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Selbermachen statt teilnehmen. Von der Teilhabe zum Spektakel und zurück

Wer als Nicht-Techie Anfang der 1990er Jahre online ging, brauchte nicht nur eine hohe Frusttoleranz, sondern auch einiges an Vorstellungsvermögen. Denn nüchtern und kurzfristig-pragmatisch betrachtet, war das Internet alles andere als großartig. Schon alleine eine Verbindung zum nächsten Einwahlknoten (sofern es den für Nicht-Studierende überhaupt gab) herzustellen, war eine Tortur. Das Modem piepste und zischte, aber irgendwo blieb es immer hängen, auf Hand-Shakes war kein Verlass. Schnell Hilfe in einem Forum zu finden, ging auch nicht, weil es noch kaum Foren gab (sondern usenet newsgroups, wie im Falle von Modemproblemen comp.dcom.telecom) und auch keine Suchmaschinen, die einem den Weg zu den richtigen Foren (oder newsgroups) hätten zeigen können. Man musste schon wissen, wo die Infos lagen.

Wer als Nicht-Techie Anfang der 1990er Jahre online ging, brauchte nicht nur eine hohe Frusttoleranz, sondern auch einiges an Vorstellungsvermögen. Denn nüchtern und kurzfristig-pragmatisch betrachtet, war das Internet alles andere als großartig. Schon alleine eine Verbindung zum nächsten Einwahlknoten (sofern es den für Nicht-Studierende überhaupt gab) herzustellen, war eine Tortur. Das Modem piepste und zischte, aber irgendwo blieb es immer hängen, auf Hand-Shakes war kein Verlass. Schnell Hilfe in einem Forum zu finden, ging auch nicht, weil es noch kaum Foren gab (sondern usenet newsgroups, wie im Falle von Modemproblemen comp.dcom.telecom) und auch keine Suchmaschinen, die einem den Weg zu den richtigen Foren (oder newsgroups) hätten zeigen können. Man musste schon wissen, wo die Infos lagen. Also mühsam suchen. Und lange warten, denn alles war langsam. Die Bandbreite machte sich gerade daran, vom ein- in den zweistelligen Kilobyte/Sekunden- Bereich zu expandieren. Doch so viel Zeit konnte man sich kaum leisten, denn der staatliche Telekom-Monopolist betrachtete die Internetsession als lokales Telefongespräch, das im Minutentakt verrechnet wurde. Also abends online gehen, das war billiger!

ALS DAS VIRTUELLE NOCH VIRTUELL WAR

Für die weniger pragmatisch Eingestellten war hingegen schnell klar, dass eine riesige Differenz bestehen musste zwischen dem, was ist, und dem, was sein kann. So dürr und beengend das Reale war, so groß und offen war das Virtuelle. Denn es bestand keine Klarheit oder gar Einigkeit über die Dimensionen des Virtuellen, wie es ins Reale zu überführen sei oder wer diese Arbeit übernehmen sollte. Die Wirtschaft zeigte sich an EndnutzerInnen weitgehend uninteressiert, die nationale Politik wusste gar nicht, dass etwas passierte. Auf internationaler Ebene sah das ganz anders aus, die Unterhaltungsindustrie sah kommende Probleme und hatte einen Plan (wenn auch den falschen). Der Geist der Netze, noch bevor er entweichen konnte, sollte in der durch technische Schutzmaßnahmen neu versiegelten Flasche gehalten werden. Bereits Mitte der 1990er Jahre wurde eine Verschärfung des Urheberrechts in Form des WIPO Copyright Treaty (1996) durchgesetzt. Dies alles geschah noch weitgehend unbehelligt von der Zivilgesellschaft. Denn diese begann erst gerade, sich mit piepsenden Modems herumzuschlagen, unterstützt von Organisationen wie der 1990 gegründeten Association for Progressive Communications (APC). Die politischen Netzkulturen der 1990er Jahre trugen wesentlich dazu bei, die bis dahin sehr national-orientierten Zivilgesellschaften soweit zu vernetzen, dass sie zu den bereits globalisierten (Wirtschafts-)Eliten aufschließen konnten. Diese sahen sich 1997 erstmals mit der globalen Zivilgesellschaft konfrontiert, die das „Multilateral Agreement on Investment“ (MAI) erfolgreich zu Fall brachte.

Zu Beginn der 1990er Jahre war das Internet für die meisten außerhalb der universitären Computerdepartements im Großen und Ganzen noch eine große Leerstelle, die förmlich danach verlangte, gefüllt zu werden. Es brach die Zeit der Manifeste an. Eines der einflussreichsten war die „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“, die John Perry Barlow, Gründungsmitglied der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF, 1990) Anfang 1996 veröffentlichte. Rückblickend ist weniger der blumige Inhalt („Regierungen der industriellen Welt, ihr müden GigantInnen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes“)1 bezeichnend, als vielmehr der Ort, an dem dieses Manifest veröffentlicht wurde. Eben nicht im Cyberspace, denn auch Barlow war aus Fleisch, sondern im Davos des Weltwirtschaftsforum, einem der zentralen Knotenpunkte der neoliberalen Globalisierung, die auf andere Weise den müden GigantInnen den Garaus machen wollte.

PARTIZIPATION ALS TEILHABE

Diese Parallele fällt retrospektiv stärker ins Gewicht, als sie damals wahrgenommen wurde. Aus der damaligen Sicht war der Kernsatz des Manifests ein anderer: „Der Cyberspace ist ein natürliches Gebilde und wächst durch unsere kollektiven Handlungen.“ Es gab kaum vorgegebene Strukturen und kaum dominante AkteurInnen. Alle waren aufgefordert, selbst Hand anzulegen, um das Virtuelle zu realisieren. Dies war notwendigerweise ein kollektiver Prozess, in dem die Arbeitsteilung noch relativ schwach ausgeprägt war. Es war die große Zeit des D.I.Y. Durch Experimentieren entstand eine Welt, die zu erschaffen für all jene eine Notwendigkeit war, die sich durch die Leere und Offenheit angezogen fühlten. Fast alle frühen Netzkultur-Projekte – the WELL (1985) an der US-amerikanischen Westküste, das transatlantische The Thing (1991) oder die mehrheitlich europäische Mailing-Liste <nettime> (1995) – waren auf Partizipation angelegt. Wobei Partizipation nicht nur die Beisteuerung von „Inhalten“ meinte, sondern immer auch die gleichzeitige Entwicklung von Regeln und den Aufbau der notwendigen Infrastruktur mit einschloss. Partizipation hieß Teilhabe am Projekt als Ganzes. Sozusagen D.I.Y. ohne Anleitung. Es ging also darum, in einem kollektiven, partizipatorischen Prozess gleichzeitig die Richtungen, Regeln und ermöglichenden Infrastrukturen des eigenen Handelns zu bestimmen. Weder technisch, noch sozial/ökonomisch, was vielleicht am wichtigsten war, auch nicht konzeptuell war vorgegeben, wie die Dinge auszusehen hatten. Daraus entstand eine radikale Offenheit, denn Grundlagen mussten definiert, Regeln gefunden und Verhalten und Erwartungen aufeinander abgestimmt werden. Und, so schien es, niemand würde einem diese Aufgaben abnehmen. Man musste es also selbst machen, wobei dieses „man“ nicht eine einzelne Person war, sondern die Kollektivität, die sich um ein bestimmtes Projekt versammelte. Die Alternativen, die Gated Communitys von AOL oder Compuserve, waren aus der Sicht der entstehenden Netzkultur Gefängnisse für Ahnungslose.

Diese Selbstdefinitionen auf vielen Ebenen gleichzeitig waren die ersten Versuche, many-to-many Kommunikation auf einer zivil-gesellschaftlichen Ebene zu realisieren und kulturell zu reflektieren. Mailing-Listen, Webforen, kollaborative Plattformen wurden entwickelt und soziale/kommunikative Grundregeln, die Netiquette, etabliert. Der im Oktober 1995 erschienene Request For Comments: 1855, die Netiquette-Guidelines, kodifizierte eine Kultur der Offenheit und teilhabenden Partizipation auf ihrem Höhepunkt. Punkt 2.1.1. enthielt etwa folgende Faustegel der Toleranz: „be conservative in what you send and liberal in what you receive“2 Nicht nur der Inhalt, auch die Form, in der dies geschah, ist aussagekräftig. Solche Requests for Comments (RFC) waren von Anfang an (der erste wurde 1969 über das Arpanet veröffentlicht) ein wesentliches Mittel, um neue Standards in einer offenen, transparenten und partizipatorischen Weise zu entwickeln. Angelehnt ist das Verfahren an die akademische peer-review, nur dass es darum geht, in diesem Verfahren die Parameter zukünftigen Handelns (technische Standards) festzulegen. Wie vieles in der frühen Internet- Kultur war dieses Verfahren gleichzeitig utopisch und pragmatisch. David D. Clark, einer der führenden Entwickler des Internet in den 1980er Jahren, brachte das Ethos dieser technischen Gemeinschaft auf die legendäre Formel: „We reject: kings, presidents and voting. We believe in: rough consensus and running code.“ Mit anderen Worten: Diejenigen, die machen, bestimmen auch. Dafür muss es dann auch funktionieren, wofür es im technischen Bereich relativ klare Kriterien gibt (running code). Damit konnten diejenigen, die gute Lösungen einbrachten, direkt die weitere Entwicklung bestimmen, getragen von einer Gemeinschaft, an der alle in gleichem Maße teilhaben konnten. Aber die Höhepunkte einer Kultur, wie sie der RFC der Netiquette zum Ausdruck brachte, enthält immer auch schon die Elemente des anschließenden Abstiegs. So wurde die Formulierung der Regeln nicht nur notwendig, weil der Influx an neuen NutzerInnen, die wenig von den Sitten und Gebräuchen wussten, immer größer wurde – das Internet begann gerade zum Massenmedium zu werden –, sondern auch weil die internen Spannungen größer wurden. Die Kommerzialisierung kündigte sich bereits an, wurde aber noch als soziales Problem gesehen, das mit sozialen Mitteln einzudämmen wäre. Punkt 3.1.1. des RFCs erklärte etwa: „unsolicited advertising which is completely off-topic will most certainly guarantee that you get a lot of hate mail.“

Die zweite Hälfte der 1990er Jahre war geprägt durch eine immer stärkere Verschiebung von Communitys hin zu Businesses, die mit dem rasanten Wachstum ihrer Werte an der Börse zunehmend in den Vordergrund traten. Die daraus entstehenden Spannungen erreichten 1999 einen symbolischen Höhepunkt. Der US-amerikanische Online-Shop für Spielsachen, eToys Inc, reichte eine Klage gegen die europäische Künstlergruppe etoy ein, um ihnen den Namen, der zu Verwechslungen mit dem Shop (etoys.com) führen konnte, wegzunehmen, obwohl etoy eindeutig die Domain (etoy.com) zuerst benutzt hatte. Der offensichtliche Versuch, die legitimen Ansprüche einer nichtkommerziellen Gruppe zum Vorteil eines kommerziellen Players an den Rand zu drängen, löste eine internationale Solidarisierungswelle aus, die von etoy geschickt und erfolgreich zu einem „toywar“ organisiert wurde.3 Nach diversen Online-Protestaktionen, die am Vorbild des Electronic Disturbance Theater (EDT)4 orientiert eine Dekade später noch von anonymous unternommen wurden, zog eToys Inc. die Klage zurück und wurde bald darauf eines der prominenten Opfer des Platzens der dot.com-Blase an der Börse.

PARTIZIPATION ALS SPEKTAKEL

Die Schlacht war gewonnen, und mit den vielen Pleiten unsinniger e-Commerce start-ups dachte man, auch der Krieg sei zu gewinnen. Aber es kam anders. Bei allem Unsinn, in den in dieser Phase investiert wurde, die strukturelle Folge des Booms war, dass das Internet endgültig zum Massenmedium geworden war und Infrastruktur bereit stand. Jetzt ging es darum, neue Ansätze zu finden, diese gewinnbringend zu nutzen. Dazu wurden die Kernkonzepte der ersten Internet-Generation – Kommunikation, Partizipation, Offenheit für Neues, wenn es denn nur funktioniert – massentauglich gemacht. Mit Web 2.0 wurde ein Label entworfen, das in kurzer Zeit zu einem neuen Internet-Boom führen und mit dem die Kommerzialisierung der sozialen Sphäre bis dahin unbekannte Ausmaße erreichen sollte. Partizipation – oder, wie es nun unpolitisch heißt, usergenerated content – stand immer noch im Mittelpunkt, sie wurde gar zum modus operandi einer sich neu formierenden Kulturindustrie. Während die alte, auf fordistischer Massenproduktion basierende Kulturindustrie,5 insbesondere die Music Labels und Verlage, immer stärker unter Druck kamen, legten die neuen Plattformen ein ungeheures Wachstum hin. Der Preis für die Massentauglichkeit war aber die subtile – und manchmal wenig subtile – Unterordnung der sozialen Vernetzung unter die kommerziellen Strategien der PlattformanbieterInnen, die zunehmend als die Motoren der Innovation auftreten. D.I.Y. wurde vom Warten auf die nächste coole App abgelöst. Vernetzung muss nun immer zwei Zielen zugleich dienen. Zum einen muss sie die sozialen Bedürfnisse der NutzerInnen befriedigen, zum anderen muss sie die Sammlung von Daten und deren kommerzielle Ausbeutung unterstützen. Dient es dem ersten Ziel nicht, floppt das Angebot, dient es dem zweiten Ziel nicht, wird es gar nicht erst entwickelt. Das Problem hierbei ist, dass wir nicht unterscheiden können zwischen genuinen Bedürfnissen der NutzerInnen und solchen, die von den PlattformanbieterInnen zuerst geschaffen werden. Wer konnte vor wenigen Jahren ahnen, dass die numerische Anzahl von FreundInnen eine zentrale Kategorie der öffentlichen Selbstdarstellung sein würde? Wo schlägt das menschliche Grundbedürfnis nach Sozialität um in einen neuen Imperativ der Vernetzung, vorangetrieben vom Datenhunger der neuen Kulturindustrie? Partizipation ist das neue Spektakel, stellte Diedrich Diedrichsen bereits 2008 fest,6 in dem Sinne, dass diese Art der Partizipation das genaue Gegenteil von Teilhabe ist und der Verschleierung der neuen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse dient.

Durch die Horizontalität auf der NutzerInnenseite der Infrastruktur wird verschleiert, dass gleichzeitig neue, hochgradig vertikale Machtzentren entstehen, an denen nicht nur der Wert der partizipativ produzierten Arbeit abgeschöpft werden kann, sondern auch neue Kontrollpunkte angeführt werden. An diesen fällt Wissen um die Zusammensetzung der Gesellschaft in Echtzeit an. Herrschaftswissen, denn damit kann mehr oder weniger unbemerkt in gesellschaftliche Prozesse eingegriffen werden, sei das mit kommerziellen oder politischen Motiven.

NEUE ARCHITEKTUREN DER TEILHABE

Die Spannungen zwischen den Dynamiken der horizontalen Vernetzung und der vertikalen Kontrolle, aus Partizipation als Teilhabe und deren spektakulärer Simulation, die aus der strikten Trennung zwischen Inhalten und Plattformen entstanden ist, werden immer deutlicher. Für politische AktivistInnen ist es inzwischen ein Risiko, Facebook zu benutzen, nicht nur, weil Staatssicherheitsorgane routinemäßig die Daten auswerten, sondern weil gezielt – wohl auf politischen Druck hin7 – Accounts gesperrt und Seiten gelöscht werden. Die Erfahrung der ersten Web-Generation, dass man auch Infrastrukturen selbst machen kann – und muss, wenn man möchte, dass sie das ermöglichen, was wichtig ist –, wird wieder neu formuliert. Das zentrale Stichwort ist hierbei Mesh-Netzwerke.8 Anstatt auf eine zentrale und zentralisierte Infrastruktur zu vertrauen, auf der die Vernetzung geschieht (etwa Facebook oder Twitter), wird eine neue Generation von Plattformen entwickelt, die auf dem Prinzip der Maschen (mesh) beruht. Eine gemeinsame Infrastruktur soll durch die Vernetzung vieler einzelner kleiner lokaler Netze entstehen, die Daten untereinander weiterreichen.9 Damit entfällt der zentrale Kontrollpunkt, und das emanzipatorische Potenzial der Horizontalität großer Gruppen wird befreit von seiner kommerziell verengten und überwachungstechnisch optimierten gegenwärtigen Fassung.

Ob und wie das gelingen wird, ist noch völlig offen, aber die Ideen der Partizipation als Teilhabe werden gerade neu formuliert. Die Zukunft wird wieder entdeckt. 

1 | http://www.heise.de/tp/artikel/1/1028/1.html

2 | http://tools.ietf.org/html/rfc1855

3 | Bochsler, Regula; Wishart, Adam (2002). Leaving Reality Behind: Inside the battles for the soul of the internet. New York, Forth Estate

4 | Critical Art Ensemble (1996). Electronic Civil Disobedience: And Other Unpopular Ideas. New York, Autonomedia.

5 | http://en.wikipedia.org/wiki/Industrial_information_economy

6 | Diederichsen, Diedrich (2008). Eigenblutdoping. Selbstverwertung, Künstlerromatik, Partizipation. Köln, Kiepenheuer & Witsch.

7 | Ende März 2011 schloss Facebook eine Seite, die zur Dritten Intifada aufrief, nachdem ein israelischer Minister direkt bei Marc Zuckerberg interveniert hatte. Die Lektionen aus den Unruhen in Ägypten wurden schnell gelernt. http://www.cbn.com/ cbnnews/insideisrael/2011/March/Face book-Third-Palestinian-Intifada-Stays1/

8 | Medosch, Armin (2003). Freie Netze. Geschichte, Politik und Kultur offener WLAN-Netze. Hannover, Heise.

9 | Siehe etwa freedomboxfoundation.org

 

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