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Independent Space Travel

Am 23. April 1995 wurde das unabhängige Raumfahrtprogramm der Association of Autonomous Astronauts (AAA) ins Leben gerufen und damit der Beginn einer neuen Ära markiert. Es war nun nicht mehr Stoff eines Romans oder eines Films, sondern zur Realität geworden, dass Menschen das Recht für sich beanspruchten, frei durch den Weltraum zu reisen und damit die Interessen der Regierungen, der Wirtschaft oder der Wissenschaft zu ignorieren.

„Jedes staatliche Programm der Raumfahrt ist vor allem ein Spektakel, ein Propagandaprojekt, für das die polit-ökonomische Macht Milliarden aufbringt, um ihr eigenes ,großartiges und progressives Schicksal‘ zu feiern! Es ist unmöglich, die Vorstellung von Gewicht nicht mit jener der ,Schwerkraft‘ gleichzusetzen. Das Gewicht der Bürokratie, die Schwerkraft in der Bildung und im technologischen Umfeld. Staatliche Luft- und Raumfahrtagenturen sind das vielleicht beste Beispiel dieses letzteren Modells von Schwerkraft: Es gibt sie einzig und allein zum Zweck der Produktion dieses Gravikapitals. Als natürlicher Gegenpol scheint die unabhängige und autonome Raumfahrt der beste Weg zu sein, um neue Universen von Werten zu erschaffen, die nicht auf die Gleichwertigkeit generalisierten Gravikapitals reduziert werden können. In diesem Sinne will die Association of Autonomous Astronauts (AAA) den Glauben an die Schwerkraft entmystifizieren und lädt alle Menschen ein, ihren Glauben daran aufzugeben.“ Riccardo Balli, AAA 333

„Die AAA stellt fest, dass der Kampf gegen kapitalistische soziale Beziehungen im weiteren Sinne als Widerstand gegen Zombiekultur und die Implementierung spezifischer AAA-Ausstiegsszenarien verstanden werden sollte. Diese Zombiekultur ist ein ausgefeiltes Programm der Invasion der Gedanken, ein komplexer Manipulationsprozess, der die Implementierung spezifischer Formen von Ideologie zum Ziel hat, um sicherzustellen, dass wir dementsprechend denken und handeln. Diese Zombiekultur will jedoch nicht nur sicherstellen, dass wir von Projekten unserer Befreiung wie der unabhängigen Raumfahrt genügend abgelenkt sind. Sie muss auch unsere kollektiven psychischen Energien erschöpfen, indem sie uns einredet, dass das staatliche, firmeneigene und militärische Monopol auf die Ressourcen und die Kontrolle der Raumfahrttechnologien beibehalten werden muss.“ South London AAA

Am 23. April 1995 wurde das unabhängige Raumfahrtprogramm der Association of Autonomous Astronauts (AAA) ins Leben gerufen und damit der Beginn einer neuen Ära markiert. Es war nun nicht mehr Stoff eines Romans oder eines Films, sondern zur Realität geworden, dass Menschen das Recht für sich beanspruchten, frei durch den Weltraum zu reisen und damit die Interessen der Regierungen, der Wirtschaft oder der Wissenschaft zu ignorieren.

Auch wenn es schwierig ist, die Herkunft zu identifizieren (manche sehen sie in der Community Copy Art, Culross Buildings, Battle Bridge Road, hinter dem Bahnhof Kings Cross in London), so ist doch klar, dass die AAA im Kontext der Veränderung von der Mail Art hin zum World Wide Web geboren wurde. Heute können wir auch sagen, dass die AAA zuerst als Zusammentreffen von post-neo-istischen historisierungs-besessenen Provos, Hardcore-Techno- und Rave-Fanzine-Networks, millenaristischen Freigeistern und Tactical Media-AktivistInnen entstand, die den Wilden Westen des frühen Webs erkundeten. Weil das Projekt von Anfang an den Bereich der Selbsthistorisierung als eine ungehinderte Provokation gegenüber der Geschichtskonstruktion der Avant-Garden und ihrer akademischen Interpretationen durch KunsthistorikerInnen bewältigte, konnte die AAA der nächsten Generation einen Werkzeugkoffer hinterlassen, der auch heute noch sehr operativ ist.

Für die weit verstreut lebenden Menschen wurde die AAA erstmals durch Mail Art-Broschüren oder seltsame Emails zugänglich, die aus undurchsichtigen Quellen stammten (Inner City AAA, Radio AAA) und einen Fünfjahresplan für unabhängige Raumfahrt vorstellten. Danach war es möglich, den AAA-Aktivitäten durch Jahresberichte zu folgen und ihre Selbsthistorisierung nachzuvollziehen. Verrückterweise wurde die Bewegung immer größer, woraufhin die AAA im Jahr 1997 bei ihrer ersten Intergalaktischen Konferenz in Wien an die Öffentlichkeit ging. Das Programm war aufregend: Es vermischte Ernstes mit Sinnlosem und forderte die höchsten politischen Erwartungen einer Raveszene heraus, die verzweifelt nach etwas Neuem, Ikonoklastischem suchte. Konferenzen, ein Rave im Weltraum, ein dreiseitiges Fußballtrainingsspiel und ein Mondflug per Astralreise: Diese Veranstaltung kann als Wendepunkt gelten, da AAA-AnhängerInnen einander nach zwei Jahren der Korrespondenz endlich auch im physischen Raum treffen konnten. Im Jahr 1998 wurde eine weitere Intergalaktische Konferenz in Bologna veranstaltet, die andere Autonome AstronautInnen für ein ähnliches Programm versammelte sowie Diskussionen mit radikalen UfologInnen-Gruppen wie den Men in Red führte. Die Space 1999 Intergalactic Conference, die in London abgehalten wurde, fügte den Reclaim the Streets-Demonstrationen jener Zeit eine weitere Ebene hinzu: Reclaim the Stars! All diese Veranstaltungen halfen mit, den Fünfjahresplan zu verwirklichen. Danach wurde die AAA als für die Zukunft nicht weiter notwendig erklärt; einige Sektionen machten mit einer 333 Tage dauernden Verlängerung und mit dem letzten Festival, dem Paris Zero Gravity Festival, weiter. Es wurden überdies zwei Bücher herausgebracht, zuerst in Italien, dann in Frankreich, doch die Geschichte ist nicht zu Ende: Andere Gruppen haben sich herausgebildet oder gespalten, eine Vielzahl von Gruppen, und die Geschichte der AAA geht weiter.

Ihre kollektive Geisterhaftigkeit, die durch die flüchtige Existenz einer Vielzahl instabiler Netzwerke hervorgerufen wurde, autorisierte die AAA dazu, allzu neugierige Blicke von ihrer einzigen Wahrheit abzulenken. Freiwillig und ohne großen Aufwand. Die unendliche Vielzahl von Individuen, aus der sich das Netzwerk zusammensetzte, machte die Neuheit und den Reichtum der AAA-Grundsätze gegenüber archaischen politischen Organisationen aus. Alle Mitglieder konnten verschwinden, ohne dass die Existenz der Vereinigung dadurch geschwächt wurde. Die AAA hatte keinen wirklichen Anspruch, ein kohärentes soziales Projekt umzusetzen, und keinen regulativen Diskurs einer ästhetischen Einstellung, doch sie bewirkte eine Einstimmigkeit ihrer Mitglieder, die einander nie kennenlernten. Manche trafen einander ganz kurz, manche waren auch befreundet, aber die große Masse wusste nicht einmal, dass sie Autonome AstronautInnen waren. Keine radikale politische Gruppe hatte jemals auf diese Art gearbeitet.

Die Pataphysik der AAA entwickelte sich unter den Mitgliedern zu einer starken wissenschaftlichen Gegenkultur. Diese mögen zwar Wissenschaft und Technologie ursprünglich abgelehnt haben, brauchten sie jedoch für ihre Sternreisen, sodass diese die Raumfahrt weiterhin beherrschen werden, egal ob autonom oder nicht. Anders als ein Werk der Musik kann die Luftfahrttechnologie nicht gesampelt werden. Sie ist völlig von systematischem und totalitärem wissenschaftlichen Denken abhängig. Die wahre Diktatur der Sprache ist hier das monolithische Gebäude des Wissenschaftsdiskurses, an dessen Abfällen sich die Autonomen AstronautInnen standardmäßig berauschten – wobei sie sich der Grenzen dieses subtilen Spiels mit Referenzen bewusst sind. Dieser Wissenschaftsdiskurs muss verlassen werden. Die Autonome Astronautik könnte damit die erste Nicht-Wissenschaft einer neuen Generation des Wissens über die Realität sein.

Nur ein Kunstwerk oder ein ästhetisches Objekt kann zweckentfremdet oder „détourniert“ werden, wobei das Détournement im Wesentlichen in der Freiheit des Körpers liegt, der neue Signifikanten in den Raum einschreiben will. Kunst liegt in der Freiheit, neue Formen aus dem Nichts zu erschaffen. Dies ist die Essenz des wahren AAA-Diskurses, und dies ist es auch, woran wir uns erinnern müssen. Ein geisterhaftes, gespenstisches Netzwerk von KünstlerInnen, die unablässig nach autonomen Projekten suchten – das ist es, was die AAA im Wesentlichen war und immer sein wird. Im Rahmen der AAA, so wie bei der Situationistischen Internationalen vierzig Jahre davor, arbeiteten Individuen daran, ein transnationales Netzwerk ungreifbarer und kritischer Herausforderungen zu bilden. Zwischen 1957 und 1972 hatten SituationistInnen die Krypto-LeninistInnen und AnarchistInnen aller Couleurs verspottet. Die Autonomen AstronautInnen machten sich zwischen 1995 und 2001 offen über das Geschwafel der dahinsiechenden Extrem- und Ultra-Linken lustig, obwohl sie selbst wiederum durch Pro-Situs-Fans der elitären Linken alter Schule unterwandert wurden. Die Autonomen AstronautInnen begannen, ohne Wörterbuch das Vokabular einer neuen Sprache im postmodernen Ruin der politischen Befreiung zu schaffen.

Die AAA war ein riesiger kosmischer Spaß, der von ein paar Star Trek- Fans im Teenageralter zu ernst genommen wurde: Musik, Tanz, Theater, Spaceraves, Sex in der Schwerelosigkeit und bald auch Drip Painting, Bildhauerei und Steady-Cam Videos, die im multidirektionalen Raum schwebten, sowie eine Vielzahl neuer Ästhetiken und Kunstwerke. Die Autonome Astronautik war weder Wissenschaft noch Technologie; sie erfuhr ihre Bedeutung vielmehr aus dem Öffnen der Sinneswahrnehmung für neue Klimata und neue Situationen – die Kreuzung unbekannter Atmosphären und Gefühlszustände.

Wo immer es auch Kunst im Untergrund gab, mischte die AAA mit. Von Experimenten mit neu zusammengesetzten Daten in repetitiver, lauter, atmosphärischer, industrieller, akustischer und elektronischer Musik bis hin zu den programmierten Wanderungen neuer Strömungen, vom Theater bis hin zum Tanz in der Schwerelosigkeit, führten die Autonomen AstronautInnen avant-gardistische Experimente durch. Mehrere von ihnen absolvierten schwerelose Flüge, indem sie russische, US-amerikanische oder europäische Parabelflüge infiltrierten. Das Noordung Schwerelo- sigkeitstheater von Dragan Zivadinov ist emblematisch für diese Situation, und sein Projekt wird den hohen Standards der Autonomen Astronautik mehr als gerecht. Die Multidimensionalität wird hier immer mitimplementiert.

Obwohl die AAA schließlich von einer Gruppe von Individuen auf das simple Element seines eigenen Logos und auf ein im Wesentlichen vages Projekt reduziert wurde, war es die fruchtbarste und realistischste Erfahrung zur Jahrtausendwende; die erste Avant-Garde von irgendwas außer sich selbst; eine verfrühte politische Bewegung ohne Empfängnis oder Geburt. Die letztgültige Wahrheit ist, dass die AAA so zeitlos ist wie das Universum selbst, so wie die wahre ästhetisch-politische Verkörperung der schwerelosen Befreiung der Seele. Die AAA ist ein Avatar, das universelle Prozessnetzwerk nie endender Freiheit.

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Projects Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa
World-Information Institute
Date 2012
Location Vienna

Tags

Netzwerke Astronautik Autonome AstronautInnen
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