Interview mit Thomas Lehner
Thomas Lehner wurde 1963 in Linz geboren. Er arbeitete in den Bereichen darstellende und bildende Kunst, Musik, Film, Video, VR, Tele-Robotik und Medienkunst. Er war über viele Jahre in der Linzer Stadtwerkstatt tätig und erfüllte leitende Aufgaben im Rahmen ihrer Mixt-Media- und Fernsehprojekte. Er ist Mitbegründer von servus.at und entwickelte das Telepresence- und Virtual Reality-Verfahren „P.R.D.“ (Parallel Raum Display). Er lebt und arbeitet in Wien und Santiago de Cuba.
Was sind Deine persönlichen Erinnerungen an die Anfänge des Internet? Wie sah die Netzkulturszene Anfang der 1990er Jahre in Österreich aus?
Thomas Lehner: Es war damals eine weitgehend überschaubare Szene von Kunst- und Kulturschaffenden, und ich würde den Begriff noch weiter fassen, da es nicht zuletzt auch Technikinteressierte aus unterschiedlichsten Bereichen waren, die damals begonnen haben, mit dem Internet zu arbeiten. Da herrschten noch ganz andere Bedingungen. Man musste beispielsweise noch mit sehr geringen Bandbreiten und leistungsschwacher Hardware auskommen. Damals stand ja die ganze kommerzielle Infrastruktur, so wie wir sie heute kennen, nicht zur Verfügung. Wir mussten das Netz selbst aufbauen, und vieles kam da natürlich von der Linux-Seite her. Ich war zu dieser Zeit bei der Stadtwerkstatt in Linz, wo wir mit servus.at einen unabhängigen Internet-Knoten gegründet haben. Das lag auch im Sinn der Sache, dass sich regional solche Plattformen und Nodes gebildet haben. Wir konnten schon früh eine Leitung nach Wien legen, wo mit dem Vienna Backbone Service (VBS) ein für Österreich sehr wichtiger Zusammenschluss von Internetanbietern existierte. Wir haben uns dann über den VBS und später auch über das universitäre ACOnet ans Internet angeschlossen und uns weiter untereinander vernetzt – was im Grunde ja ein wesentlicher Sinn der Sache der neuen Netzwerktechnologien war bzw. ist.
Inwieweit war dieser Anspruch auf Vernetzung auch eine politische Forderung?
Thomas Lehner: Damals war das Internet in seiner kommerziellen Dimension gar nicht so sehr verbreitet; der kommerzielle Gedanke kam erst später dazu. Das Internet wurde hauptsächlich von Universitäten genutzt, und im Prinzip waren wir als Künstler/innen von Anfang an mit dabei. Weil die Kunst immer schon mit neuen Technologien experimentiert hat, wollten wir Anfang der 1990er Jahre mit unseren Computern eben auch ans Netz und dieses für unsere Zwecke nutzen. Zudem ist künstlerische und wissenschaftliche Arbeit in vielerlei Hinsicht ein und dasselbe. Deswegen haben wir auch mit dem damaligen Ministerium für Wissenschaft und Kunst darüber verhandelt, dass wir uns ans Netz der Universitäten, das Austrian Academic Computer Network (ACOnet), anbinden können. Wir sind ganz einfach davon ausgegangen, dass wir ein Recht darauf haben! Der Anspruch, als Künstler/innen Medien selbst zu gestalten, hatte für uns die logische Konsequenz, eigene selbstverwaltete Internetknoten mit einer non-profit Provider-Infrastruktur aufzubauen. So entstanden vielerorts von Künstler/innen und Kulturschaffenden initiierte Internetprojekte – ob nun mit Thing in New York oder mit der Digitalen Stadt und ihrem Access for All in Amsterdam. Überall auf der Welt entwickelten sich unter reger Beteiligung der sogenannten subkulturellen Szene Netzwerk- Initiativen. Daraus sind dann die ersten sozialen Plattformen entstanden, lange vor Facebook und Co. Immer mehr Server wurden ins Netz gestellt, und die unterschiedlichsten User/innen-Communitys entstanden. Linux ermöglichte es uns, die eigenen Infrastrukturen aufzubauen und selbst zu betreiben, denn die von kommerzieller Seite her angebotenen Software- Produkte und Services waren und sind dafür nicht geeignet.
Anfang 1998 formierte sich dann die Virtuelle Plattform Österreich als ein loser Zusammenschluss österreichischer Medieninitiativen. Weshalb dieser Schritt?
Thomas Lehner: Wirtschaftliche Körperschaften sind über ihre Lobbys, seien dies nun Abgeordnete im Parlament, die Wirtschaftskammer oder andere mächtige Organisationen, politisch vertreten, während Kunst- und Kulturschaffende nicht über solche Lobbys verfügen. Deswegen haben wir uns damals zu einer Plattform zusammengeschlossen und unser Recht auf moderne Kommunikationsinstrumente eingefordert. Wir wollten uns nicht durch kommerzielle Produkte, die vermehrt auf den Markt kamen, entmündigen lassen. Denn viele der Projekte und Technologien, die zuvor aus den Netzkulturen heraus entwickelt worden sind, wurden dann kommerziell besetzt und vermarktet. Deswegen haben wir Ende 1998 auch das „Gelbe Papier“ verfasst, ein gemeinsames Positionspapier von Vertreter/ innen der wichtigsten Institutionen der österreichischen Netzkultur. Es herrschte damals in den Ministerien die Meinung, dass es da so viele Initiativen gibt, die alle untereinander zerstritten sind. Mit dem gemeinsamen Papier haben wir gezeigt, dass das nicht der Fall ist und dass wir durchaus gemeinsame Interessen verfolgen.
Was waren die konkreten Forderungen?
Thomas Lehner: Es waren weniger technische, als vielmehr soziokulturelle Forderungen! Im Prinzip wollten sich damals alle mit diesen neuen Medien von ihrer Seite her beschäftigen. Damals war das noch eine interessante Baustelle, und wir haben da alle mitgebaut, weil es noch nicht den einen Bauherrn gab. Der Cyberspace wollte auch von uns erschlossen werden. So ist sehr viel entstanden, was später leicht von kommerziellen Betreibern übernommen werden konnte – auf einer ästhetischen Ebene, auf einer technischen Ebene, aber eben auch auf einer soziokulturellen Ebene. Um dem etwas entgegenzusetzen, wollten wir einen „Cultural Backbone“ in Österreich aufbauen, um damit die Kunst- und Kulturschaffenden untereinander zu vernetzen. Hierzu sollten die dezentral organisierten und regional verankerten Medienzentren wie zum Beispiel die Stadtwerkstatt und servus.at in Linz oder Public Netbase in Wien mit den hierfür nötigen Ressourcen ausgestattet werden. Es ging damit auch um die Schaffung von Kulturschnittstellen, die einerseits als Produktionsstätten für die lokale Szene, andererseits als Vermittlungsinstanzen von Medienkompetenz dienen sollten.
In Linz entstand mit dem Ars Electronica Center (AEC) dann ja ein eigenes Medienzentrum, allerdings weitgehend in Opposition zur damaligen Netzkulturszene. Wie kam es zu dieser Verschiebung?
Thomas Lehner: Das AEC ist ja im Prinzip auf Grundlage unserer Argumente gebaut worden. Es ist immer argumentiert worden, dass hier Künstler/innen Zugang zu den notwendigen Instrumenten und Technologien bekommen sollen. Im Endeffekt hat sich aber herausgestellt, dass Künstler/innen diejenigen sind, die am allerwenigsten vom AEC profitieren. Das AEC selbst ist ja aus dem Ars Electronica-Festival heraus entstanden, das seit 1979 anfänglich biennal und seit einiger Zeit jährlich in Linz veranstaltet wird. Die Ars war über viele Jahre hinweg ein spannendes Labor, wo Leute aus der ganzen Welt zusammenkamen und elektronische sowie digitale Kunst machten. Früher hat es noch Projekte gegeben, die von Künstler/innen speziell für die Ars Electronica entwickelt wurden. Und da kam die Idee auf, dass man vor Ort eine Produktionsstätte für Kunst auf dem Gebiet neuer Technologien als eine Art Ars Electronica-Labor schaffen sollte; ein Zentrum, von dem aus die Ars auch über das Festival hinaus aktiv hätte sein können, damit sie nicht zum reinen Veranstalter verkümmert, sondern auch zur Entstehung eigener künstlerischer Projekte beitragen kann; ein auch mit Equipment ausgestattetes Institut, in das man internationale Künstler/innen einladen und den regionalen Kulturschaffenden technische Produktionsmittel zur Verfügung hätte stellen können.
Was ist damals passiert?
Thomas Lehner: Der eigentliche Festivalleiter war damals Gottfried Hattinger. Er hat unsere Ideen aufgegriffen und ein Konzept für ein solches Medienzentrum ausgearbeitet, konnte sich aber nicht durchsetzen. Mit der Ausgliederung der Ars aus der Linzer Veranstaltungsgesellschaft (LIVA) und der Gründung der Ars Electronica Gesellschaft konnten die hierfür nötigen Lobbys mit eingebunden werden, und so entstand dann das Ars Electronica Center (AEC) wie wir es heute kennen; ein Zentrum also, in dem alles Mögliche aus der ganzen Welt zusammengekauft und ausgestellt wird, aber leider weder Geld noch technische Produktionsmittel für die lokale Szene oder künstlerische Auftragswerke vorhanden sind. Nach den ersten konkreten Entwürfen war die Fassade noch als Fotovoltaik-Anlage geplant. Heute schmückt eine neonfarbige Lichtanlage die Hülle des Gebäudes. Alleine das ist schon bezeichnend für ein „Museum der Zukunft“ – in einer Zeit, in der gerade Technologien der nachhaltigen Energiegewinnung eine entscheidende Rolle für die Zukunft spielen. Und was unsere Bemühungen zur Schaffung unabhängiger Computernetzwerke und die Bereitstellung technischer Mittel zur Forschung auf dem Gebiet der neuen Medien betrifft, ist uns das AEC eher in den Weg gebaut worden.
War dies nicht auch ein allgemeiner Trend zu jener Zeit? Das AEC wurde 1996 gebaut, aber auch in Deutschland entstand 1997 mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ein solches Medienzentrum.
Thomas Lehner: Ja, diese Zentren sind zu einem Zeitpunkt entstanden, als man begonnen hat, digitale Medienkunst als Teil der modernen Kunst anzuerkennen. Deswegen hat man Institutionen, wie man sie auch schon aus der bildenden Kunst kannte, gegründet; man hat also einfach das gleiche Prinzip auf die Medienkunst übertragen. Wobei das ZKM ja noch etwas mit Kunst zu tun hat, während diese im AEC kaum mehr eine Rolle spielt. Die Ars Electronica Gesellschaft wird über Mittel der öffentlichen Hand finanziert, auch aus der Kunstförderung. Die mit öffentlichen Mitteln angeschaffte technische Infrastruktur steht Künstler/innen aber so gut wie nicht zur Verfügung, sondern es werden damit Aufträge aus der Industrie und anderen Institutionen übernommen. Im Prinzip handelt es sich also mehr um eine Quersubvention für die regionale Wirtschaft, denn um eine Förderung österreichischen Kunst- und Kulturschaffens.
Nun ist mit der massenhaften Verbreitung der neuen Medientechnologien und dem billigen Zugang zum Internet die alte Forderung nach einem „Access for all“ im Prinzip hinfällig geworden. Siehst Du dies als Erfolg, oder ging damit auch etwas verloren?
Thomas Lehner: Die kommerziellen Netzwerke bieten für Künstler/ innen nach wie vor nicht die entsprechende Infrastruktur, um ihre Werk über das Netz zu verwirklichen, zu präsentieren oder zu dokumentieren. Aus den kommerziellen Interessen solcher „gratis“ operierenden Servicebetreiber ergeben sich eigene Reglements, die den Verzicht auf Urheber- und Verwertungsrechte sowie die Offenbarung persönlicher Daten verlangen. Die User/innen generieren den Content, mit dem die Großkonzerne ihr Geld verdienen. Was vermeintlich gratis ist, kostet das Selbstbestimmungsrecht auf die eigenen Daten. Ich denke, dass viele der Dinge, die in den 1990er Jahren diskutiert und zumindest in Ansätzen realisiert wurden, heute nicht mehr existieren, und das ist schade. Es ist schade um die Vielzahl unabhängiger Server dieser Zeit und auch um den Freiraum, den diese eröffnet haben. Aber dort und da gibt es sie ja noch. Denn ein selbst betriebener Server bietet immer noch ganz andere Möglichkeiten als Youtube, Myspace oder Facebook zusammen. Wir dürfen diesen Konzernen nicht die Regelung und Organisation unserer gesamten Kommunikation überlassen!
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Projects | Vergessene Zukunft - Radikale Netzkulturen in Europa World-Information Institute |
Date | 2012 |
Location | Vienna |