlust von Markenidentität bedeutet dann auch Ich-Verlust. Ob Erschaffung eines großen Mysteriums oder einer kleinen Geschichte, die Methoden, Gläubige zu binden, sind in allen Kirchen ähnlich. In der Devolution von Cortex-Intelligenz zu Säugetieremotion und den Mustern des Reptiliengehirns erinnert David Ogilvy: "Kunden brauchen immer auch einen Vernunftgrund als Vorwand, um ihre emotionalen Entscheidungen zu rechtfertigen, also liefert immer einen mit."

Strukturierte Erfahrung und die Anker der Erinnerung

Werbung wurde zu einem wichtigen Lieferanten emotionaler Erfahrungen in der Stadt, wo Straßen ohne die schimmernden Reflexionen der Neonlichter leer und dunkel erscheinen. Konsumlandschaften des Begehrens haben das Produkt längst zugunsten einer vorausschauenden Strukturierung von Erfahrungen hinter sich gelassen. Produktplatzierung webt Warensymbole in persönliche Erfahrung und strukturiert psychologische Manipulation im libidinösen Strom der Begierden. Mit dem Installieren von falschen Erinnerungen, um die Empfänglichkeit für Marken zu erhöhen, wird Lebensqualität zu einer Frage des Designs. Wie die Texturen von neuen Jeans, die bearbeitet werden, um Jahre intensiven Gebrauchs zu simulieren. Ein Schlüsselelement in der Erfahrungsindustrie von Freizeit und Entertainment ist die paradoxe Interaktion von Sicherheit und Gefahr, Kontrolle und Kontrollverlust. Auch wenn Erfahrungsderivate und Marktobjekte in die Dramatisierungen der passiven Konsumwirklichkeit verwoben sind, ist es letztlich die Arbeit der VerbraucherInnen selbst, eigene Erzählungen zu produzieren. Allerdings herrscht Schweigen in den einvernehmlichen Narrativen über die Entstehung und Herstellung der Objekte der Begierde, denn nur dann kann in einer unsicheren Welt ein Gefühl der Sicherheit beschworen werden. Dieses strukturierte Erleben fördert Konformität, eine falsche Harmonie der Selbsthypnose und verhüllt, was sich unter dieser Schicht erfahrungskonfigurierter Zivilisation verbirgt.

Die Kanalisation der Macht und VerbraucherInnenströme 

"Wisdom of the Crowds" war ein verzweifelter Versuch, die Ideologie der unsichtbaren Hand durch Outsourcing zu retten. Im Gegensatz zu albernen Hypes und populären Irrtümern erfordert "Weisheit der Massen", zumindest weitreichende Meinungsvielfalt, Unabhängigkeit frei von Einfluss und Druck sowie Dezentralisierung und lokale Quellen des Wissens. Nicht zuletzt bedarf es geeigneter Mittel, um individuelle Urteile in kollektive Entscheidung zu verwandeln. Selbst bei MedienarbeiterInnen und InformationsdienstleisterInnen kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie eine eigene Wahrnehmung der Welt besitzen. Wenn das persönliche Einkommen davon abhängt nicht zu begreifen, ist ein eigenes Verständnis sehr hinderlich. Medienmacht produziert ein Gebräu von Geheimnissen und Trivialitäten, Aberglauben und Gedankensprüngen, einen wässrigen Mischmasch, der allerseits die Informationskanäle durchströmt. In diesem Angebotsmonopol gewinnen die Gläubigen an Ansehen durch die Fähigkeit, mehr Unmögliches zu glauben als die Konkurrenz. Mit dem Zusatznutzen einer Ausweitung des Mehrwerts durch Data-Mining und Meta-Informationen gelingt es der Entertainment-lndustrie sogar, revolutionär erkämpfte Freizeit zu beschlagnahmen, um die Unterschichten mit toxischen Nebenprodukten von Ideologie und Geschmack der Bourgeoisie zu erschließen. Ungeachtet allen Nischenmarketings schöpfen Medien vor allem die lukrative Gaußsche Mitte ab. Selbst wenn eine Zeitung nicht zu 100% werbefinanziert ist, mit bis zu 70% der Einnahmen durch Vermarktung, ist redaktioneller Inhalt immer zweitrangig. Kostenfreies Fernsehen ist keineswegs gratis, die VerbraucherInnen zahlen für alle Werbebotschaften. Marketingkosten machen oft mehr als 80% des Preisschilds aus, vor allem bei Sneakers oder Textilien, wo die Herstellung meist weniger als 1% ausmacht. Menschen binden sich an Stereotypen, um die Isolation und Angst des modernen kompetitiven Lebens auszugleichen und die Zitadelle ihre Identität zu schützen. Ein Universum imaginärer Medienwelten, die am Leben erhalten werden durch den Wunsch dazuzugehören.

 Kulturen der Angst und latente Panik

 Seit Jahrzehnten zeigen Statistiken eine drastische Zunahme von Angststörungen und Depression in westlichen, post-industriellen Gesellschaften. Diese Ängste sind nicht mit Ausmaß und Intensität einer spezifischen realen Gefahr korreliert, so wie die öffentliche Wahrnehmung von Risiko nicht einfach eine Reaktion auf ein Ereignis oder bestimmte Situation ist. Eine milde unterschwellige Panik und eine Politik der permanenten Unsicherheit in allen sozialen Zusammenhängen verändern die Gesellschaft und erzeugen eine Mentalität des Überlebenskampfs, die das psychokulturelle Gefüge formt. Die Effekte strukturellen Leistungsdrucks werden als persönliche Versagensängste und Überforderung verharmlost und als Problem individuell ausgelagert. In einem kulturellen Narrativ der Angst und bevorstehenden Katastrophe ist Überleben das bestmögliche Ergebnis - jegliches Experiment und jede Veränderung gefährlich. Während Erklärungsmodelle für persönliche Einstellungen zu politischen Themen sich meist auf wirtschaftliche Gegebenheiten, soziale Beziehungen und Bildung beziehen, zeigen Untersuchungen, dass Menschen mit unterschiedlichen Haltungen sich auch in der Empfindlichkeit gegenüber Bedrohung unterscheiden. Konservative oder "bewahrende" Überzeugungen stehen in Zusammenhang mit stärkeren unwillkürlichen Angstreaktionen. Durch das Eintreten für Sicherheit und die Ablehnung von Risiken über das gesamte politische Spektrum hinweg wird Vermeidung oder Nichtstun zum Handlungsideal. Passivität zu fördern, wird zum Ziel, und Dissens wird zum Sicherheitsrisiko.

Internalisierte Logik und die Rituale der Verdrängung

Erklärungsmodelle und logische Verknüpfungen, die Informationen einfacher zu handhaben und zu erinnern machen, produzieren das Nebenprodukt einer Illusion des Verstehens. Es ist inzwischen gesellschaftlicher Mainstream, das Erfassen komplexer und zufälliger Zusammenhänge vortäuschen zu müssen. Die Notwendigkeit, das Bild der Welt zu vereinfachen, fördert gleichzeitig die Vorstellung von einer Umwelt, die weniger komplex ist, als sie es tatsächlich ist. Insbesondere durch die Überschätzung zweifelhafter Ordnungskategorien voller Unschärfe und Ambiguitäten. Eine einzelne Lebensdauer bietet nicht allzu viele Möglichkeiten, komplexe Ursachen und Wirkungen vergleichen zu können. EntscheidungsträgerInnen richten ihre Aufmerksamkeit daher auf Informationen, die mit der gewünschten Antwort am meisten kongruent ist. Und dort, wo korrekte Argumentation auf falschen Prämissen und fehlerhaften Komplexitätsreduktionen beruht, lauert der Wahnsinn. Obwohl Sozialisation zur Internalisierung von Mythen, Rhetorik und Theoriebildung des Systems führen, kann dies nie vollständig erreicht werden. Immer sozialisieren einzelne Gruppen ihre Mitglieder in Rebellion, Devianz oder Dissens. Auch wenn festgeschriebene Rituale die geregelte Rückkehr des Verdrängten ermöglichen sollen, droht ein Ausbruch des Unterdrückten jederzeit gefährlich außer Kontrolle zu geraten.

 Postmoderner Aberglauben und die Hermetik des Unmöglichen

 Es ist allgemein bekannt, dass in der Postmoderne Widerstand zwecklos ist. Jede Kritik verstärkt das Gitter des unsichtbaren Käfigs und Devianz unterstützt die bestehenden Verhältnisse sogar noch. Als Utopien tot erklärt wurden konvertierten viele zum Aberglauben der Moderne und bezeichneten sich als Realisten. Aber weil Intelligenz an das vermeintlich Reale nicht so recht glauben kann, verbreitete sich postmoderner Skeptizismus. Gegenüber einem weitverbreiteten Kult individuellen Heldentums oder hierarchischer Ahnenkulte sowie einem einfältigen und Illusionen mentaler Repräsentation geschuldeten Realismus, ist Skepsis mehr als angebracht. Inzwischen ist Skeptik aber ein Lebensstil des bürokratischen Pragmatismus. Sich im Glauben an die Existenz einer völlig nichtverorteten Vernunft auf das Pathos des Unglaubens zu berufen, ist eine Form des Aberglaubens. Der zynische Skeptiker duldet oder akzeptiert bereitwillig verbreitete und ratifizierte grundlose Überzeugungen, aber jede Veränderung wird als dogmatisch angeprangert. Dass die Kleider, die der Kaiser nicht anhat, trotzdem gelobt werden, tarnt sich als Ironie, ist aber nur einfach selbstdienlicher Zynismus. Immer bereit, einen Standpunkt zu verleugnen und jede Position zu verurteilen, wird es zum fanatischen Lebensstil in einem oszillierenden Modus der Bewahrung des Status quo durch den Angriff auf Veränderung.

 Spekulativer Dissens und inklusive Wissensbildung

 Hegemonie inszeniert kulturelle Artefakte als natürliche Phänomene und verstärkt politische Dominanz durch ideologische Rechtfertigung. Als Kaiser Konstantin eine neue Staatsreligion durchsetzte, drohte er allen: "Es soll keine Wahrsagerei, keine neugierigen Untersuchungen mehr geben. Wer Ungehorsam wagt, verliert seinen Kopf durch das rächende Schwert des Henkers." Offensichtlich wurde die nichtautorisierte Manipulation der Vorstellungskraft als Bedrohung wahrgenommen. Subalterne zu ermutigen, eigene Ideen auszutauschen, ist zunächst wenig wünschenswert, um ideologische Disziplin zu erhalten. Freie Schlussfolgerung an den Grenzen von Fakt und Fiktion unterstützt die Entstehung revolutionärer Milieus. Spekulative Intelligenz hinterließ eine unverwechselbare Spur in der europäischen Geschichte der Rebellion und war historisch ein Faktor anhaltender Unruhe. Die legitimen und sanktionierten TrägerInnen der korrekten Interpretation müssen konkurrierende Analysen und autonome Wissensbildung unterdrücken. Denn alle zielstrebigen Formen der Kunst und des Wissens schaffen eigene Wahrheiten und Wirklichkeiten und sind deshalb eine Gefahr. Behext von der unsichtbaren Macht des Anderen, wird Rationalität zur Präventivwaffe gegen abweichendes Gedankengut. Auch der angeblich "gesunde" Menschenverstand, der Klebstoff sozialen Zusammenhalts, besteht aus fragwürdigen Inhaltsstoffen. Akademische Kritik stellt den grundlegenden Rahmen institutionalisierter Logik niemals in Frage. Dissens bleibt nur innerhalb der Grenzen eines Regimes der Wahrheit akzeptabel. Das "Außerhalb des vorgegebenen Rahmens denken" ist längst zu einem banalen Klischee in Managementberatung und Werbung verkommen, aber eine andere Idee ist möglich. Radikale Infragestellung, spekulative Vorstellungskraft und experimentelle Neugier sind nicht das Problem, sondern die Lösung für komplexe Aufgaben.

 Die Revolution der Vorstellung als politische Handlung

 Zusammenhänge zwischen Bildung und politischer Autonomie sind oft bearbeitet worden, Bewusstseinsbildung ist ein häufig gebrauchtes Wort. Allerdings wird über die psychosozialen Wurzeln politischen Bewusstseins – wenn überhaupt – nur sehr einseitig geforscht. Mit dem Argument, sie würde nur religiöse Wahnvorstellungen verewigen und echte Veränderung verhindern, wird eine Verknüpfung von Bewusstsein und Politik vielfach als romantischer Idealismus dargestellt. Dabei ist insbesondere in den neuen sozio-ökonomischen Zusammenhängen die Rückeroberung einer Autonomie der Vorstellungskraft eine konkrete politische Handlung. Kultur und Natur beeinflussen sich gegenseitig in nichtlinearen Feedback-Schleifen einer dynamischen und wechselseitigen Abhängigkeit von Gesellschaft und Technologie. Dadurch beeinflussen symbolische Koordinaten den Zustand natürlicher Systeme und Weltbilder das soziale Gefüge in interdependenten Prozessen.

Fiktionen in Wirklichkeit zu verwandeln, ist historisch eine weltweit übliche Vorgangsweise. Aber nicht zuletzt eine verbreitete Praxis, die Fakten zu schaffen, macht Tatsachen an sich verdächtig. Eine Beurteilung der Faktenlage kann nur mehr vor dem jeweiligen ideellen Hintergrund eingeschätzt werden. Das Mögliche und sein Gegenteil stehen dabei in einer wechselseitigen Beziehung, wobei das vermeintlich Unmögliche auch das Naheliegende sein kann. Denkbares definiert sich an den Grenzen des Undenkbaren, und so erschaffen Utopien immer neue Wirklichkeiten. Ohne Utopie gibt es keine Entwicklung, denn wo RealistInnen sich anzupassen versuchen, forschen UtopistInnen nach einer Lösung. Realistische Ziele sind dabei oft schwerer zu erreichen als scheinbar unrealistische. Nur jene, die Unmögliches versuchen, werden Überraschendes erreichen. Und wer nicht scheitert, hat nicht genug versucht. Letztlich ist es das einzige Privileg des Menschen, das Unmögliche zu fordern, und daher ist es dringend an der Zeit, eine Praxis der Utopie zu verwirklichen.

Content type
text
Projects Nach dem Ende der Politik
World-Information Institute
Date 2011
Location Vienna

Tags

Globalisierung Partizipation Neoliberalismus Ökonomie community Utopie Privatisierung soft power Parapolitik Expertentum Normalisierung Datenkörper survival of the fittest Kapitalismus Konsumentenprofile Kulturpolitik postmodernism Mythos Weltbild Internalisierung Angst Gouvernmentalität governance Management John von Neuman David Ogilvy
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