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Kultur war einmal

Die abgestandenen Reste einer abgetanen Kultur dem Volk servieren, den Kitsch bevorzugen, weil er in der Tat dem Durchschnitt der Betrachter besser gefallen mag als die schwerer zugänglichen Werke der originellen Begabungen, scheint nicht sozialistisch, sondern antisozialistisch zu sein, weil es dem evolutionistischen Gedanken widerspricht

 Sozialdemokraten wissen nichts mehr mit Bildungspolitik anzufangen. Also besetzen sie das Ressort

Nach wie vor bestimmen in den österreichischen Kulturinstitutionen Männer den Kurs. Sie leiten die meisten der großen Bühnen des Landes, navigieren die überwiegende Mehrzahl der bedeutenden Museumstanker oder haben in Verlagen und Kulturredaktionen das Sagen. Der herkömmliche Kulturbetrieb ist eben traditionell Männersache.

Doch das Zielpublikum dieses hoch subventionierten Prestigeunternehmens ist in Österreich eindeutig weiblich. In nahezu allen Bereichen kultureller Betätigung überwiegen Frauen. Sie gehen häufiger in ein Theater, besuchen öfter Museen, bevölkern in verhältnismäßig größerer Zahl das Publikum von Konzerten und Literaturveranstaltungen, sind stärker an Kulturberichterstattung interessiert und lesen vor allem deutlich mehr Bücher als Männer. Einzig Volksmusikdarbietungen bleiben weiterhin eine eindeutig männliche Domäne.

Zumindest auf politischer Entscheidungsebene hat jetzt dieser Transformationsprozess eine Spur hinterlassen. In der Regierung ist Kultur weiblich. Sie sei freundlich und zuvorkommend, berichten ihre Gesprächspartner übereinstimmend. Sie sei ehrlich bemüht, dem Amt, das ihr der Zufall – oder war es doch ein Diktat der Frauenquote? – übertragen hat, keinen frühen Schaden zuzufügen. Sie sagt schöne Sätze wie "Kultur bedeutet Quelle der Inspiration" oder "Kunst und Kultur sind der Schatz des Landes", und ohne bösen Willen kann dagegen auch rein gar nichts eingewendet werden. Claudia Schmied ist die neue Fachkraft, auf die eine Bildungsbewegung, wie es die Sozialdemokratie traditionell sein will, ihr Vertrauen setzt. Wenigstens dieses eine Wahlversprechen hat die SPÖ gehalten: Kultur wird nicht mehr zur "Chefsache", also zu einem Nebenaspekt des Kanzlerdaseins, verniedlicht, sondern die Belange von Bildung und Kultur werden wieder, wie in glanzvolleren Zeiten, in einem Ressort vereint. Da haben sich die Roten nicht über den Tisch ziehen lassen: Wir sind Kultur. Sapperlot!

Fast wäre dem neuen Bundeskanzler mit seiner Überraschungspersonalie auch ein kleiner Coup gelungen. Breites Wohlwollen, ganz im Unterschied zu seiner eigenen Amtsübernahme, empfing Frau Schmied in ihrer neuen Position. Artige Worte von allen, die demnächst vor ihrer Bürotür um finanzielle Zuwendungen Schlange stehen werden. Die kultivierte Finanzfachfrau sei zwar ein weithin unbeschriebenes Blatt, hieß es, doch aufgrund ihrer Karriere im Bankwesen geradezu prädestiniert für diesen Posten: Denn was benötige ein Kulturpolitiker heute dringender als die Fähigkeit zu rechnen. Es ließe sich einwenden: Ideen, Überzeugungen, eine zumindest grobe Vorstellung davon, wie in der Gesellschaft eine möglichst breite Akzeptanz für die Beschäftigung mit intellektuellen Inhalten erzielt werden könnte. Sozialdemokratische Bankrotterklärungen besitzen neuerdings einen verächtlichen Unterton.

Bildung und Kultur, und zwar in einem kausalen Funktionszusammenhang, zählten einmal zu der sozialdemokratischen Kernkompetenz, von der sich die Partei in der Ära der Nadelstreifen-Sozis Schritt um Schritt verabschiedeten. Wurde zuvor von einer "Umverteilung immaterieller Güter" gesprochen, wurde Kulturpolitik "als sinnvolle Fortsetzung, als Weiterentwicklung von Sozialpolitik" definiert, deren Aufgabe in einer "Humanisierung der Gesellschaft" (alles Zitate aus der Regierungszeit von Bruno Kreisky) liege, so entdeckten die Generationen roter Aufsteiger in späteren Jahren rasch den persönlichen Vorzug, den ihnen der traditionelle Kulturbetrieb bot: eine Bühne zur Selbstdarstellung, auf der sie gönnerhaft ihre Günstlinge um sich scharten. Es machte in der Folge keinen nennenswerten Unterschied mehr, welcher der beiden großen politischen Kräfte die kulturelle Bildung überantwortet wurde. Sie diente, so der ausgeschiedene Kunst-Staatssekretär Franz Morak, als "Wirtschaftsfaktor ersten Ranges", wenngleich vornehmlich in der Ökonomie der Aufmerksamkeit – jener, die den unterschiedlichen kulturpolitischen Galionsfiguren zugute kam. Dass Bildung zur Teilnahme am kulturellen Geschehen führen und somit zum Motor gesellschaftlicher Entwicklung werden könnte, ignorieren Sozis ebenso hartnäckig wie Konservative.

Zwei fundamentale Missverständnisse prägen ihre Politik. Sie reduzieren Bildung hauptsächlich auf die schulische Sphäre, wo vor allem berufsorientierte Fähigkeiten erworben werden sollen, aber nur am Rande weiterführende Kulturtechniken, die da sind: Kreativität, Eigenverantwortung, Nachdenklichkeit oder Gestaltungswillen. Und sie verwechseln Kulturpolitik mit Kunstförderung, was dazu führt, dass sich in den kreativen Primärdisziplinen die elitären Lobbys verselbstständigen, die dann nach und nach alle gesellschaftlichen Ressourcen für sich beanspruchen.

Beseelt von der leicht megalomanen Vorstellung, eine kulturelle Großmacht namens Österreich zu repräsentieren, raffen einige wenige, monumentale Institutionen den überwiegenden Teil der öffentlichen Kulturausgaben an sich. Jede einzelne von ihnen ist ein Moloch, dessen Hunger nie befriedigt werden kann. Die noch unter der Regierung Klima eingeleitete Umwandlung der staatlichen Kulturtanker in "wissenschaftliche Anstalten öffentlichen Rechts" hat zwar nicht, wie beabsichtigt, deren wirtschaftliche Kraft verbessert, dafür aber den Konkurrenzkampf der einzelnen Kulturunternehmen untereinander verschärft, bei dem sich die jeweiligen Entscheidungsträger in der Pose des Chefvermarkters gefallen. Nahezu der gesamte kulturpolitische Diskurs wird durch diese Fehl- entwicklung auf eine endlose Kette personalpolitischer Debatten verengt, die, wie es im System der Repräsentationskultur zwangsläufig ist, am Büfett diverser gesellschaftlicher Ereignisse entschieden werden. Bezeichnenderweise feierte die neue Ministerin ihren ersten, und auf Monate hinaus einzigen Erfolg (zumindest in den Medien), als sie die Staatsoperndirektion nach eigenem Gutdünken besetzte und dadurch ihren Regierungschef blamierte, der diese Prestigeposition bereits einem befreundeten Tenor zugesichert hatte.

Wenn auch viele seiner Initiativen fragmentarisch blieben, so hat doch Fred Sinowatz, der letzte österreichische Kulturpolitiker, der diese Bezeichnung auch verdiente, durchgesetzt, dass in seinem Ministerium ein "erweiterter Kulturbegriff", wie das damals hieß, Gültigkeit erlangte. Er beschreibt die ganze Breite und Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Dazu zählt Zeitgenössisches ebenso wie Brauchtum. Er verweigert vertikale Rangordnungen und Bedeutungshierarchien. Und er ist, was heute einen besonderen Stellenwert besäße, offen für alle medialen Innovationen, die sich in die herkömmlichen Disziplinen der Kunstausübung nicht einordnen lassen. Das mag man zwar, wie es die gegenwärtigen Regierungsverantwortlichen auf neun Zeilen ihres Programms tun, als marginale Petitesse gering schätzen. Doch gerade diese Impulse des Fortschritts – und des Utopischen – sind es, die das kulturelle Geschehen lebendig erhalten. Im Gegensatz zu der Praxis, einen hoch subventionierten Wiederverwertungsbetrieb am Leben zu erhalten.

Zu den Überlebensmechanismen jeder Gesellschaft zählt es, ihr kulturelles Potenzial so weit wie nur irgend möglich auszuschöpfen. Nur so generiert sie genügend Erfindungsreichtum, um ihren Wohlstand zu erhalten und zu erweitern. Als die Roten sich noch Austromarxisten nannten, zählte es zu ihren zentralen Überzeugungen, dass Kultur ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein müsse, dass es die Aufgabe von Bildungspolitikern sei, kulturelle Energien zu wecken, die allein dem Einzelnen jene Urteilskraft verleihen könnten, die ihn zur tätigen Teilnahme am demokratischen Gemeinwesen befähigen. In ihrer Rhetorik klangen diese Sozis zwar klassenkämpferisch, ihre Intentionen waren jedoch humanistischen Idealen verpflichtet. Eine Revolution lag in weiter Ferne, die konkrete Verbesserung der Lebensumstände war jedoch gegenwärtig, und dazu bedurften die Reformer vieler Ansprechpartner für ihre Ideen in der Bevölkerung. Eines der theoretischen Schlüsselwerke, Der neue Mensch von Max Adler, ist weit weniger Marx als Kant verpflichtet. Darin heißt es: "Darum haben es auch die großen revolutionären Pädagogen seit Rousseau, Kant und Fichte als den Krebsschaden aller den Menschen fortbildenden Erziehungsarbeit angesehen, dass die Kinder nur immer wieder für dieselbe Gesellschaft erzogen werden, in welcher die Eltern recht und schlecht gelebt hatten … Es ist die bürgerliche Anschauung vom Idealismus, der eine schöne Sache ist, die aber nur für den Feiertagsgebrauch gut ist und die daher ein völlig isoliertes Dasein im Leben des Bürgers führt, sowie sein Sonntagsanzug, der auch die ganze Woche hindurch im Kasten hängt. Demgegenüber ist zu sagen, was eigentlich nicht mehr sollte gesagt werden müssen, dass es eben zum Charakter jeglicher Erziehung gehören muss, die Schulung des Geistes und die Ausbildung der Fertigkeiten, die zur Lebensführung nötig sind, zu bewerkstelligen, aber gleichzeitig dies alles in einem Sinne zu tun, der das Gemüt der Jugend über die bloßen Notwendigkeiten und Nützlichkeiten des Lebens hinaus mit einer hohen Zielsetzung erfüllt, die sie begeistert und erhebt."

Diese Vorstellungswelt hat die Sozialdemokratie vor Jahrzehnten verlassen. Die Hebung des kulturellen Niveaus ist ihr längst kein Anliegen mehr. Lieber biedert sie sich dem Erhabenheitszirkus der Kunstliebhaber an, erfreut sich der Gesellschaft schöngeistiger Schmocks, nicht ahnend, dass sie dort nur so lange wohlgelitten ist, solange sie mit staatsfeudalem Gestus Subventionen verteilen kann.

Tatenlos nimmt die frühere Kultur- und Bildungsbewegung indes hin, dass der Bereich der bildungsfernen Schichten immer weiter expandiert und sich funktionaler Analphabetismus ausbreitet. Die neue soziale Frage, die aufgeworfen wird, weil ein vergleichsweise kleines Milieu gebildeter Eliten einer wachsenden Gruppe von Bürgern gegenübersteht, die sich, aus welchem Grund auch immer, dem geistigen Leben verweigert, will sich ihr nicht stellen. Geschweige denn, dass sie in ihr eine politische Herausforderung erkennt: Immerhin entsteht dadurch jenes soziale Terrain, auf dem die populistischen Phrasen wuchern können.

Der rote Wahrnehmungshorizont wird vielmehr vom Boulevard bestimmt. Dort sind Argumente von geringem Wert. Schlagkraft besitzen allein Allgemeinplätze, und mitunter lassen sich mit ihrer Hilfe sogar Wahlkämpfe gewinnen. Einen demokratischen Wettbewerb der Ideen hingegen lässt das kulturelle Niveau, dem die Sozialdemokratie ihr politisches Geschick anvertraut, nicht mehr zu.

Unter anderem hat die SPÖ bei den vergangenen Wahlen wider Erwarten Zuspruch erhalten, weil sie versprach, das verzopfte und betuliche Klima der zurückliegenden Jahre hinter sich zu lassen. Was hätte da die Überraschungsministerin Claudia Schmied bei Amtsantritt sagen können, um dieses Versprechen aufrechtzuerhalten?

Sie hätte etwa Bruno Kreisky paraphrasieren können und zusichern, sie werde versuchen, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens mit Bildung und Kultur zu durchfluten. Hat sie aber nicht. Sie erklärte vielmehr, für sie, die viele Jahre in der Wirtschaft verbracht habe, bedeute Kultur "das Erschließen anderer, emotionaler Ebenen". Eben nicht.

Eine neue Kulturpolitik, zumindest ein Ansatz zu tendenziellen Verschiebungen, hätte gute Argumente für sich. Empirische. Denn wenn das tatsächliche Kulturverhalten in Österreich untersucht wird, selbst nach den vorherrschenden konservativen Kriterien, zeigt sich, wie gering die Verteilungsgerechtigkeit ist. Es ergibt sich fast das Abbild eines feudalen Staates im Staat: Die riesengroße Masse der Entrechteten (das sind die bildungsfernen Schichten) schafft jene Ressourcen, die eine winzige Clique an der Spitze untereinander aufteilt und verprasst. Die Bundestheater beispielsweise verschlingen jährlich 133,66 Millionen Euro (35,6 Prozent der Bundesmittel des Kulturbudgets), ein überwiegender Teil der Österreicher zeigt ihnen allerdings ungerührt die kalte Schulter. Das wird hingenommen wie früher das Gottesgnadentum und das Vorrecht der hochwohlgeborenen Schmarotzer.

Im Wunsch nach größerer Verteilungsgerechtigkeit lag ursprünglich das zentrale Motiv, als der damalige Unterrichtsminister Fred Sinowatz zu Beginn der siebziger Jahre erstmals Grundlagenforschung in der österreichischen Kulturlandschaft in Auftrag gab, die eine tiefe Kluft zwischen Bildungseliten und dem Durchschnitt der Bevölkerung offenbarte. Bis 1989 folgten zwei weitere Studien, dann erlahmte das Interesse. An den wesentlichen Koordinaten der staatlichen Alimentierung des Kulturbetriebes wurden bis heute ohnehin nur marginale Veränderungen vorgenommen. Die Elite bediente sich weiter ungeniert, und kein empirischer Befund störte das Fest des Hehren, Wahren, Schönen.

Als nun 2007 nach fast 20 Jahren neuerlich nachgefragt wurde, zeigte sich, dass der Graben zwischen Förderpolitik und öffentlicher Anteilnahme jetzt noch weiter auseinanderklafft. Verlierer der neuen Untersuchung sind die Bastionen der traditionellen Hochkultur: Staatstheater, Oper, klassischer Konzertbetrieb. Gewinner sind die vergleichsweise modern anmutenden Bereiche von Literatur, Kino, Ausstellungen und Jazz- oder Rockkonzerten. So hatten 81 Prozent der Befragten keine Opernoder Operettenaufführung besucht (auf mehr als fünf Besuche brachten es lediglich zwei Prozent) und 70 Prozent weder ein Bundes- noch ein Landestheater. Kleinere oder alternative Theater fanden hingegen mit 63 Prozent Abstinenz deutlich größeren Zuspruch. Der Besuch klassischer Konzerte entzieht sich hingegen dem allgemeinen Vergleich: Das Publikum rekrutiert sich überwiegend aus der Bildungselite der Musikstadt Wien. Wohl wegen des ziemlich divergenten Kulturkonsums haben mittlerweile nur mehr wenige an ihren eigenen kulturellen Aktivitäten etwas auszusetzen: Lediglich 9 Prozent der Befragten sagten, "eher nicht" oder "gar nicht" damit zufrieden zu sein (woraus sich auf der Schulnotenskala ein Mittelwert von 2,25 errechnet). Das war nicht immer so. In der Pionierstudie von 1975 registrierten die Meinungsforscher noch ein ausgeprägtes "Kulturmanko": Damals erklärte ein Drittel "ausdrücklich", ausreichende Möglichkeiten zu vermissen, um am kulturellen Leben teilnehmen zu können, während ein weiteres Drittel, so die Studienautoren, über "keinen persönlich anwendbaren Kulturbegriff" verfüge und daher "dieses Problem für sie begrifflich nicht fassbar ist".

Heute machen lediglich 7 Prozent bei diesem Punkt keine Angaben. Allerdings hat nun Unzufriedenheit nicht notwendigerweise mit relativer Kulturferne zu tun. Im Gegenteil: Gerade jene Gruppen, die aktiver sind, haben auch häufig etwas daran auszusetzen, nicht alle bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen zu können. Frauen (Mittelwert: 2,33) sind weniger zufrieden als Männer (Mittelwert: 2,17), Maturanten (2,38) weniger als Pflichtschulabgänger ohne Ausbildung (2,15), jüngere Frauen mit Matura (schlechtester Mittelwert aller statistischen Segmente: 2,45) als jene ohne Matura (2,28). Kultur macht offenbar süchtig: Wer einmal auf den Geschmack gekommen ist – Achtung, zentrale Botschaft für Bildungspolitiker! –, kann offenbar nicht mehr genug davon bekommen.

Die kulturell besonders aktiven Anhänger der Grünen sind mit Quantität und Qualität des Kulturangebotes weitgehend einverstanden, leiden aber unter einem Mangel in ihrem Zeitbudget (68 Prozent) und finden zu 65 Prozent, die Kartenpreise seien zu hoch – obwohl sie gleichzeitig überdurchschnittlich viel für Kultur ausgeben: 30 Prozent investieren monatlich zwischen 40 und 100 Euro (österreichischer Durchschnitt: 26 Prozent). Ähnlich die Wiener: Sie beklagen weder die Vielfältigkeit (lediglich 3 Prozent) noch die Attraktivität (6 Prozent) des Kultur- angebotes, sondern auch sie sagen mehrheitlich, sie hätten zu wenig Zeit (50 Prozent) oder zu wenig Geld (61 Prozent), um überall dabei zu sein. Trotzdem geben 8 Prozent der Wiener mehr als 100 Euro dafür aus. Besonders eklatant ist die Enttäuschung im Festspielland Salzburg: Hier finden 54 Prozent der Bewohner, es gebe "zu wenige Kulturangebote in erreichbarer Nähe" und 60 Prozent halten das Gebotene zudem für "nicht attraktiv". Irgendetwas müssen die Kulturpolitiker in der Mozartstadt gehörig falsch machen.

Insgesamt belegt die neue Studie, dass das Ausmaß, in dem urbane Bildungseliten den Kulturbetrieb dominieren, langsam schrumpft. Vor allem in jenen Bereichen, die nicht die staatliche Repräsentationskultur betrifft, also am Buchmarkt, bei Kleinbühnen, Film, junger Musik oder Ausstellungen, gewinnt die Partizipation deutlich an Breite, während sie bei den großen Kulturtankern stagniert oder sogar leicht rückläufig ist. Diese Tendenz wäre wahrscheinlich noch deutlicher ausgefallen, wenn die Studie in ihrem Fragenkatalog weniger der traditionellen Vorstellung kulturellen Verhaltens verhaftet geblieben wäre und stärker neue Kulturtechniken berücksichtigt hätte. Ganz am Rande berührt werden etwa nur die vielen Aspekte der schillernden Netzkultur und der digitalen Kommunikation, die offensichtlich von den Kulturforschern noch nicht ganz ernst genommen wird. Dennoch sollten die vorliegenden Ergebnisse Konsequenzen für die Förderungspolitik der öffentlichen Hand haben. Denn im Vergleich zu 1989 findet die Praxis der Subventionsvergabe heute geringere Akzeptanz. Lehnten damals noch 54 Prozent der Befragten die Forderung "Künstler sollen nicht gefördert werden, sondern sich selbst erhalten" ab, so sind es heute nur noch 40 Prozent. Dieser Rückgang ist vor allem darauf zurückzuführen, dass nun hauptsächlich die Angehörigen der kulturfernen Schichten keine Meinung mehr zu allen Fragen der Kulturförderung äußern wollen. Den offiziellen Erklärungen stehen sie gleichgültig gegenüber. Selbst den Argumenten, Kulturförderung diene dem Ansehen Österreichs im Ausland  (gesamte Zustimmung: 77 Prozent) oder dem Fremdenverkehr (gesamte Zustimmung: 83 Prozent), kann ein Drittel der untersten Sozialschicht nichts abgewinnen.

Jene, die sich eine Meinung zu der Verteilung der Förderungsmillionen gebildet haben, fordern allerdings Umschichtungen. 20 Prozent wollen, dass weniger Geld in die Förderung der Sparte Oper fließt, und 15 Prozent wollen in geringerem Ausmaß Bundes- und Landestheater gefördert sehen. Mehr Mittel will hingegen ein Viertel der Befragten zur Unterstützung kleiner und alternativer Bühnen aufgewendet sehen. Auch den österreichischen Film (22 Prozent) und regionale Kultur (23 Prozent) möchte ein signifikanter Teil verstärkt berücksichtigt sehen. Eigentlich ein klarer Auftrag der kulturbeflissenen Österreicher an die Verwalter ihrer Steuergelder. Sie müssten nur dem Beispiel der Bevölkerung folgen.

Die Sozialdemokratie hatte es nie leicht mit der Kultur. Allzu oft sah sie im Zeitgenössischen ein fremdes, enigmatisches Wesen, das sich ihr nicht erschloss und dem sie daher skeptisch, argwöhnisch und häufig auch ablehnend gegenüber stand. Deshalb neigt sie auch, ebenso wie ihr bürgerlich-elitäres Janusgeschöpf, zum Verwalten des Bewährten und Erprobten. Das stellt keine lästigen Fragen, sondern reproduziert lediglich einen Kanon, über den man Bescheid weiß und der verlässliche Resultate liefert. Das birgt wenig Risiko und Sozialdemokraten waren auch in ihren wilden frühen Jahren selten risikofreudige Menschen oder radikale Geister.

Kulturelle Manifestationen, die im hier und heute spielen, sind aber immer eine Herausforderung, an das einzelne Individuum ebenso wie an die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Das schafft Unruhe, stellt Bestehendes in Frage. Chaos droht, nicht tatsächliches, aber es lauert die Ungewissheit. Politische Konzepte haben damit prinzipielle Probleme. Denn sie zielen auf überschaubare Lösungen, kalkulierbare Regelungen. Sie artikulieren sich in Gesetzestexten. Kunst hingegen spekuliert mit Möglichkeiten und wählt eine häufig nur schwer verständliche Sprache. Das führt in beiden Sphären zu Missverständnissen. Mehr noch: Es liegt in ihrem Wesen, dass sie einander als Gegner begreifen müssen. Doch dieses Spannungsverhältnis kann als Reservoir begriffen werden, als jene Kraftquelle, die gesellschaftliche Impulse, kreative und innovative Ideen speist. Die Sozialdemokratie hatte es einst zum Kern ihrer gesellschaftlichen Agenda gemacht, einer breiten Bevölkerungsschicht all jene Kulturtechniken zu vermitteln, die es ihr ermöglichten, sich den Herausforderungen des kulturellen Dialogs zu stellen. Sie hatte ein Konzept für den Umgang mit Massenmedien. Sie hatte ein Konzept, mehr: einen Schlachtplan für die Eroberung des Terrains der Eliten. Diese Konzepte mögen häufig bevormundend gewesen sein, aber sie waren stets emanzipatorisch und partizipatorisch. Denn sie hatte begriffen, und es zu ihrer Überzeugung gemacht, dass sie ihre demokratischen und sozialreformatorischen Überzeugungen nur dann in den Köpfen der Menschen verankern kann, wenn diese sie auch begreifen. Nicht Nachbeten führt in einer logisch konstruierten Welt dazu, dass eine Idee kulturelle Hegemonie erlangt, sondern Erkennen. Das ganze Elend der Sozialdemokratie liegt heute darin, dass sie diesen Grundsatz über Bord geworfen hat: Sie verlässt sich nicht mehr auf die Menschen, sondern auf ihre Strukturen. Kurz: Sie besitzt nicht mehr Kultur – sondern sitzt nur mehr im Kulturministerium.

Ein sehr bürgerlicher Herr hat 1927 in einem Aufsatz, Gemeindepolitik und moderne Kunst übertitelt, den Code für den Umgang mit den Störenfrieden ihrer Wohlfahrtspolitik erläutert. Hans Tietze war ein Kunsthistoriker der alten Schule, der sich beim Vermessen feuchtkalter Klosteranlagen ein unheilbares Leiden zugezogen hatte. Nach dem Untergang der Habsburger-Monarchie war es seine Aufgabe, als Hofrat im Unterrichtsministerium die österreichische Museumslandschaft neu zu ordnen und so eine feudale in eine demokratische Einrichtung zu verwandeln, wobei er nur teilweise erfolgreich war. Dieses Scheitern ließ ihn allerdings nicht resignieren, sondern motivierte ihn, umfangreichere Ziele vorauszudenken. Sie seien ausführlich zitiert:

"Denn alle diejenigen, die sich nicht mit der ererbten Tradition zufrieden geben, die die einer überwundenen Weltanschauung entwachsene Formensprache zu zerschlagen streben, die unaufhörlich hinauslauschen in ihre gärende, zuckende und dennoch siegende Zeit, das sind die wahren Gesinnungsgenossen eines Volkes, das frei sein und Stein um Stein ein neues Dasein aufbauen will. Ob sie sich sozialistisch bekennen oder nicht, je moderner sie sind und je besser sie sind, das heißt je treuere Organe des seiner selbst nicht bewussten Volkswillen sie sind, desto unschätzbarere Geisteszeugen sind sie in einem Kampf um neue geistige Grundlagen.

Die abgestandenen Reste einer abgetanen Kultur dem Volk servieren, den Kitsch bevorzugen, weil er in der Tat dem Durchschnitt der Betrachter besser gefallen mag als die schwerer zugänglichen Werke der originellen Begabungen, scheint nicht sozialistisch, sondern antisozialistisch zu sein, weil es dem evolutionistischen Gedanken widerspricht; sozialistisch scheint es, jeden Keim zu Neuem, wo immer es sich zeige, zu begrüßen und zu fördern, aber nicht aus Gründen der Einsichtslosigkeit und der Bequemlichkeit den Philister, den jeder von uns irgendwo in sich trägt, auf diesem Gebiet, weil es weniger aktuell scheint, walten zu lassen und die junge Kunst, die Umsturz und Erneuerung will, der Reaktion zu opfern. Denn die reaktionären Mächte haben mit schärferer Logik ganz gut begriffen, dass moderne Kunst ebenso wohl ein Sprengstoff ist wie irgendein anderer moderner Geist, sie stehen einmütig geschlossen aller modernen Kunst gegenüber; darum sollte sich nicht auch der Sozialismus mit ihnen verbünden, er sollte einsehen, dass auch auf diesem Gebiet wie auf jedem anderen ein Paktieren mit dem Geist des Kleinbürgertums und der Feigheit ein Stück einer einheitlichen Weltanschauung preisgibt." Das schrieb Hans Tietze in der sozialdemokratischen Zeitschrift Der Kampf. Er wird nicht mehr geführt.

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