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Mitten im Turmbau zu Babel.

Der Text ist eine gekürzte Fassung der Eröffnungsrede der Festwochen Gmunden 2007.

Irritationen gegen Gleichmacherei

Wir können erkennen, dass die Systeme der zur rein ökonomisierten mutierten Gesellschaft sich drastisch umformen und immer größere Flexibilisierung in allen Lebensbereichen verlangen. Damit werden natürlich tradierte Werte, Wertsicherungen, soziale und gesellschaftliche Konstruktionen nicht nur in Frage gestellt, sondern tatsächlich aufgehoben. Überbevölkerung auf der einen, Überalterung auf der anderen Seite verändern Raumaufteilungskonzepte. Städte verschwinden oder schrumpfen, während urbane Strukturen in ihrer zentristischen Grundform zu Durchgangslagern mutieren. Die weltweite Migration, bedingt durch die Globalisierung des Arbeitsmarktes, bedient diese Veränderung.

Das klassische Bürgertum, prinzipiell sesshaft und bestimmend für die kulturelle Entwicklung einer Stadt/Gesellschaft, stirbt also aus. Ersetzt wird es durch mobile Einsatzkommandos aus Produktivkräften, die in kurzer Zeit eine Stadt nutzen und dann wieder verschwinden. Der Einzelne ist überall, Ubiquität das Desiderat der vernetzten Welt. Effektivität ist der Motor und Oberflächenbearbeitung die einzige Möglichkeit, dem allgemeinen Kosten/Nutzen-Denken Rechnung zu tragen.

Kunst, so hab' ich es verstanden, als Bestandteil einer gesellschaftlichen Situation, erwartet und fordert Kontinuität – sie ist ein langwieriger Prozess, der "Zeit" braucht. Sie braucht auch ein vis-à-vis, das Zeit hat, sich Zeit nimmt und verstärkt die ihm angebotene Auseinandersetzung als Teil seines Alltags und der Bewältigung dieses Alltags sieht. Die temporäre Ansammlung von "workgroups", die ephemer ist, d.h. sich nur vorübergehend an einem Ort aufhält, wird ihre Identifikation nicht im prozesshaften, langwierigen künstlerischen Schaffen suchen. Sie ist angewiesen auf schnelle, vorübergehende Erfrischung, Irritation und Befriedigung.

All das läuft auf das Event hinaus und zielt damit haarscharf vorbei am Interesse und Anliegen der Kunst, die mit Erinnerung operiert, um Visionen zu entwickeln. Dazwischen liegt das Jetzt als kritisches Objekt der Wahrnehmung und der Wahrnehmungsdifferenzierung.

Die etablierten Kunstinstitutionen sind – ähnlich den Einschaltquoten im Fernsehen – einem erheblichen Quotendruck ausgesetzt, der meist nur durch halbherzige Kompromisse gedämpft werden kann. Man studiert Statistiken und Kosten-Nutzenrechnungen und legt anhand dieser die ästhetischen Maßstäbe fest. Darüber vergisst man, dass Kunst einen ideellen Wert darstellt, der sich numerisch nicht beziffern lassen darf und kann.

Durch den Verlust der Erinnerung, des kollektiven Gedächtnisses, der auch beschleunigt wird durch die Archivierung im Netz – die zwar Erinnerung jederzeit abrufbar macht, aber nicht mehr erfahrbar, erlebbar ist, daher sich auch nicht als Sediment in unserer Bewusstsein gräbt und damit kein Nährboden mehr entsteht, aus dem Neues sich bilden kann – sieht es fast so aus, als würden wir konsequent an unserem kulturellen Verschwinden arbeiten. Die so genannten "Google-Rechercheure" finden wir heute in allen Gebieten. Sie sind dazu geworden teils aus wirtschaftlicher Unterfinanzierung (echte Recherche kostet eben Geld und Zeit - das können oder wollen die Institutionen oder manche Unternehmen nicht mehr aufbringen), teils durch die vorliegende Überflutung der Informationen, die anders gar nicht bewältigbar ist: in der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung, dem Journalismus ganz besonders. Und der daraus entstehende Einheitsbrei bzw. Meinungseinheitsbrei ist dann Stil prägend, schafft Tendenzen und schafft sie genauso schnell wieder ab.

Und trotzdem stelle ich mir die Frage: Ist es nicht gerade dieses Nichts, aus dem etwas Neues entstehen kann?

Die Depression, die die westliche Welt erfasst hat, entsteht aus dem Umstand, dass die Krise nicht mehr als Phase der Reifung verstanden wird, nämlich als Übergangsmoment von einem Lebenszustand in einen anderen. Dieses Bewusstsein der kreativen Krise basiert jedoch auf der Notwendigkeit eines kollektiven Gedächtnisses, das heute leider per Knopfdruck mit dem Computer aufgerufen und wieder ausschaltbar ist. Es ist aber nicht mehr Gegenstand eines Erfahrungsprozesses, der schmerzhaft oder aber auch lustvoll als Erinnerung in unserem Körper sich festgesetzt hat. Es ist außerhalb von uns, weder spürbar, noch verantwortbar.

Das löst Ängste, Unruhe aus: Deswegen erscheint uns die Krise als Dilemma oder gar Endpunkt, und nicht als Schwelle oder notwendige Phase, um nicht mehr Bewährtes auszustoßen und Neues zuzulassen. Also kann es nur darum gehen, das Alte auf den Prüfstand zu stellen, sich selbst zu befragen, durchaus spielerisch, durchaus mit alten uns vertrauten ästhetischen Mitteln aber durchaus auch mit neuen ästhetischen Mitteln, die glücken oder auch scheitern müssen können, um Varianten zu schaffen, um Auswahlkriterien zu erstellen. Um dem kulturellen Verschwinden entgegenzuarbeiten, sind Versuchsanordnungen angesagt. Auch die Kunst kann sich diesbezüglich bis zur Selbst-Infragestellung dieser offensichtlich tatsächlich neuen Situation im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess aussetzen.

Auch Räume und Orte, in denen sie verhaftet ist, können befragt werden nach ihrer heutigen Gültigkeit. Fördermodelle womöglich unterlaufen, die im Mantel der Förderung vielleicht kreative Energie ersticken und eventuell Abschied nehmen von der musealen Verwaltung von Kulturgütern. Es gilt hier aber nicht, den so genannt demokratischen Staat aus seiner Verpflichtung und Verantwortung für die kulturelle Fortschreibung zu entbinden. Sondern vielmehr zusätzlich nach neuen Partnern zu suchen, neue Kooperationen einzugehen, Wirtschaftsunternehmen nicht als Feinde, sondern als Kreativzentren zu begreifen. Rufen wir uns das Bewusstsein wieder in Erinnerung, dass Kunst nicht nur ein Standortfaktor, sondern schlichtweg einer der wesentlichen Standbeine ist, auf der eine wohl gemerkt zivile und kultivierte Gesellschaft oder Gemeinschaft ruht.

Dabei können wir uns sicher nicht ausschließlich beschränken auf die Konservierung feudaler oder bürgerlicher Kunst als liebenswürdiges Souvenir einstigen gesellschaftlichen Lebens mit z.B. dem Kuscheltier Oper in der Mitte, das sicher am leichtesten konsumierbar, weil alle Sinne bindend, und für repräsentative Zwecke gut geeignet und daher auch immer gut finanziert (was den Bereichen Schauspiel, bildende Kunst, neue Formen, Wissenschaften, Bildung nicht immer gelingt!) – denkbar wäre als Ergänzung, dass Kunst "clandestin, also heimlich" ein Mittel alternativer Politik werden könnte, um eben jener Tendenz zur Oberflächenkultur entgegenzuwirken, die durch die Rasanz der Entwicklungen und der Medienmacht wohl kaum aufzuhalten ist. Vielleicht sollte man die Bezeichnung "Kunst" tatsächlich der populären Variante überlassen – im Vertrauen darauf, dass das System auch dieses eigene Kind fressen wird – und nach Formen und Methoden suchen, das, was als Ansatz und Tendenz der ursprüngliche Wille bürgerlicher Kunst war, fortzuführen.

Wenn Kunst früher kritische Funktionen innehatte und heute in Rudis Resterampe gelandet ist, heißt das vor allem, dass die kritische Funktion verwaist. Solange es aber so etwas wie Widerspruchsgeist – der meiner Ansicht nach der Motor von Entwicklung ist - gibt, solange muss dieser Widerspruchsgeist ein Betätigungsfeld finden. In diesem unklaren Zwischenstadium könnte und kann sich die Kunst ihrem eigentlichen Potential wieder vermehrt zuwenden, ein anarchisches Potential, das effektiv ein Lernprozess für kreatives Denken und Handeln ist. Sich nicht anpassen, wenn nicht aggressiv, so zumindest subversiv und sich als Störfall denken und produktives Chaos erzeugen.

Kunst trainiert die Phantasie – und das ist klar: Wer keine Phantasie hat, schafft sich selber ab. Im weitesten Sinne wäre Kunst – ein Trainingsfeld für Dialogfähigkeit und für kreatives Handeln –durch Beschauung/Betrachtung zu einer Erkenntnis zu gelangen. Ich möchte daran erinnern, der Begriff "theatron" entstand aus dem Begriff der "theoreia" – theoreia, unser heutiger Begriff für Theorie –, kam aus dem dyonischen Kult und hieß Beschauung: Daraus folgte die Dedukation und Festlichkeit.

Aus diesem Begriffszusammenhang wurde das "theatron" entwickelt: der Beschauungsspielraum. Demnach können wir festhalten: Ohne Betrachtung - und Betrachtung heißt mit allen Sinnen aufnehmen, wahrnehmen - gibt es keinen spielerischen Vorgang, keine ästhetischen Umsetzungen, keine Fantasie, keine Erfahrung, keine Erkenntnis: Das Denken ist ein lustvoller Vorgang, hatte Margret Mitscherlich vor Kurzem in einem Interview gesagt. Es hindert nicht, es beflügelt. Und der Bauch denkt manchmal sehr laut mit: Das dürfen wir nicht vergessen. Wenn Bataille sagte, die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich an ihrem Überfluss, so drückt es eben das aus, dass Differenzierung, Unterscheidungen, Vielfalt erkennen und respektieren lernen uns die Fähigkeit vermittelt, selbst Entscheidungsträger zu werden. Das Ziel kann doch nur sein, dass der Mensch als Souverän sich unter Souveränen behaupten kann.

Nehmen wir einmal an, Kunst hat zur Kultivierung der Menschengemeinschaften beigetragen. Die daraus entstandene Kultur hatte zur Aufgabe natürlich zu einen, aber über die Erkenntnis eben der Differenz, da Kunst an sich auch immer wieder den Widerstand, die Prüfung, die Irritationen, neben dem vielleicht Schönen, dem Erhabenen und auch der Tröstung, die genauso wichtig sind, geschaffen hat. Und dieses Bewusstsein ist heute ein wenig zur Mangelware geworden. Wenn Kunst also heute nicht in Not geraten will, so muss sie der Vereinheitlichung, die teils gefordert, teils systemimmanent entsteht, widerstehen. Vereinheitlichung der kulturellen Grundlagen und die Gefährlichkeit einer flächendeckenden Mono-Kultur liegen auf der Hand: Sie dogmatisiert und führt zu Intoleranz und übrigens zur Langeweile. Widerspruch, Eigensinn, Vielfalt wären in einer solch einheitlichen Gesellschaft nicht mehr erwünscht. Eine solche Kultur würde an sich selbst zugrunde gehen, da kein Widerstandpotential vorhanden ist, Reibungen nicht mehr stattfinden und daher auch nichts Neues entstehen kann. Außerdem verdrängt eine solche Gleichmacherei den anderen, das andere, und versucht zu domestizieren, wo es um Achtung, Respekt, selbstbewusste Eigenständigkeit vor dem Fremden und Andersartigen gehen müsste und letzten Endes um Neugierde - die Voraussetzung schlechthin für Offenheit und Akzeptanz.

Die Identität, nach der wir ringen, stellt sich heute nicht mehr über die Kultur her, in die jeder Einzelne hineingeboren worden ist. Sie kann höchstens eine Zuordnung ermöglichen. Der Schritt sollte dahingehend forciert und vollzogen werden, dass Identität heute eine Frage der Souveränität ist, unabhängig von der eigenen kulturellen Eigenheit, ohne diese zu verleugnen, aber nicht von ihr abhängig zu sein, denn das funktioniert offensichtlich nicht mehr im neuen nomadischen Weltensystem .

Unser Bemühen richtet sich wohl dahingehend, die "Viel-Kulturalität" einer globalen Gesellschaft zu akzeptieren und die Interaktionen als einen "Gewinn" zu verstehen und nicht als Aggression oder Attacke gegen die eigene Identität. Reflexion und Kommunikation sind dabei die wichtigsten Vokabeln unserer Zeit.

 

Der Text ist eine gekürzte Fassung der Eröffnungsrede der Festwochen Gmunden 2007.

Content type
text
Projects Kampfzonen in Kunst und Medien
World-Information Institute
Texte zur Zukunft der Kulturpolitik
Date 2007
Location Vienna

Tags

Stadt Kunst Migration Depression Kritik Flexibilisierung Elisabeth Schweeger
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